Tödliche patriarchale Strukturen

Femizid in Dortmund-Huckarde: Eine 32-jährige Frau, die als Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitete, wurde letzten Sonntag in Dortmund im Stadtteil Huckarde erstochen in ihrem Wohnzimmer gefunden. Ihre Tante hatte die Polizei alarmiert, weil sie die Nichte seit Tagen nicht hatte erreichen können, und die Polizei hatte schließlich die Wohnung geöffnet.
Der mittlerweile festgenommene Tatverdächtige ist ihr Ex-Partner, von dem sie sich getrennt hatte, und die Staatsanwaltschaft Dortmund geht davon aus, dass die Trennung das Mordmotiv gewesen ist. Femizide sind in Deutschland vor allem Trennungstötungen.

Den Begriff Femizid führte die Soziologin und Feministin Diana E. H. Russell 1976 auf dem International Tribunal on Crimes against Women in Brüssel ein, das sie mit anderen Feministinnen* (im Wesentlichen der Belgierin Nicole Van de Ven) organisiert hatte. Durch die Benennung sollten tödliche Gewaltverbrechen an Frauen* – ähnlich wie rassistisch motivierte Morde – als Hassverbrechen gekennzeichnet werden, als „extreme Manifestation von männlicher Dominanz und Sexismus“. Mit Femizid bezeichnete Russell insbesondere zwei Ausprägungen von Frauen*morden: erstens „mysogynist killings“, d. h. Tötungen von Frauen* aus Hass und Verachtung, und zweitens Tötungen von Frauen*, weil diese patriarchalen Rollenvorstellungen nicht entsprechen und sich einer männlichen Macht und Kontrolle entziehen.

Im Jahr 2023 (für 2024 ist es für Zahlen noch zu früh) wurden dem ersten Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ zufolge 360 Mädchen* und Frauen* in Deutschland Opfer tödlicher geschlechtsbezogener Gewalt, das ist fast ein Femizid pro Tag. Die Zahl der weiblichen Opfer familiärer und partnerschaftlicher Gewalttaten stieg um 5,6 Prozent auf 180.715. Außerdem wurden 52.330 Frauen* und Mädchen* Opfer von Sexualstraftaten – und damit 6,2 Prozent mehr als 2022. In allen Bereichen wuchs die Gewalt, aber ganz besonders erhöhte sich die Hasskriminalität, also Straftaten, die ausdrücklich misogyn-politisch motiviert sind (56,3 Prozent mehr als im Vorjahr).1Siehe unter anderem: Aktuelle Stunde: Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu: Fast jeden Tag ein Todesopfer, WDR1, 19.11.2024, https://www1.wdr.de/nachrichten/lagebild-straftaten-gegen-frauen-100.html; Fast jeden Tag ein Femizid: Mehr frauenfeindliche Straftaten im Jahr 2023 gezählt (dpa, KNA), Tagesspiegel, 19.11.2014, https://www.tagesspiegel.de/politik/fast-jeden-tag-ein-femizid-mehr-frauenfeindliche-straftaten-im-jahr-2023-gezahlt-12730613.html. Wen wundert’s.

Dennoch zeichnen sich statt Unterstützung für Gewaltbetroffene eher Kürzungen ab. Das Gewalthilfegesetz, das Konzept eines bundesweiten Schutzsystems, wird kaum noch kommen – auch wenn gerade gestern der stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden 104.000 Unterschriften überreicht wurden, um Opposition und Bundesregierung zur eiligen Gesetzesverabschiedung vor der Bundestagswahl zu bewegen.2Zeit ist denkbar knapp“: Frauen übergeben gut 100.000 Unterschriften für Gewalthilfegesetz (epd), Tahesspiegel, 23.01.2025, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/zeit-ist-denkbar-knapp-frauen-ubergeben-gut-100000-unterschriften-fur-gewalthilfegesetz-13073665.html Ohnehin schloss der Entwurf wenig überraschend geflüchtete und migrierte Frauen* und Mädchen* aus. „Indem das Gewalthilfegesetz die besonders prekäre Situation dieser Frauen ignoriert, diskriminiert es geflüchtete und migrierte Frauen sowie Kinder und nimmt ihre erhöhte Gefährdung billigend in Kauf“, urteilten DaMigra, Pro Asyl und die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser im Dezember in einem Statement.3Gemeinsames Statement von PRO ASYL, der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser und DaMigra zum geplanten Gewalthilfegesetz: Diskriminierung beim Zugang zu Schutzräumen: Gewalthilfegesetz lässt Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus im Stich, 19.12.2024, https://www.damigra.de/meldungen/diskriminierung-beim-zugang-zu-schutzraeumen-gewalthilfegesetz-laesst-frauen-mit-prekaerem-aufenthaltsstatus-im-stich/. Erst nach zahlreichen Protesten nahm die Stadt Köln vor kurzem Streichungen zurück, die dort für mehrere Frauenprojekte das Aus bedeutet hätten. „In ganz Nordrhein-Westfalen sind solche Kürzungen geplant – und das, obwohl hier im vergangenen Jahr bereits drei von vier Frauen, die vor prügelnden Partnern flohen, keinen Schutz fanden.“ Bereits 2023 mussten Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen 7.234 schutzsuchende Frauen* abweisen, schreibt Carolin Wiedemann in der analyse & kritik.4Carolin Wiedemann: Kürzungen statt Prävention, analyse & kritik, 21.01.25, S. 14.

Femizide sind Folgen patriarchaler Gesellschaftsstrukturen und einer Gewalt, die als normal angenommen wird, und die Täter – wie der Ex‑Partner, der die 32-Jährige vermutlich in Huckarde nach tödlichen Messerstichen in ihrer Wohnung verblutet liegen ließ –, können gesellschaftlich mit einer gewissen kumpelhaften Anteilnahme rechnen. Die Frankfurter Allgemeine untersuchte letztes Jahr, wie Gerichte in Deutschland mit Tötungsdelikten an Frauen* umgehen. „Das Ergebnis der Recherche ist: Manche Gerichte werten das Besitzdenken des Täters nicht als besonders verwerflich – und ein Teil erkennt es erst gar nicht.“ Welches Urteil gesprochen werde, hänge von den Zuschreibungen der Richter ab.5Julia Bellan/Franziska Pröll: Femizide vor Gericht: Du gehörst mir, also töte ich dich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2024, https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/femizide-vor-gericht-so-werden-toetungen-an-frauen-in-deutschland-verurteilt-110118402.html. Sexistische Hetze, Feindbildkonstruktionen und Fantasien einer patriarchalen Restauration nicht nur von rechts tragen zurzeit Früchte; Gender ist zu einem phantomhaften Symbol geworden, einer wirkungsvollen patriarchalen gemeinsamen Sache. NI UNA MENOS! Dass keine Femizide und anderen sexistischen Gewalttaten mehr verübt werden, darf keine immer fernere Utopie werden. FEMIZIDE STOPPEN!

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