„Das Ende der Schlange ist in der vierten Etage“

(oder: wie in der Ausländerbehörde Dortmund dermaßen lange Schlangen entstehen)

Schließlich hat es einen Monat gedauert, bis ihr Wohnsitz umgemeldet war, und sie war fünfmal bei der Ausländerbehörde in Dortmund und einmal bei der Ausländerbehörde für ihren bisherigen Wohnort. Das ist Ablehnungsmentalität: Die Ummeldung hätte bereits beim zweiten Besuch möglich sein müssen.

Aber um von vorne anzufangen:
Sie wohnt in einer Kleinstadt nicht weit von Dortmund und will sich von ihrem Ehemann trennen. Sie hat Mut und packt zwei Taschen. Wenn sie weggeht und er sie findet, dann ist sie in Gefahr. Nennen wir sie einfach die mutige A, weil sie gerade ihren Mut zeigt. Bekannte bringen sie nach Dortmund zu … nennen wir sie einfach die verärgerte B, weil sie sich später (über die Ausländerbehörde) ärgert. Dort kann A erst einmal bleiben. Als ersten Schritt – danach die Anmeldung bei Arbeitsagentur, die Suche nach einer eigenen Wohnung… – wollen die beiden am Montag danach die mutige A in Dortmund anmelden.

Auf der Website der Stadt Dortmund steht über die Anmeldung von Nicht-EU-Bürger_innen: „Nach Ihrem Zuzug nach Dortmund müssen Sie persönlich im Dienstleistungszentrum der Bürgerdienste International erscheinen. Hier wird sowohl die melderechtliche als auch die ausländerrechtliche Anmeldung vorgenommen.“

Am Montag warten A und B ungefähr eineinhalb Stunden bei den Bürgerdiensten International, bis ihnen die Mitarbeiterin an der Information ein Zettelchen in die Hand gibt, „Sie müssen eine Etage höher, aber für heute ist es zu spät“ (es ist kurz nach 10.00 Uhr vormittags). Außer „Asyl und humanitäre Aufenthalte“ sind zwei Zimmernummern und Öffnungszeiten – an drei Tagen in der Woche von 7.30 Uhr bis 10.00 Uhr – auf dem 6,5 cm x 5,5 cm kleinen Zettel angegeben. Dass sich Inhaber_innen bestimmter Aufenthaltstitel woanders ummelden müssen, hätte nun schon auf der Website stehen können – dann wären sie gleich dorthin gegangen.

Am nächsten Öffnungstag sind A und B zehn Minuten nach Beginn der Öffnungszeit im Dortmunder Stadthaus. Menschen stehen unten vor der Treppe, die zu dem Flur mit den angegebenen Zimmern führt, und darüber windet sich eine Menschenschlange die Treppe hoch. „Das Ende der Schlange ist in der vierten Etage“, sagt ein Wartender zu A und B. Die Etage, auf der sie sich befinden, ist als Erdgeschoss gekennzeichnet. Sie steigen die Treppe hoch (eine Schlange, sagt die mutige A, eine Anakonda) – Familien mit Kleinkindern, die auf den Stufen sitzen, aneinandergelehnt, eine Gruppe Männer, die Vorübergehende mit Handschlag begrüßt, eine frierende alte Frau, die in einer Ecke steht, kaum Weiße, drei oder vier weiße Frauen mit Männern, sicher noch mehr begleitende Freund_innen und Angehörige, aber nicht sichtbar. Sie finden das Schlangenende dreieinhalb Etagen höher zwischen der dritten und der vierten Etage. Sie gehen zurück und schließen sich unten der Schlange an. Nachdem sie über eineinhalb Stunden gewartet haben, werden sie in den Flur eingelassen. Es werden Nummern für die Wartebereiche im Flur verteilt. Die Mitarbeiterin, die ihnen eine Nummer gibt, sagt: „Gehen Sie Kaffee trinken und kommen Sie in etwa einer Stunde wieder.“ „„Das Ende der Schlange ist in der vierten Etage““ weiterlesen

4. April: Erinnern an die Opfer des „NSU“

Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşik, Kioskbesitzer in der Dortmunder Nordstadt, von den Neonazi-Killern „Nationalsozialistischer Untergrund“ in seinem Geschäft erschossen. Dieser Mord jährt sich in diesem Jahr zum zehnten Mal und am 4. April beginnt an der Mallinckrodtstraße 190 um 17.30 Uhr eine Demonstration mit folgender Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des NSU-Terrors.

Seit über einem Jahr gibt es im Landtag Nordrhein-Westfalens einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum „Nationalsozialistischen Untergrund“. Am 13. Januar dieses Jahres begann der NRW-Untersuchungsausschuss, sich mit dem Mord in Dortmund zu beschäftigen. Elif und Gamze Kubaşik, die Ehefrau und die Tochter von Mehmet Kubaşik, schilderten an dem Tag den Ausschussmitgliedern die Verdächtigungen und pauschalisierenden Zuschreibungen, die den Getöteten und sie selbst über Jahre zu Täter_innen machten und stigmatisierten. Man habe ihnen jahrelang das Leben genommen, sagte Gamze Kubaşik, – das sei Polizei gewesen (Berichte über die Ausschusssitzung finden sich hier oder hier oder hier). „4. April: Erinnern an die Opfer des „NSU““ weiterlesen

(Lesenswerteres zu) Köln – oder: wie sexualisierte Gewalt zur Förderung von Rassismus instrumentalisiert wird

Die sexualisierte Gewalt in der Silvesternacht in Köln vor dem Hauptbahnhof macht momentan bei dem Thema für Feministinnen* recht ungewohnte Schlagzeilen. Das liegt wohl daran, dass jetzt wieder „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur“ ausgemacht werden können (und Biodeutsche anscheinend nicht sexualisiert gewalttätig werden).

Hier folgen nun Links zu mehreren lesbaren Kommentaren zur Medienaufregung und Hetze im Netz:

Die Rape Culture wurde nicht nach Deutschland importiert – sie war schon immer da. Stefanie Lohaus und Anne Wizorek erklären auf Vice: „Ein in Sachen sexualisierter Gewalt halbwegs sensibilisierter Mensch kann sich dieser Tage nur verwundert die Augen reiben—wenn er nicht schon vor Wut schäumt. Die Gewalt am Kölner Hauptbahnhof als singuläres Ereignis darzustellen, als Ausnahme, die von außen über das „gute Deutschland“ hereingebrochen ist, schadet von Gewalt Betroffenen mindestens so sehr wie die Verwendung des Begriffs „Antanzen“ für die Art der Übergriffe.“ „(Lesenswerteres zu) Köln – oder: wie sexualisierte Gewalt zur Förderung von Rassismus instrumentalisiert wird“ weiterlesen

Online-Petition: keine Lager für Frauen!

Die Selbstorganisation geflüchteter Frauen Women in Exile hat eine Online-Petition initiiert:

Women in Exile & Friends

In den letzten Monaten haben wir viel Aggression und manchmal sogar Gewalt von Rechtsradikalen gegen Unterkünfte für Flüchtlinge gesehen und wir haben auch gesehen, dass viele Linke und MenschenrechtsaktivistInnen und viele andere Teile der Zivilgesellschaft aktiv waren, um Unterkünfte für Flüchtlinge zu verteidigen und ihre Solidarität mit Flüchtlingen auszudrücken.
Wenn Flüchtlinge in Sammelunterkünften leben müssen, sind sie immer Gewalt ausgesetzt. Denn das bedeutet eine Trennung von anderen Teilen der Gesellschaft und macht Flüchtlinge verwundbar.
Dies ist einer der Gründe, warum wir und viele andere FlüchtlingsaktivistInnen seit vielen Jahren sagen: Kein Lager ! Wir wollen wie alle anderen in Wohnungen leben!
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Asylrest

20 Jahre De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Der Missbrauchsvorwurf, der zunehmend öffentlicher diskutiert wurde, diente seit dem Ende der Anwerbemigration der Verschlechterung der Bedingungen des Asylverfahrens. Er rechtfertigte im Rahmen von Verfahrens-Novellierungen zahlreiche Restriktionen gegenüber FlüchtlingsmigrantInnen, die entweder in einer Beschleunigung des Verfahrens, der Verkürzung und Reduzierung der Rechtswege und/oder einer Verschlechterung der sozialen Leistungen für Flüchtlinge bestanden. So wurde ab Mitte der 1970er Jahre in Baden-Württemberg der „Tatbestand“ des „offensichtlich in rechtsmissbräuchlicher Absicht“ gestellten Antrags auf ganze Gruppen angewendet. … Ebenso wurde die so genannte Residenzpflicht eingeführt, die die Bewegungsfreiheit von AsylmigrantInnen auf den Landkreis beschränkte. … Der Landkreiseverband Bayern erklärte 1978, dass eine Integration von AsylbewerberInnen durch „bewußt karge lagermäßige Unterbringung zu verhindern [ist]. Sie muß als psychologische Schranke gegen den Zustrom Asylwilliger aufgebaut werden“.1Serhat Karakayali: Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in Deutschland. Bielefeld 2008, S. 172.

Am 26. Mai 1993 wurde die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes im Bundestag beschlossen. Die Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ in Absatz 2, die unter dem Eindruck der Verfolgung im Nationalsozialismus aufgenommen worden war, wurde gestrichen bzw. in einen neuen Artikel 16a verlagert. Dieser Artikel legt seitdem fest, dass Deutschland von „sicheren Drittländern“ umgeben ist und Asylantragsteller_innen, die über solche sicheren Drittländer einreisen oder aus einem als sicher geltenden Herkunftsland kommen, kein Asyl erhalten. Das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch abgeschafft.

Quellen: die tageszeitung, Westfälische Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 1993
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