…the International Day to End Violence against Sex Workers.
Ursprünglich als Gedenktag für die Opfer des „Green River“-Mörders entstanden, die überwiegend Sexarbeiterinnen waren, hat sich der 17. Dezember mittlerweile als Tag gegen Gewalt gegen Sexarbeiter_innen etabliert, an dem die Bedeutung struktureller Ursachen der Gewalt, wie Kriminalisierung und Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen oder eine restriktive Politik gegen weibliche Mobilität, ausdrücklich thematisiert werden. Um sichtbaren Widerstand gegen und Schutz vor Diskriminierung zu symbolisieren, protestieren Sexarbeiter_innen mit roten Regenschirmen.
Die Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und eine Zunahme von Gewalt gegen sie können allerdings immer noch als „Erfolg“ begrüßt werden. In Dortmund wurde Mitte Mai mit der Ausweitung des Sperrbezirks auf das gesamte Stadtgebiet die Straßenprostitution vollständig verboten. Vorausgegangen war eine monatelange Kampagne vorwiegend gegen bulgarische Zuwanderer_innen, die nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 zugezogen waren und allgemein als den Roma zugehörig betrachtet werden, auch wenn sie sich der türkischen Minderheit Bulgariens zurechnen. Während der von nicht nur antiziganistischen Untertönen getragenen Kampagne weiteten sich in osteuropäischen Ländern, zuletzt auch in Bulgarien, Ausschreitungen gegen Roma aus.
„Die Schließung des Straßenstrichs an der Ravensberger Straße war die richtige Entscheidung“, befanden am Donnerstag Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau und der stellvertretende Polizeipräsident Ingolf Möhring unisono. Dementsprechend positiv fällt das Fazit von Stadt und Polizei ein halbes Jahr nach der Beschlussfassung im Rat (31. März) zur Schließung aus.1Andreas Winkelsträter: Weniger Kriminalität in der Nordstadt von Dortmund nach Aus für Straßenstrich. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 29.09.2011, http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/weniger-kriminalitaet-in-der-nordstadt-von-dortmund-nach-aus-fuer-strassenstrich-id5112091.html.
Die von Politik, Polizei und Presse entworfenen Bedrohungsszenarien wurden bald als angeblicher Ursache den in die Sexarbeit migrierten Frauen zugeschrieben: „Besonderer Dorn im Auge der Polizei und einiger Lokalpolitiker ist der Straßenstrich. Sie sind der Überzeugung, dass der Strich der Anziehungspunkt schlechthin ist.“2Christina Römer: Dortmund kämpft mit neuer Art von Kriminalität. WAZ, 09.03.2011, http://www.derwesten.de/unresolved/dortmund-kaempft-mit-neuer-art-von-kriminalitaet-id4397604.html. Rassistische Äußerungen, Dortmund sei zur „Keimzelle einer neuen Dimension von Verbrechen“ geworden, die Nordstadt werde „Sammelbecken und Auffangstation für kriminelle Elemente und menschenverachtende Lebensformen von Randexistenzen aus ganz Europa“ oder „mit Multi-Kulti-Romantik“ ließe „sich dieser Kampf nicht gewinnen“, wurden Normalität in der Lokalpolitik.3Christina Römer, Dortmund kämpft mit neuer Art von Kriminalität, a.a.O.; DerWesten: CDU und FDP Dortmund für Sanktionen in der Nordstadt, WAZ, 26.01.2011, http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/cdu-und-fdp-dortmund-fuer-sanktionen-in-der-nordstadt-id4210604.html, sowie Website der CDU-Fraktion: Volle Unterstützung für konsequentes Vorgehen des OB in der Nordstadt, http://www.cdu-dortmund.de/fraktion/index.php?option=content&task=view&id=1073&Itemid=53; Rolf Maug: Menschenhändler kassieren Schutzgeld am Straßenstrich Dortmund. WAZ, 22.03.2011, http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/menschenhaendler-kassieren-schutzgeld-am-strassenstrich-dortmund-id4453172.html. Beharrlich behaupten Medienberichte, die Zahl der Frauen sei „innerhalb kurzer Zeit“ von 60 auf 700 angestiegen, obwohl die Antwort auf eine Anfrage an die NRW-Landesregierung eine Zunahme der „insgesamt festgestellten Prostituierten“ „von ca. 250 im Jahr 2004 auf insgesamt 535 im Jahr 2010“4Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 15/2143, 06.06.2011. Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 732 vom 26. April 2011 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP, http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD15-2143.pdf. festhielt. Etwa 50 bis 70 Frauen arbeiteten täglich auf dem Straßenstrich.
Bereits im Vorfeld der Erweiterung des Sperrbezirks auf das gesamte Stadtgebiet wurde eine „Ermittlungskommission Rotlicht“ installiert und Mitte Mai richtete das Polizeipräsidium Dortmund eine „gesamtbehördliche Besondere Aufbauorganisation“ ein, „welche die Verzahnung sämtlicher beteiligter Dienststellen … gewährleistet“. Eine „Task-Force“ aus Ordnungskräften und Polizei überwacht das Stadtviertel: „Sieben Tage – fast rund um die Uhr – sollen sie vor allem in der Nordstadt unterwegs sein. In Uniform oder zivil, mit Autos, Motorrädern, Hunden und Pferden. Sie stellen Platzverweise aus und leiten Bußgeldverfahren ein gegen Straßenprostituierte und Freier.“5Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 15/2143, a.a.O.; Straßenstrich: Task-Force für die Nordstadt. Radio 91.2, 06.05.2011, http://www.radio912.de/infos/dortmund/nachrichten/art749,195164.
Sollten gute Worte nicht ausreichen, wird es noch am Montag die ersten Bußgelder setzen. Straßenprostituierte, die erwischt werden, zahlen erst 200, dann 300 und beim dritten Mal 500 Euro. Beim vierten Mal machen sie Bekanntschaft mit der Strafprozessordnung.6Rolf Maug: Dortmunder Straßenstrich vor finalem Umsatzrekord. WAZ, 13.05.2011, http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/dortmunder-strassenstrich-vor-finalem-umsatzrekord-id4643617.html.
Während über sie verhandelt wurde, wurden die Sexarbeiterinnen im öffentlichen Diskurs entmündigt und ihnen die Verfügung über sich selbst auch dann noch abgesprochen, als sie im März dazu aufriefen, vor das Dortmunder Rathaus zu ziehen und gegen die Schließung des Straßenstrichs zu demonstrieren. „Da wir Prostituierte auch fast 10 Jahre nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes noch lange keine gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, ist dies ein ganz außergewöhnlicher und mutiger Schritt“7Skandal im Sperrbezirk: Wir Frauen vom Dortmunder Straßenstrich gehen auf die Straße!, dokumentiert unter: http://agora.free.de/sofodo/themen/do-spez-1/soz-entwicklung-do/huren-demo-soll-strassenstrich-dortmund-vor-schliessung-retten/, erklärten die Frauen in dem Aufruf zu einem eindrucksvollen und lebendigen, aber erfolglosen Protest.
Wie viel Schutz haben die zumeist osteuropäischen Straßen-Prostituierten noch zu verlieren, wenn die Stadt den offiziellen Strich an der Ravensberger Straße schließt und der Straßenprostitution samt Freiern stadtweit die rote Karte zeigt? In dieser Frage packt Dr. Marita Hetmeier, Vorsitzende der Nordstadt-SPD, jetzt aus.8Rolf Maug: Menschenhändler kassieren Schutzgeld am Straßenstrich Dortmund. WAZ, 22.03.2011, http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/menschenhaendler-kassieren-schutzgeld-am-strassenstrich-dortmund-id4453172.html.
Geschlechtervorstellungen unterstellen, Sexarbeiterinnen seien einwilligungsunfähig, weil sie Versorgungs- und Reproduktionsarbeiten und insbesondere die Befriedung sexueller Bedürfnisse „aus Liebe“ und als unentlohnte Tätigkeiten in einem familiären Idyll ansiedeln, in dem Frauen vermeintlich besser aufgehoben sind. Mit der ständigen Rede von „Menschenhändlern“, wie in Dortmund in Verbindung mit der Anwesenheit bulgarischer Sexarbeiterinnen, wird die Zuwanderung in die Sexarbeit vor allem stigmatisiert. Nicht zuletzt zielt die europaweite Bekämpfung des Menschen- bzw. Frauenhandels vornehmlich auf eine unregulierte weibliche Mobilität und ist noch einmal verstärkt seit der Verabschiedung des sogenannten „Stockholmer Programms“ der EU-Staaten für eine gemeinsame Innen- und Sicherheitspolitik in die gegen eine Migration gerichtete Politik eingebunden.9Dazu u.a: http://www.eeas.europa.eu/human_rights/traffic/index_de.htm oder die europäische Richtlinie 2011/36/EU von April dieses Jahres „zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:101:0001:0011:DE:PDF. U.a. spricht die neue europäische Richtlinie entgegen allen Bekenntnissen zum „Opferschutz“ die EU-Staaten von aller weiteren Verantwortung frei, falls „das Opfer nach Abschluss der Identifizierung oder nach Ablauf der Bedenkzeit nicht für einen Aufenthaltstitel in Frage kommt und auch ansonsten keinen rechtmäßigen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hat“. Indem weibliche Migrationsstrategien auf die einfache Formel der Opfer von Menschenhandel gebracht werden, können Vertreibung und Aufenthaltsverweigerung als Schutz von Frauen ausgelegt werden.
Die aktuelle Situation der Frauen nach der Schließung des Straßenstrichs beschreibt die KOmmunikations- und BERatungsstelle für Prostituierte KOBER:
Wir wissen, dass viele der Frauen, die ehemals auf dem Straßenstrich der Prostitution nachgingen, jetzt vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen in Wohnungen und Kneipen/Teestuben (Hinterzimmern) im Sperrbezirk, vornehmlich in der Nordstadt, arbeiten. … Mehrere Frauen sind unseres Wissens in diesem Quartal Opfer von Gewaltübergriffen durch Kunden/Profiteure geworden. … Mehrfach erfuhren wir von Bedrohungen durch Kunden, die die Frauen mit einer Anzeige wegen Prostitution im Sperrbezirk bedrohten und dafür Preisnachlässe oder Sonderleistungen von den Frauen erpressten. … Die Nachfrage nach Lebensmitteln ist gestiegen.1010. Oktober 2011: 3. Quartal 2011: Prostitution in der Nordstadt. Erkenntnisse der Beratungsstelle KOBER nach Inkrafttreten der neuen Sperrbezirksverordnung am 16. Mai 2011 in Dortmund, http://www.kober-do.de/.
Einer der gewalttätigen Übergriffe wurde in den Medien vielfach aufgegriffen:
Wie gefährlich die Wohnungsprostitution ist, zeigt der Fall einer 25-jährigen Bulgarin, die vor der Schließung des Strichs auf der Ravensberger Straße angeschafft hatte. Am 17. August wird sie von einem Freier aus dem Fenster gestoßen und lebensgefährlich verletzt. Zuvor hatte der Mann versucht, mit einer Schere auf sie einzustechen.11Katharina Schäder: Dortmund, der Straßenstrich und das Roma-Problem. Welt online, 25.08.2011, http://www.welt.de/politik/deutschland/article13564376/Dortmund-der-Strassenstrich-und-das-Roma-Problem.html.
Viele der vom Straßenstrich vertriebenen Frauen sind dennoch geblieben und neue sind gekommen, „weil sie in der Nordstadt ein Netzwerk haben und die Infrastruktur, die sie brauchen“12Gaby Kolle: Nach Strich-Schließung: Prostitution in der Nordstadt blüht wieder. Ruhr-Nachrichten, 01.09.2011, http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/dortmund/Prostitution-in-der-Nordstadt-blueht-wieder;art930,1392367.. Ende September bestand die offizielle Bilanz in 148 Strafanzeigen und 85 Ordnungswidrigkeitsanzeigen gegen Sexarbeiterinnen und einigen, die „beharrlich der Prostitution nachgegangen“ seien, wurde die EU-Freizügigkeit entzogen. Wer hier in Zukunft über Gewalt oder Kriminalitätsstatistiken redet, sollte wissen, wie sie zustande gekommen sind.
Wenig überraschend hat vor kurzem in Großbritannien eine Studie – mit 100 Interviews die bisher umfassendste qualitative Studie in London – den Schluss gezogen, dass „die derzeitige Betonung von Menschenhandel und Ausbeutung die Vielfalt der Wege von Migrant_innen in die Sexindustrie verdeckt“. Als in den Interviews genannte Kernpunkte werden stattdessen mit Einwanderungsstatus und Stigmatisierung verbundene Probleme ausgemacht. Der Zusammenfassung der Ergebnisse zufolge meinten alle Interviewten, dass es „ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern und ihnen ermöglichen würde, ihre Rechte umfassender auszuüben“, würde Sexarbeit legalisiert und es Migrant_innen erleichtert, Papiere zu erhalten.13Nick Mai: In Whose Name? Migration and Trafficking in the UK Sex Industry: delivering social interventions between myth and reality, 31. Oktober 2011 (Kurzfassung), bzw. Migrant Workers in the UK Sex Industry, Institute for the Study of European Tranformations, London Metropolitan University, unter: http://sexworkeurope.org/de/component/content/article/55-reports/525-uk-report-migrant-workers-in-the-uk-sex-industry.
Aus einer Vielzahl rechtlicher und sozialer Gründe, von denen nicht die geringsten die repressiven polizeilichen und migrationspolitischen Strategien europaweit sind, wandern Prostituierte im Allgemeinen weiter, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land. Dieser nomadische Lebensstil schafft eine bestimmte Beziehung zum ‚Ort’, welche die Dinge verhindert, die Migrant_innen tun ‚sollen’, darauf bezogen, sich niederzulassen und gute (subalterne) Bürger_innen zu werden (die Rom_nja leiden unter dem gleichen Hindernis).14Laura María Agustín: Challenging ‘Place’: Leaving Home for Sex. Development, Frühjahr 2002, 110 – 117, http://www.lauraagustin.com/wp-content/uploads/2008/09/LAgustin_Leaving_Home_for_Sex.pdf.