Iran: Proteste nach Tod wegen „einigen Haarsträhnen“

Der Tod der 22-jährigen Mahsa (Zhina) Amini nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei hat im Iran in mehreren Städten, unter anderem in Teheran und ihrer Heimatstadt Saqqez, wütende Proteste ausgelöst. Nach einem im Internet verbreiteten Video demonstrierten Frauen* nach der Beerdigung in Saqqez im iranischen Kurdistan, indem sie ihre Kopftücher in der Luft schwenkten und „Tod dem Diktator“ riefen.


Mahsa Amini war letzten Dienstag während einem Verwandtenbesuch in Teheran wegen Nichtbeachtung der Kleidungsvorschriften von der Polizei festgenommen worden – der Hidschab soll verutscht gewesen sein und einige Haarsträhnen sollen zu sehen gewesen sein – und in Polizeigewahrsam gebracht worden. Nach ihrer Festnahme soll ihr auf den Kopf geschlagen worden sein, was zu einer Hirnblutung geführt habe. (Die Sittenpolizei spricht von Herzversagen und will keine Gewalt angewendet haben, aber die Familie hat Behauptungen einer Vorerkrankung von offizieller Seite zurückgewiesen – und Mahsa Amini ist unter Zwang auf die Wache geschafft worden).

Der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw zufolge sind bisher bei den Protesten fünf Menschen getötet worden: Zwei in Saqqez, als die Polizei das Feuer auf Demonstrierende eröffnete, und zwei weitere in der Stadt Divandarreh und eine fünfte Person soll in Dehgolan gestorben sein.1Rachel Pannett: Violence erupts in Iran after woman dies inmorality policecustody, The Washington Post, 20.09.22, https://www.washingtonpost.com/world/2022/09/20/iran-mahsa-amini-death-hijab-protest/. In Teheran setzte die Polizei Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen die Menschen auf den Straßen ein. Viele Iraner*innen haben genug von dem Regime, der fortschreitenden Verarmung und zahlreiche Frauen* insbesondere von der dekadenlangen geschlechtshierarchischen Bevormundung. Die Tagesschau zitiert eine Teheraner Studentin, die entsprechend offen für die Abschaffung der seit 1979 im Iran geltenden Hidschabpflicht eintritt. Wer wolle, könne ein Kopftuch tragen, aber wer das nicht wolle, solle es auch nicht tragen müssen.2Karin Senz: Protest im Iran:Frau, Leben, Freiheit“, tagesschau, 19.09.22, https://www.tagesschau.de/ausland/iran-sittenpolizei-tot-protest-101.html Mit dieser Meinung ist sie allerdings viel weiter als Ideolog*innen aller Seiten, die mit Geboten oder Verboten die Ausgestaltung des weiblichen Körpers reglementieren möchten, um ihn zum Symbol eines bestimmten, d. h. eines eigenen und häufig nationalen Selbstverständnisses zu machen.

Die iranisch-amerikanisch Journalistin Masih Alinejad, die auf ihrem Twitter-Account mehrere Videoszenen der aktuellen Demonstrationen gesammelt hat (in dem Tweet unten in Teheran), meint insofern auch, dass der Hidschabzwang ein Grundpfeiler der Islamischen Republik Iran sei und sein Fall zum Aus für die Islamische Republik führen werde.


Demonstriert wurde wegen dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini übrigens ebenfalls anderswo, am Samstag zum Beispiel vor der iranischen Botschaft in Berlin.3Demo vor der Botschaft: Protest in Berlin gegen den Tod von Mahsa A. und Verfolgung von Frauen im Iran (dpa), Tagesspiegel, 17.09.22, https://www.tagesspiegel.de/berlin/demo-vor-der-botschaft-protest-in-berlin-gegen-den-tod-von-mahsa-a-und-verfolgung-von-frauen-im-iran-8654629.html.

Nachtrag 27.09. (Dienstag): Die Proteste im Iran setzen sich trotz mittlerweile weit über tausend Festnahmen und etlichen Toten durch das Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte (es sollen bereits über 70 sein) landesweit fort.
Auf Twitter unter anderem hier zu finden (trotz der Einschränkungen des Internets im Iran):
#Zhina_Amini
#Mahsa_Amini
#ZhinaAmini
#MahsaAmini
#OpIran
#مهسا_امین

Guter Kommentar übrigens von Fatma Aydemir in der taz am Wochenende darüber, dass jenseits der unterschiedlichen Motive unterschiedlicher Frauen*, ein Kopftuch zu tragen oder nicht, der Protest im Iran als das begriffen und unterstützt werden muss, was er ist. (Also, weder ist der iranische Protest ein Grund, auf (andere) Kopftuchträgerinnen* herabzusehen, noch Furcht vor islamophoben Inhalten – ja, die wird es auch geben – ein Grund, mit der eigenen Solidarität zu zögern.)
Sie schreibt: „Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Zhina Amini vergangene Woche brennen Kopftücher auf den Straßen in Iran. Und dieser Anblick sollte unabhängig von den vielen anderen Bedeutungen dieses Stoffes als das wahrgenommen werden, was es in diesem Kontext ist: ein Akt des feministischen Widerstandes.“4Fatma Aydemir: Proteste für Frauenrechte im Iran: Wer hat Angst vor dem freien Kopf?, die tageszeitung, 23.09.22, https://taz.de/Proteste-fuer-Frauenrechte-im-Iran/!5881483/.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert