Iran: Proteste nach Tod wegen „einigen Haarsträhnen“

Der Tod der 22-jährigen Mahsa (Zhina) Amini nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei hat im Iran in mehreren Städten, unter anderem in Teheran und ihrer Heimatstadt Saqqez, wütende Proteste ausgelöst. Nach einem im Internet verbreiteten Video demonstrierten Frauen* nach der Beerdigung in Saqqez im iranischen Kurdistan, indem sie ihre Kopftücher in der Luft schwenkten und „Tod dem Diktator“ riefen.


Mahsa Amini war letzten Dienstag während einem Verwandtenbesuch in Teheran wegen Nichtbeachtung der Kleidungsvorschriften von der Polizei festgenommen worden – der Hidschab soll verutscht gewesen sein und einige Haarsträhnen sollen zu sehen gewesen sein – und in Polizeigewahrsam gebracht worden. Nach ihrer Festnahme soll ihr auf den Kopf geschlagen worden sein, was zu einer Hirnblutung geführt habe. (Die Sittenpolizei spricht von Herzversagen und will keine Gewalt angewendet haben, aber die Familie hat Behauptungen einer Vorerkrankung von offizieller Seite zurückgewiesen – und Mahsa Amini ist unter Zwang auf die Wache geschafft worden).

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„Diese Gleichgültigkeit ist unser Hauptproblem“

Jelena Osipova (Елена Осипова – der Name findet sich auch in den Transliterationen Yelena/Elena Ossipowa), 76 Jahre alt und Kunstpädagogin im Ruhestand im russischen Sankt Petersburg, protestiert mit ihren kreativen Plakaten weiterhin (nicht nur) gegen den Ukrainekrieg.
Ihr persönliches Engagement begann vor ungefähr 20 Jahren durch den Tschetschenienkrieg, die Geiselnahme im Dubrowka-Theater in Moskau 2002 sowie später die Geiselnahme von Beslan 2004, die beide mit hohen Opferzahlen endeten. Seit zwei Jahrzehnten macht sie damit ihre Überzeugungen öffentlich. Nachdem damals ein Betäubungsgas in das Moskauer Theater geleitet und der Saal gestürmt worden war, schrieb sie auf Plakatkarton „Herr Präsident, ändern Sie sofort den Kurs“ und stellte sich zum ersten Mal mit einem handgeschriebenen Poster auf einen öffentlichen Platz.
Auch nach dem Angriff auf Ukraine Ende Februar trug Jelena Osipova, wie oft in den vergangenen Jahren, ihre Protestplakate auf die Straße – wie sie erzählt, nun mit mehr Zuspruch als sonst – und wurde deswegen (erneut) mehrmals kurzzeitig in Gewahrsam genommen.

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Chile: Wir haben keine Ministerin

Gemeinsam mit dem chilenischen Kollektiv LasTesis, das durch seine Performance Un violador en tu camino (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) weltweit bekannt geworden ist, hat die russische Punkrockband Pussy Riot am Wochenende ein Manifest gegen Polizeigewalt und Repression veröffentlicht. Die gemeinschaftliche Erklärung lässt sich hier nachlesen und anhören der Teil von Pussy Riot wird in Mexiko gelesen und Pussy Riot hat dazu ebenfalls ein Musikvideo gepostet. Es geht um die Verschärfung staatlicher Brutalität und Repression, die intensivierte Verfolgung sozialer Kämpfe im Schatten der Covid-19-Pandemie und den dennoch stattfindenden Widerstand in lateinamerikanischen Ländern wie Chile, wo „das Virus für die Regierung von Sebastián Piñera wie gerufen kam“1Wie die Zeitschrift ila in ihrer aktuellen Ausgabe mit Schwerpunkt Chile feststellt: Editorial, ila – Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika, Ausgabe Nr. 435 (Chile), Mai 2020, http://www.ila-web.de/ausgaben/435.. Die vorhergehenden Massenproteste sind dadurch momentan unterbrochen.

Mitte Oktober letzten Jahres hatte in Chile eine geplante Fahrpreiserhöhung für das U-Bahn-Netz der Hauptstadt Santiago Demonstrationen ausgelöst, die sich bald auf das gesamte Land ausgeweitet hatten. Die daraus enstandene Bewegung hatte sich wesentlich gegen die brutale soziale Schere zwischen Arm und Reich und das neoliberale Wirtschaftsmodell gerichtet, das in der chilenischen Verfassung verankert ist, die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973  – 1990) stammt. Freitag für Freitag hatten in Chiles Städten Hunderttausende gegen Ungleichheit, Armut und Korruption protestiert – gegen das Rentensystem, die für viele untragbaren Kosten für Bildung und Gesundheitversorgung, die Strompreise. Unter anderem mit der Ankündigung eines Referendums über eine neue Verfassung, das eigentlich im April hätte stattfinden sollen (und nun auf Oktober verschoben ist), hatte die konservative Regierung Piñera die aufgebrachte Bevölkerung wieder besänftigen wollen. Die Zugeständnisse konnten die Wut der Protestierenden allerdings nicht mehr bremsen und die Demonstrationen hielten monatelang an.2Unter anderem: Nicole Anliker: Die Chilenen sind wütend – sie wollen einen Systemwechsel, egal, wie hoch der Preis dafür ist, Neue Zürcher Zeitung, 01.12.2019, https://www.nzz.ch/international/chile-anhaltende-proteste-zeugen-von-wut-der-bevoelkerung-ld.1525485. Über 30 Menschen sind seit Beginn der Massenproteste getötet und Tausende verletzt und festgenommen worden. Das chilenische Institut für Menschenrechte (INDH) zählte in einem Bericht am 18. März „bereits mehr als 200 Fälle sexualisierter Gewalt durch Angehörige der Sicherheitsbehörden“3Susanne Brust: Historisch, aber nicht vorbei, Lateinamerika Nachrichten Nummer 550, April 2020, https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/historisch-aber-nicht-vorbei/. seit Mitte Oktober 2019.

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Wegen Papierfliegern vor Gericht

Bereits im Sommer 2018 fand in Nürnberg an der Zentrale des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Kundgebung statt, die in Zusammenhang mit einer Bustour der Gruppe Women in Exile & Friends von einer Aktivistin* des 8. März Bündnisses Nürnberg angemeldet worden war. Die Anmelderin* dieser Kundgebung stand nun letzten Freitag vor Gericht, weil sie den beteiligten geflüchteten Frauen* und Kindern nicht verboten hatte, Forderungen auf Papierfliegern an das Bundesamt zu richten. Die aus Papier, hauptsächlich im Din-A4-Format, gefalteten Flugzeuge hatten politische Forderungen wie „Stop deportation“, „Wir fordern gleiche Rechte“, „Lager abschaffen – Wohnraum für alle“ oder Kinderwünsche wie „Ich will ein eigenes Kinderzimmer und Lego zum Spielen“ über den Zaun getragen. Es sollen 50 Flieger gewesen sein.1Siehe unter anderem: PM „Women breaking borders“: Gerichtsprozess wegen Papierflieger über Zaun des BAMF, https://www.women-in-exile.net/pm-women-breaking-borders-gerichtsprozess-wegen-papierflieger-ueber-zaun-des-bamf/.

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Zur Durchsuchung des Langen August

Mehrere Räume im Kulturzentrum Langer August in der Dortmunder Nordstadt – in dem auch das Frauen*-Internationalismus-Archiv einen Raum hat, deshalb hier die folgende gemeinsame Erklärung – sind am 4. Juli von schwer bewaffneter Polizei gestürmt worden. Das eigentliche Ziel der Durchsuchung war ein Server im Wissenschaftsladen Dortmund e. V. In dem Kulturzentrum, das nach einem Widerstandskämpfer, der in der Nähe wohnte und im spanischen Bürgerkrieg getötet wurde, benannt ist, sind viele Initiativen zu Hause.

Am Mittwoch den 04. Juli 2018 drangen gegen 19 Uhr mit Maschinenpistolen bewaffnete Uniformierte in das Kulturzentrum Langer August in der Dortmunder Nordstadt ein und hielten die dort Anwesenden mehrere Stunden fest. Sie führten einen Durchsuchungsbefehl mit, der sich auf die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. (WiLaDo) in der 3. Etage bezog. Dessen ungeachtet wurde mit Ausnahme weniger Räume der gesamte Lange August durchsucht.

Den Durchsuchungsbefehl hatte das LKA Köln erwirkt, aber die Aussicht, mal ein soziokulturelles Zentrum von innen zu sehen, hat die Dortmunder Polizei vermutlich zum Trittbrettfahren auf dieser Maßnahme animiert.

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Türkei: Prozess gegen die Schriftstellerin Aslı Erdoğan

Im Verfahren gegen die türkische Autorin Aslı Erdoğan und acht Mitangeklagte, die ebenso wie sie für die Zeitung Özgür Gündem tätig waren, hat das Gericht letzte Woche zum Prozessauftakt die Entlassung der Schriftstellerin aus der Untersuchungshaft angeordnet. Auch die 70jährige Autorin und Übersetzerin Necmiye Alpay wurde freigelassen. Beide befanden sich seit viereinhalb Monaten im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy. Wegen der Kolumnen, die Aslı Erdoğan in der Özgür Gündem über die Situation in den kurdischen Gebieten veröffentlicht hatte, wird ihr in der Türkei der Prozess wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ gemacht.

Aus einem Gefängnis, einem Frauengefängnis zwischen einer Psychiatrie und einem ehemaligen Lepra-Krankenhaus, rufe ich heraus zu euch Literaten. Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich – wie aus einem Brunnenschacht – zu euch: Hier, in meinem Land, lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen. Dabei wird gewohnheitsmäßig und wie blind versucht, die Wahrheit zu töten. Auch wenn ich nicht weiß, wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden. Die Literatur, die wir mit unserem eigenen Blut schreiben, denn diese ist für mich die Wahrheit. Herzliche Grüße, Aslı Erdoğan. Diese Grußbotschaft Aslı Erdoğans wurde zur Eröffnung der letzten Frankfurter Buchmesse verlesen, während der die Autorin bereits inhaftiert war. „Türkei: Prozess gegen die Schriftstellerin Aslı Erdoğan“ weiterlesen