Frankreich und Tunesien: die Näherinnen von Yssingeaux und Sfax

Die Firma Lejaby hat die letzte Unterwäschefabrik in Frankreich geschlossen. Der Druck der Näherinnen in Yssingeaux in der Auvergne, die im Januar letzten Jahres aus Protest gegen die geplante Verlagerung nach Tunesien die Fabrik besetzten und mit Unterstützung der Gewerkschaft CGT mehrere Demonstrationen organisierten, war dennoch erfolgreich. Ihre Arbeitsplätze bleiben erhalten. Vor dem Hintergrund des Wahlkampfs in Frankreich wurde der Kampf der Frauen, die meisten mittleren Alters und seit Jahrzehnten bei Lejaby beschäftigt, zum Symbol: Frankreich fürchtet um das Fortbestehen seiner Industrie.

Das Land ist der OECD zufolge mittlerweile einer der am wenigsten industrialisierten Staaten Europas. Vor dreißig Jahren befanden sich ungefähr 23 % der französischen Arbeitsplätze in der Industrie, heute sind es noch 12 %. Staatspräsident und Präsidentschaftskandidat Sarkozy geriet unter Zugzwang und versprach, er werde eine Lösung finden. Und auch wenn die Näherinnen von Yssingeaux die Verlagerung nach Tunesien nicht verhindern konnten, werden sie nun an neuen Maschinen angelernt. Ein Unternehmer aus der Region wurde gefunden, der zwar keine Seide und Spitzen verarbeitet, sondern Lederwaren für den Luxuswaren-Konzern LVMH liefert. LVMH wiederum gehört Sarkozy-Freund Bernard Arnault. „Wir haben hart gekämpft, es war unser Sieg, nicht seiner“, sagt allerdings Bernardette Pessemesse, 57 Jahre alt, über Sarkozy.

Der jahrelange Zusammenhalt und die Aussichtslosigkeit, in der Region neue Arbeitsstellen zu finden, brachte die Näherinnen dazu, sich gegen der Verlust ihrer Arbeitsplätze zu wehren. Chantal Gibert zum Beispiel ist heute 48 Jahre alt. Wie viele andere sei sie schon mit 17 in die damals florierende Fabrik gekommen. Weil auch nach mehr als 30 Jahren Beschäftigung der Lohn von rund 1.200 Euro netto häufig nicht bis zum Monatsende reichte, übernahm sie an Wochenenden zusätzlich in einem Restaurant von Yssingeaux den Abwasch, um als alleinerziehende Mutter über die Runden zu kommen. Noch weit weniger wird allerdings im tunesischen Sfax verdient, wo die Marke Lejaby bei Isalys 20 % des Umsatzes ausmacht. Isalys in Tunesien ist eine von ungefähr 2.000 Textilfabriken, in denen Waren für den Export hergestellt werden und bei denen etwa 200.000 Menschen beschäftigt sind, meistens Frauen. Bei Isalys arbeiten 600 von ihnen. Dreihundert Dinar monatlich – etwa 180 Euro – sind die Regel für eine Textilarbeiterin bei einer Arbeitszeit von 46 Wochenstunden. Auf die Frage nach den Kolleginnen in Tunesien antwortete dann auch eine Arbeiterin in Yssingeaux: „Mit dem, was die verdienen, können sie sich keine Lejaby-Produkte leisten, genauso wie wir vorher auch nicht.“

Quellen:
Rudolf Balmer: Erfolgreicher Kampf der Näherinnen von Yssingeaux. Neue Zürcher Zeitung, 07.04.2012, http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/erfolgreicher-kampf-der-naeherinnen-von-yssingeaux_1.16321319.html; Angelique Chrisafis: Bra wars raise temperature in French election campaign. The Guardian, 30.03.2012, http://www.guardian.co.uk/world/2012/mar/30/french-election-campaign-bras; Elodie Auffray: Lejaby : les petites mains de Tunisie. Libération, 06.03.2012, http://www.liberation.fr/economie/01012394079-lejaby-les-petites-mains-de-tunisie.

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