Am 17. Dezember, also in zwei Tagen, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen, an dem an vielen Orten weltweit wieder Veranstaltungen und Aktionen stattfinden werden (zu finden unter anderem hier oder hier), die die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen thematisieren. Hier folgt nun ein Kommentar zu dem „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer – das Thema ist und bleibt aktuell, auch angesichts der Gesetzesvorhaben der Koalition von CDU/CSU und SPD, die absehbar in eine restriktivere Richtung gehen.
Almost as soon as women began to migrate in great numbers …,
stories of ‚white slavery‘ began to circulate.1Jo Doezema: Loose Women or Lost Women? The re-emergence of the myth of ‚white slavery‘ in contemporary discourses of ‚trafficking in women‘. International Studies Convention Washington, DC, February 16 – 20, 1999, http://www.walnet.org/csis/papers/doezema-loose.html.
Bereits vor Erscheinen ihres Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ im November richtete Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen Appell gegen Prostitution An die Bundeskanzlerin und den Bundestag. Sexarbeiter_innen des neu gegründeten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen reagierten mit einem (Gegen-)Appell FÜR Prostitution. Während dort betont wird: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden“, fallen im Emma-Appell Prostitution, Frauenhandel, Sklaverei („white slavery“) zusammen; Prostitution soll „abgeschafft“ werden.2Die Appelle: http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923; http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85 „Weiße Sklaverei“ ist auch der Titel eines Auszugs aus dem Buch von Alice Schwarzer, der Anfang November in der Wochenzeitung der Freitag erschien.3Weiße Sklaverei, der Freitag, 06.11.2013, http://www.freitag.de/buch-der-woche/prostitution-ein-deutscher-skandal/prostitution_leseprobe.
White Slavery
Die Erzählung von der „weißen Sklaverei“ breitete sich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Historiker_innen messen ihr angesichts weniger tatsächlicher Belege einen mythischen (gesellschaftserklärenden und -strukturierenden) Charakter bei und betrachten sie als „moralische Panik“ einer sich vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Urbanisierung und zunehmender (weiblicher) Migration in die Städte und in andere Kontinente ändernden Gesellschaft. Die Erzählung handelte von Moral und auf das Sozial- und Sexualverhalten alleinstehender arbeitender (proletarischer) und migrierender Frauen gerichteten Befürchtungen; sie mündete in die Dichotomie des weißen Opfers, jung, naiv, unschuldig, dessen Gegenseite ein als Anderer konstruierter Täter (nicht-weiß, immigriert, …) wurde. Sie hob auf die besondere Verletzlichkeit weißer Frauen ab und beinhaltete, dass ihre Versklavung als anders und schwerwiegender anzusehen wäre als „schwarze Sklaverei“. Als Ressource für Reglementierungen entlang von gender, race und class führte sie zu internationalen Abkommen und Initiativen in europäischen und amerikanischen Staaten.4Siehe u.a. Jo Doezema, a.a.O. Die Frankfurter Rundschau berichtet über die Entstehung eines Berichts des Völkerbunds über „Zwangsprostitution“ 1927: Für die Details interessierten sich damals nur wenige. Eine junge Doktorandin hatte bei Feldstudien in Marseille und Athen, zwei Hotspots der Szene, keinen einzigen Fall von Menschenhandel nachweisen können. Der bekannte Journalist Albert Londres recherchierte in Rio und Buenos Aires nach, …: „Die Zuhälter dort“, so sein Ergebnis, „müssen die Frauen gar nicht kaufen“, schrieb Londres. „Im Gegenteil: Sie kriegen sogar Geschenke, wenn sie ihnen gute Standplätze verschaffen.“ Achtzig Jahre später zeichnete der belgische Philosoph und Soziologe Jean-Michel Chaumont die Geschichte des Skandalberichts minutiös nach …. Das „Expertenkomitee“ des Völkerbunds hatte vorwiegend aus idealistisch gesinnten Kämpferinnen und Kämpfern gegen die Prostitution an sich bestanden. Der Auftrag des Völkerbunds und der Bericht von 1927 waren ihr großer Coup. Norbert Mappes Niedeck: Menschenhandel: Die Armuts-Falle. Frankfurter Rundschau, 16.10.2013; http://www.fr-online.de/politik/menschenhandel—die-armuts-falle,1472596,24650152.html.
Zum Beispiel: Im Januar 1910 verabschiedete der Kongress in den USA den „White Slave Traffic Act“ (nach seinem Urheber James R. Mann auch „Mann Act“ genannt), der die Verbringung von Frauen über Bundesstaatsgrenzen zu „unmoralischen Zwecken“ unter Strafe stellte. Das vorgeblich gegen (erzwungene) Prostitution gerichtete Gesetz schränkte die weibliche Bewegungsfreiheit zwischen Bundesstaaten ein und kriminalisierte unerwünschte einvernehmliche Beziehungen. Als eines der frühen prominenten Opfer dieses Gesetzes wurde 1913 Jack Johnson, der erste schwarze Boxweltmeister im Schwergewicht, für seine Beziehungen zu weißen Frauen verurteilt. 1914 bezogen sich über 70 % der Verurteilungen von Frauen auf ihren freiwilligen Transport für Prostitution oder andere unmoralischen Zwecke.5Der letzte Kampf von Jack Johnson (fri, APA), der Standard, 21.04.2009, http://derstandard.at/1240297859634/Der-letzte-Kampf-von-Jack-Johnson; Unforgivable Blackness, a Film directed by Ken Burns, http://www.pbs.org/unforgivableblackness/knockout/mann.html; Moshoula Capous Desyllas: A Critique of the Global Trafficking Discourse and U.S. Policy. Journal of Sociology & Social Welfare, Dezember 2007, S. 61; http://globalfop.files.wordpress.com/2012/09/traffiking-discourse.pdf.
Rassismus, Unmündigkeit und Regulationismus
Erschreckend im Schwarzer-Appell ist nicht nur in diesem Zusammenhang die begriffliche Ausbürgerung nicht nachweisbar biologisch deutscher Frauen*, indem der Text trennt zwischen „deutschstämmigen“ (!) Prostituierten und „Ausländerinnen“; die Letzten werden unmittelbar mit „Armuts- und Zwangsprostitution“ verbunden. Zudem bagatellisiert die inflationäre Verwendung des Begriffs der Sklaverei (= Prostitution) millionenfachen historischen Sklavenhandel und Sklaverei.
Parallelen drängen sich auf. Ein Aufsatz in der Zeitschrift Osteuropa spricht von einer „Abgrenzungskrise“, in der sich die europäischen Staaten seit dem Umbruch von 1989 befänden. „Sex-trafficking-Diskurse definieren und verorten diese Verletzungen der Souveränität mit Hilfe von geschlechtsspezifischen und rassistischen Zuschreibungen wie „hilflose weiße Opfer“, „dunkle Kriminalität“ und „eine verletzte politische Gemeinschaft“.6Jacqueline Berman: (un)popular strangers and crises (un)bounded, zitiert in: Bärbel Heide Uhl, Claudia Vorheyer. Täterprofile und Opferbilder. Die Logik der internationalen Menschenhandelspolitik, in: Osteuropa, Heft 6/2006, S. 30. Mit dem Begriff des Frauenhandels7Tatsächlich kann Frauen- oder Menschenhandel auch im Inland stattfinden, nach der derzeitigen Gesetzeslage erfüllt es z.B. den Tatbestand des Menschenhandels, wenn eine Person, die über 18 Jahre, aber unter 21 Jahre alt ist, (ohne Zwang, Gewalt etc.) zur Aufnahme der Prostitution gebracht wird., von Frau Schwarzer wiederum mit Prostitution in Eins gesetzt, wird die Staatsgrenze zum Tatort; die (geschlechtlich) zugeschriebene Rolle des eigentlich migrationsunwilligen Opfers lässt eine gegen die unregulierte (weibliche) Mobilität gerichtete Grenz- und Sicherheitspolitik gerechtfertigt erscheinen. Tatsächlich wird weibliche Migration – in prekarisierte Arbeitsbereiche und insbesondere zum Verkauf von Sex – öffentlich-medial häufig nicht als solche, sondern wesentlich unter der Prämisse des Menschenhandels behandelt.
Martina Löw und Renate Ruhne beschreiben für Frankfurt die Verdrängung der Sexarbeiter_innen aus dem Straßenbild als Prozess der „Verhäuslichung“, mit dem sich auch die Rolle und Wahrnehmung der Prostituierten, die in einem eher männlich konnotierten öffentlichen Raum handelten, zu einer passiveren wandelte. „In der Konsequenz geht es um die ‚Reinigung‘ des öffentlichen Raums von Handlungsformen und Symbolen, die mit Dreck, Vulgarität, Lasterhaftigkeit, Unanstand oder Faulheit assoziiert werden.“ Mit dem Verschwinden der „Straßenkultur der als Unterschicht wahrgenommenen Prostitutionsszene“ werde eine deutliche räumliche Grenze zu der „soliden Frau“ hergestellt.8Martina Löw/Renate Ruhn (unter Mitarbeit von Christiane Howe und Regine Henn): „Eine umfangreiche Konzeption, die Dirnen von den Straßen zu holen.“ Zur Verhäuslichung der Prostitution in Frankfurt/Main. In: Sabine Grenz/Martin Lücke: Verhandlungen im Zwielicht. Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart. Bielefeld 2006. Sie stellen fest, dass die Medien über die auf der Straße arbeitenden Prostituierten als eine eher homogene Gruppe berichten, die „aber durchaus eigenwillig, selbstbewusst und ‚machtvoll‘ in Erscheinung treten“ und für „ordnungspolitische Kräfte“ „zentrale Ansprechpartnerinnen“ darstellen; mit der „Verhäuslichung“ sei diese Rolle auf die Bordellbetreibenden übergegangen (S. 192/193, Zitat S. 202).
Im Schwarzer-Appell wird auch erklärtermaßen freiwilligen Sexarbeiterinnen (männliche Sexarbeit kommt nur am Rand vor, Trans-Sexarbeiter_innen überhaupt nicht) ein menschenwürdiges Leben abgesprochen; damit wird nicht nur in der ethnisierenden Konstruktion der „Dritte-Welt-Prostituierten“ das Geschlechterbild der unmündigen Frau (re-)produziert. Zudem schließt der Appell die normative Erwartung an, dass sich „normale“ weibliche Sexualität ausschließlich auf die gesellschaftlich positiv sanktionierte, (immer noch vorzugsweise) heterosexuelle Liebe und Paarbeziehung richtet (in dem in der Wochenzeitung der Freitag veröffentlichten Auszug geht es dann endgültig um die heterosexuelle Ehe). Sexualität und Ökonomie („Käuflichkeit“) werden als in anderen Beziehungen unverbunden gesetzt; das sind sie selbstverständlich nicht (auch wenn dadurch nicht jede wirtschaftliche Beziehung gleich Sexarbeit wird). Die Aussagen, das „System Prostitution … überschattet die Gleichheit der Geschlechter“ und „brutalisiert das Begehren“ schaffen eine scheinbare gesellschaftliche Idylle, als wäre Gleichheit sonst hergestellt und psychische, physische, sexualisierte Gewalt jenseits von Sexarbeitsverhältnissen abwesend.9Jo Doezema stellt fest, „dass der ‚verletzte Körper‘ des ‚Dritte-Welt-Menschenhandelsopfers‘ in internationalen feministischen Debatten um Frauenhandel als machtvolle Metapher dient, um bestimmte feministische Interessen voranzutreiben, die nicht als die der Dritte-Welt-Sexarbeiter_innen selbst anzusehen sind.“ Jo Doezema: Ouch! Western feminists‘ ‚wounded attachment‘ to the ‚third world prostitute‘. Universität Sussex, Mai 2000, http://www.walnet.org/csis/papers/doezema-ouch.html. Laura María Agustín beschreibt den Unterschied zwischen der Selbstverständlichkeit, mit der in (lateinamerikanischen) Herkunftsländern über „Reisen und Arbeit, einschließlich dem Verkauf von Sex“ gesprochen werde und der Viktimisierung in europäischen Ländern als Ausgangspunkt für ihre Beschäftigung mit der Thematik. „Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Sprechweisen – warum sie existiert, wie sie funktioniert, was sie aufrecht erhält – veranlasste mich, meinen fragenden Blick von den gewöhnlich untersuchten Objekten (arme Frauen, ‚Prostituierte’, Migrant_innen) ab- und ihren ‚Helfer_innen’ zuzuwenden.“ Laura María Agustín: Sex at the Margins. Migration, Labour Markets and the Rescue Industry. London & New York, 2007, S. 135 (How I Came to This Subject).
„Der Regulationismus“, stellt Laura María Agustín fest, „der sozialen Konflikt durch Legalisierung einiger Formen von Sexarbeit entschärfen will, konstruiert nicht-regulierte Formen als illegal (und gewährt den Arbeitenden selten Arbeitsrechte).“10Laura María Agustín: Prostitution Law and the Death of Whores. Jacobin, 15.08.2013; http://jacobinmag.com/2013/08/prostitution-law-and-the-death-of-whores/. Die trotz des Prostitutionsgesetzes von 2002 weiterhin rigide Reglementierung trifft gerade die unter prekärsten Bedingungen Arbeitenden, häufig Migrant_innen, die mehrfach ausgeschlossen werden (aufgrund des Geschlechts, als „Ausländer_innen“ und „Prostituierte“).
Zum Beispiel: In Dortmund wurde im Mai 2011 nach einer monatelangen Kampagne gegen Sexarbeiter_innen, die seit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens 2007 zugewandert waren, der Straßenstrich geschlossen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk erklärt. Die legale Zuwanderung und Tätigkeit wurden illegalisiert, die weiterhin arbeitenden Frauen sind ordnungspolitischer und polizeilicher Repression ausgesetzt sowie ungeschützter und abhängiger geworden. Sexarbeiterinnen demonstrierten vor der Schließung für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, aber die Stadt Dortmund hörte sie nicht einmal an. Zu der Strichschließung erklärte der Dortmunder Sozialdezernent: „Wenn wir das jetzt abgeschafft haben, dann ist es natürlich richtig, dass die Sicherheit dann auch wieder eingeschränkt ist. Das ist richtig, aber das haben wir in Kauf genommen.“11Film von Edeltraud Remmel und Esat Mogul: Der Weg der Wanderhuren. Zwischen Dortmund und Stolipinovo . Erstsendung ARD/WDR: 05./06.01.2012.
Frau Schwarzer fordert mehr Regulierung in Form von Verboten. Das favorisierte schwedische Modell, das den Kauf, aber nicht den Verkauf sexueller Dienstleistungen verbietet, hat ebenfalls die Auswirkung einer stärkeren Gefährdung von Sexarbeiter_innen.12Unter anderem berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass Betroffene in einem offenen Brief gegen das Gesetz protestierten: „Prostitution soll am liebsten nicht sichtbar sein‘“, schrieben sie in der Zeitung Dagens Nyheter, „aber in dieser Verborgenheit profitieren Zuhälter und Menschenhändler; wir wollen diese loswerden.“ Gerhard Fischer: „Frauen sollen wissen, was ihre Männer tun“. SZ, 15.12.2008; http://www.sueddeutsche.de/panorama/prostitution-frauen-sollen-wissen-was-ihre-maenner-tun-1.770448. Eine Übersicht über Aspekte und Auswirkungen: http://sensuellqkonsult.wordpress.com/2007/05/26/lies-about-sexwork-in-sweden/. So fördern Verbote zwar das gewünschte Selbstbild einer „geschlechtergerechteren“ Gesellschaft – real verstärken sie Machtverhältnisse und Exklusionsprozesse. Mit dem Faktengehalt des Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ steht es einer Rezension in der Wochenzeitung der Freitag von Sonja Dolinsek zufolge nun auch nicht zum Besten.13Sonja Dolinsek: Prostitution: Ein deutscher Skandal? Freitag, 08.11.2013, http://www.freitag.de/autoren/sonja-dolinsek/prostitution-ein-deutscher-skandal. Überhaupt gibt es natürlich kaum Fakten, im Allgemeinen werden in diesem Bereich Spekulationen als Tatsachen lanciert.
Was bleibt?
Selbstverständlich gibt es Betrug, Zwang, (sexualisierte) Gewalt; sie sollten als solche benannt werden. Ein Grenzübertritt, der ohne Unterstützung unmöglich ist, oder Sexarbeit als migrationsstrategische oder wirtschaftliche Entscheidung sind nicht damit gleichzusetzen. Die Behauptung im Schwarzer-Appell, es sei „für einen aufgeklärten, demokratischen Staat doch undenkbar, die Sklaverei zu tolerieren“, verdeckt tatsächlich globale Ausbeutungszusammenhänge.
Dass aber Sexarbeit nicht gut sein kann, weil sie in einer sexistischen und kapitalistischen Gesellschaft stattfindet (rassistisch bleibt oft unerwähnt), ist ein Gemeinplatz. Sicher lassen sich Sexarbeit (und die Rolle der Kund_innen) davon nicht trennen (die „Natürlichkeit“ des Berufs zu postulieren ist ahistorisch). Aber muss weibliche Sexualität „bewahrt“ werden? Steht nicht hinter jedem „slut-shaming“ – auch jenseits von Sexarbeit – genau diese Annahme? Ist andere Arbeit gegen Geld selbstbestimmt? „Die ‚Dritte-Welt-Prostituierte‘“, erklärt Jo Doezema die Bedeutung dieser Figur für die Markierung des Kontrasts zur westlichen ‚emanzipierten Frau‘ und gleichzeitig als Symbol, „unterdrückt durch Tradition und Religion, ausgebeutet von einem westlichen patriarchalen Kapitalismus, die die Last des kolonialen Erbes angenommener Rückständigkeit und sexueller Unschuld trägt, ist die perfekte Figur, um sie der Welt als Bild sexuell unterworfener Weiblichkeit entgegenzuhalten.“14Jo Doezema (2000), a.a.O.
Die in weiten Teilen als „emotionale Arbeit“ beschriebene Tätigkeit hat allerdings Entsprechungen zu anderen mit Gefühlsarbeit verbundenen Tätigkeiten und insbesondere zu prekarisierten Arbeiten in Care-Bereichen, die qua Geschlecht und Ethnizität häufig migrierten Frauen* zugewiesen sind. Sexarbeit fällt damit, im Spannungsfeld der trotz Grenzsicherung und Regulierung zugenommenen weiblichen Mobilität und trotz des ihr anhaftenden Gegenimages zur „sorgenden Frau“, in die globale (Re-)Organisierung reproduktiver Arbeit entlang von gender, race, class.15„Seit den 1970er Jahren hat sich die Sexarbeit zu einem transnationalen Bereich entwickelt, in dem mehrheitlich Migrantinnen tätig sind und der durch eine gesteigerte Mobilität und eine globalisierte und diversifizierte Sexindustrie gekennzeichnet ist.“ Faika Anna El-Nagashi: Sexarbeit und Migration. Veranstaltung „Migrant women at work“ von VIDC, WIDE, Frauensolidarität Arbeiterkammer und ÖEZA, 27. Januar 2011, http://www.oneworld.at/start.asp?ID=245121. Vielfältige Lebensentwürfe und Migrationswege (und Erfolge und Misserfolge) werden in der Debatte um Sexarbeit (zu der es unter den Arbeitenden verschiedenste Haltungen geben kann) jedoch auf Stereotyp und Stigma reduziert.
Die Schlussrechnung ist einfach: Je weniger Repression und Restriktionen, umso mehr Perspektiven für Sexarbeiter_innen – also Sexarbeit als Profession ebenso wie Weiterbildungs- und Ausstiegsangebote, gleichberechtigter Zugang zu diversen Absicherungsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Schutz vor Gewalt, Arbeits- und Bleiberechten und nicht nur abhängig vom Opferstatus, … . Sexarbeiter_innen fordern ihre Beteiligung an politischen Prozessen, die sich mit Sexarbeit befassen, was Entmündigung und Opferbild verhindern. Sie sind zwar in den Medien zurzeit präsent, aber der Koalitionsvertrag verspricht mit einer „umfassenden Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes“ weitere Schritte in Richtung Restriktionen.16Eine Zusammenfassung derzeitiger und mit dem Koalitionsvertrag geplanter weiterer Regelungen: http://courtisane.de/blog/?p=823; das eine oder andere Interview aus der letzten Zeit: http://jungle-world.com/artikel/2013/45/48783.html, http://www.berliner-zeitung.de/berlin/sexarbeiterin-kristina-marlen—meine-vision-ist-die-ausweitung-der-prostitution-,10809148,25024332.html, http://www.zeit.de/2013/48/prostituierte-tanja/komplettansicht, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/prostitution-interview-mit-sexarbeiterin-johanna-weber-a-930660.html. Die Kriminologin Monika Frommel kritisierte bereits im September, die Regulierung der Branche erfolge ausschließlich unter den Stichwörtern „Opferschutz“ und „Menschenhandel“ statt unter arbeits- und gewerberechtlichen Gesichtspunkten.17Monika Frommel: Sexarbeit ist ein Beruf. tageszeitung, 11.09.2013, https://www.taz.de/Kommentar-Prostitution/!123348/. „Die Große Koalition plant, Armuts- und Zwangsprostitution härter zu ahnden“, verkündet tatsächlich die Zeit18Koalitionsvertrag: Freiern von Zwangsprostituierten droht Strafe. Zeit online, 01.12.2013; http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-12/koalitionsvertrag-zwangsprostitution. – die Ineinssetzung ist wohl kein Versehen.
Johanna Weber, Domina und Mitgründerin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, schreibt über den Appell FÜR Prostitution: „Einige Unterschreibwütige hatten ein echtes Problem, sich so offen zur Prostitution zu bekennen. … Was sie nicht offen gesagt haben war, dass sie eigentlich auch ein Problem mit der öffentlichen Meinung rund um die Prostitution haben. … Die ganze Aufregung kann ich verstehen, und sie zeigt sehr deutlich mit was für einer Stigmatisierung wir tagtäglich leben müssen.“19Johanna Weber: Petition pro Prostitution oder wie Alice Schwarzer und hilft indem sie uns abschaffen will. 09.11.2013, http://www.johannaweber.de/zartliche_Dominanz/DOMINA-BLOG/Eintrage/2013/11/9_Petition_Pro_Prostitution_oder_wie_Alice_Schwarzer_uns_hilft_in_dem_sie_uns_abschaffen_will.html.
Also um die Bedingungen zu ändern – wenn unterschreiben, dann hier: http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85.