Zwangsgeheimhaltung

Nach einer Pressemittteilung des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) von Montag ist einem aus Pakistan geflüchteten schwulen Mann trotz der dortigen drastischen Gesetze eine Abschiebung angekündigt worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war einem Bescheid von Februar zufolge bei der Prüfung von Abschiebehindernissen für den Geflüchteten zu dem Schluss gelangt, er müsse schließlich seine Homosexualität in Pakistan nicht offen leben. Es scheint dem BAMF auch weiterhin egal zu sein, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2013 festgestellt hatte, es dürfe von Asylantragstellenden keine Geheimhaltung oder Zurückhaltung beim Ausleben ihrer sexuellen Orientierung im Herkunftsland verlangt werden, um einer Verfolgungsgefahr zu entgehen. Und dass das mittlerweile auch das Bundesverfassungsgericht bekräftigt hat.

„In dem genannten Fall führt die BAMF-Entscheiderin sogar aus, dass ein öffentliches Leben als schwuler Mann in Pakistan gefährlich ist. Im Verfolgerstaat Pakistan kann Homosexualität mit der Todesstrafe1Zur gesetzlichen Lage in Pakistan gibt Schweizer Flüchtlingshilfe an (11.06.2015): „Gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen sind in Pakistan gesetzlich verboten. … Der Artikel 377 legt fest, dass freiwilliger und ‚unnatürlicher‘ Geschlechtsverkehr mit einem Mann, einer Frau oder einem Tier mit Haft von mindestens zwei Jahren bis lebenslänglich sowie mit einer Busse bestraft wird. Häufig werden zwei weitere Gesetzesartikel angewendet, um Homosexuelle strafrechtlich zu verfolgen. Es handelt sich dabei um den Artikel 294, der ‚obszöne Tänze und Lieder‘ unter Strafe stellt sowie Artikel 295, ein Gesetz gegen Blasphemie. Gemäss dem 1990 eingeführten Scharia-Gesetz werden homosexuelle Handlungen mit Peitschenhieben, Haft oder mit dem Tod bestraft.“ geahndet werden. Die eigentliche Unverschämtheit des Bescheids besteht in der zentralen Begründung der Entscheiderin, die sogar Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung ist. Aus ihrer Sicht sei es dem Mann kein inneres Bedürfnis, seine Homosexualität öffentlich auszuleben. Dies begründet sie damit, dass er seine Homosexualität aus Angst auch in Deutschland verbirgt. Einem schwulen Mann den Wunsch nach einem offenen Umgang mit seiner Homosexualität abzusprechen, weil er – während er in einer Flüchtlingssammelunterkunft wohnt und noch nicht weiß, ob er nicht bald nach Pakistan abgeschoben wird – geheim lebt, widerspricht dabei nicht nur jedem gesunden Menschenverstand, sondern selbst den eigenen europarechtswidrigen aber weiterhin geltenden internen Vorgaben des BAMF“, erklärt der LSVD.

Stop deportation for LGBTIQ*
Hamburg 2018 – Demonstration „Welcome United“

Ähnlich hatte das BAMF letztes Jahr argumentiert, um den Asylantrag einer trans Frau aus Äthiopien abzulehnen: Sie sehe als Frau unauffällig aus und werde in ihrem Herkunftsland schon nicht als trans Person erkannt und verfolgt oder diskriminiert werden. Diese Entscheidung – trotz vorheriger Haft- und Gewalterlebnisse – über ihren Antrag erfolgte „unter Nutzung ihres ‚männlichen‘ Namens aus ihrem Ausweis und des ‚er‘-Pronomens, unter zynischer Relativierung und Legitimierung ihrer Erfahrungen und mit dem Hinweis, dass sie mit ihrem Aussehen nicht als trans Frau zu identifizieren sei“, berichtete Queer.de, und obwohl ihre Ausweisdokumente, in denen ihr Geschlecht als männlich angegeben war, in Äthiopien ein deutliches (zusätzliches) Problem dargestellt hätten. Schließlich revidierte das Bundesamt nach einer längeren Kampagne seine Abschiebungsentscheidung wieder.

Die Rechtswissenschaftlerin Petra Sußner hat im Asylmagazin 7–8/2021 (berechtigterweise) auf die ursprünglich heteronormativ angelegte Flüchtlingsdefinition hingewiesen und damit auch darauf, „dass Heteronormativität Herkunfts- und Aufnahmestaat verbindet, sich in Verfolgung [im Herkunftsstaat] und unzureichendem Schutz [im Aufnahmestaat, d. h. hier] entfaltet“, weshalb gerade queeren Geflüchteten oft der Zugang zu rechtlichen Garantien fehle (auch wenn sie ihnen eigentlich zustehen). Der LSVD fordert entsprechend in seiner Pressemitteilung, mit dieser „menschenverachtenden Bescheidungspraxis und den unsäglichen ‚Diskretionsprognosen‘“ endlich ein Ende zu machen. Solche Veränderungen sind wichtig und können für Betroffene (über-)lebensnotwendig sein.

Dennoch ist es hier weiterhin problematisch, dass ebenfalls für eine Anerkennung der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität als Fluchtgründe bestimmte normative Vorstellungen erfüllt werden müssen, weil für den Erhalt der „Flüchtlingseigenschaft“ zunächst die eigene Verfolgung als homosexuelle, trans Person etc. gegenüber dem BAMF glaubwürdig zu machen ist. Bis der Anspruch durchgesetzt ist, leben Geflüchtete oft jahrelang mit einem prekären Aufenthaltsstatus, abgesehen davon, dass ein insgesamt leichtfertiger Umgang mit Menschenleben durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geradezu Methode hat. Die letztliche Forderung bleibt also die nach Solidarität mit allen und Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für alle Migrant*innen* und Flüchtlinge (wie sie dann auch auf dem fotografierten Transparent oben ausgedrückt ist).

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