Ethnisierung von Gewalt (Fortsetzung vom letzten Jahr)

Wie kann es sein, dass so viele behaupten, kein Racial Profiling im Vorgehen der Polizei in der Silvesternacht in Köln erkennen zu können? Um es kurz zusammenzufassen: Nach übereinstimmenden Berichten nutzte die Polizei die Ausgänge des Kölner Hauptbahnhofs, um Ankommende in polizeilich als weiß (linke Tür) und nordafrikanisch (nicht-weiß) Identifizierte (rechte Tür), die in einem Kessel bis zu drei Stunden festgehalten wurden, zu sortieren. „Anwesende Polizisten sprechen von ‚selektieren‘“, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger um 21:32 Uhr. „Es wird keiner zu früh gehen“, erklärte Polizeipräsident Jürgen Mathies später. „[M]ehrere Hundert Personen, die augenscheinlich aus Afrika stammen“, meldete die Polizei Köln in der Nacht auf Facebook und auf Twitter etwa gleichzeitig „mehrere Hundert Nafris“.1Quellen u. a.: Christoph Herwartz: Köln, Hauptbahnhof: Wer feiern darf und wer nicht, n-tv, 01.01.2017, http://www.n-tv.de/politik/Wer-feiern-darf-und-wer-nicht-article19445146.html; Newsticker zum Nachlesen. Festnahmen und Kontrollen – So war die Silvesternacht in Köln, Kölner Stadt-Anzeiger, 01.01.2017, http://www.ksta.de/koeln/newsticker-zum-nachlesen-festnahmen-und-kontrollen—so-war-die-silvesternacht-in-koeln-25398418; Sebastian Weiermann: Rassistische Großkontrollen zum Jahreswechsel, neues deutschland, 02.01.2017, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1037154.rassistische-grosskontrollen-zum-jahreswechsel.html; Felix Christians: Silvester: Kölnverbot für Nicht-Weiße, Ruhrbarone, 02.01.2017, http://www.ruhrbarone.de/silvester-koeln/137189. (Es ist übel, solche Äußerungen auch noch zu wiederholen, stimmt, hat aber hier erklärenden Charakter.)

Die Abkürzung, die diversen Meldungen zufolge für „nordafrikanische Intensivtäter“ steht, sei eigentlich nicht für den öffentlichen Gebrauch bestimmt, erklärte Kölns Polizeipräsident Mathies nachher. Macht es etwas besser, wenn ein homogenisierend-diskriminierender Begriff für eine Gruppe von Menschen (die aus Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien kommen sollen, auch wenn die Länder nicht alle in Nordafrika liegen, aber egal) hauptsächlich intern verwendet wird? Der Begriff beschreibe nur generell „Menschen eines bestimmten Phänotyps“, hatte ein Polizeisprecher gegenüber Spiegel online zu relativieren versucht. „Was genau einen Menschen zum potenziellen „Nafri“ macht, ob es die Hautfarbe, Frisur oder Kleidung sei, das wollte der Sprecher nicht sagen, ergänzte jedoch: ‚Wie ein Nordafrikaner grundsätzlich aussieht, das weiß man.‘ “2Kölner Polizei rechtfertigt sich. Vorwurf der Diskriminierung / Amnesty fordert Untersuchung des Einsatzes zu Silvester (FR/epd), Frankfurter Rundschau, 03.01.2017; Christian Neeb: Kölner Silvesterkontrollen. Was bitteschön ist ein „Nafri“?, Spiegel online, 01.01.2017, http://www.spiegel.de/panorama/justiz/silvester-kontrollen-in-koeln-was-bitteschoen-ist-ein-nafri-a-1128172.html.

Sexismus durchzieht die Gesellschaft. Sexualisierte Übergriffe finden nicht im Wesentlichen durch (in diesem Fall polizeilich) als nicht-biodeutsch oder nicht-weiß identifizierte Männer statt, das ist eine allgemein bekannte Tatsache, eine Binsenweisheit (wobei die als nicht-biodeutsch Identifizierten nicht notwendigerweise auch tatsächlich nicht biodeutsch sein müssen). Werden aber heterosexistische/patriarchale Strukturen auf Andere projiziert – kulturalisiert, ethnisiert bzw. aus dieser Gesellschaft „ausgelagert“ –, werden innergesellschaftliche Auseinandersetzungen darüber und Gesellschaftsveränderung unnötig. Rassismus ist eben superbequem. Gewaltbetroffenen Frauen* oder LGBTI* nützt diese Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt natürlich nichts, aber darum geht es auch nicht. Schon Anfang letzten Jahres standen weniger die sexualisierten Übergriffe und Gewalt in der Silvesternacht bzw. gesellschaftliche Strukturen, die diese hervorbringen, im Fokus, sondern die mutmaßliche Täterherkunft – und der politische Wunsch, Marokko, Algerien und Tunesien zu angeblich „sicheren“ Herkunftsstaaten zu erklären, um Menschen dorthin pauschal schneller abschieben zu können.

Was hätte die Polizei denn tun sollen? – ist nun eine häufig gestellte (und meistens mit Lob für die Polizei verbundene) Frage. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, erklärte am Montag ein Sprecher des Bundesinnenministeriums zusätzlich, Kontrollen, die nur an die äußere Erscheinung von Personen anknüpften, ohne dass „weitere verdichtende polizeiliche Erkenntnisse“ dazukämen, seien rechtswidrig – und würden von der Bundespolizei deshalb auch nicht praktiziert. Genau wegen solcher (generalverdachtsabhängiger) Kontrollen hat aber die Bundespolizei in den letzten Jahren mehrere Gerichtsverfahren verloren.3Steven Geyer: Kölner Silvesternacht: „Racial Profiling“ in Köln?, Frankfurter Rundschau, 02.01.2017, http://www.fr-online.de/politik/koelner-silvesternacht–racial-profiling–in-koeln-,1472596,35052848.html. Zum Thema Racial Profiling (bzw. Gerichtsverfahren deswegen) u. a.: Oliver Klasen und Jonas Schaible: Diskriminierende Polizeikontrollen. Hauptkriterium: Hautfarbe, Süddeutsche Zeitung, 22.11.2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/diskriminierende-polizeikontrollen-hauptkriterium-hautfarbe-1.1529047; Hartmut Wagner: Ausweiskontrolle wegen Hautfarbe? Neue Schlappe für die Polizei, Rhein-Zeitung, 24.10.2014, http://www.rhein-zeitung.de/region_artikel,-ausweiskontrolle-wegen-hautfarbe-neue-schlappe-fuer-die-polizei-_arid,1223855.html; George Stavrakis: Rechtswidrige Polizeikontrolle. Die Hautfarbe spielt keine Rolle, Stuttgarter Nachrichten, 24.10.2015, http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.rechtswidrige-polizeikontrolle-die-hautfarbe-spielt-keine-rolle.7c9e678a-881f-44da-b011-2ebe837d884e.html; Joachim F. Tornau: Racial Profiling: Kontrolle wegen Hautfarbe war rechtswidrig, Frankfurter Rundschau, 22.04.2016, http://www.fr-online.de/politik/racial-profiling-kontrolle-wegen-hautfarbe-war-rechtswidrig,1472596,34138118.html; Nadja Schlüter und Charlotte Haunhorst: „Warum ausgerechnet ich?“, jetzt, 03.01.2016, http://www.jetzt.de/rassismus/erfahrungen-mit-racial-profiling-in-deutschland. Es lässt sich hier nur das Fazit ziehen, dass Ordnungsmacht und Sicherheitsexpert_innen in Nordrhein-Westfalen – die wirklich nicht vollkommen ohne Erfahrung mit Großereignissen sein können – innerhalb eines ganzen Jahres kein nicht rassistisches Konzept entwickeln können, oder? Und entsetzt feststellen, dass mittlerweile kaum noch jemand beim Namen nennen will, was massenhaft und offensichtlich in Köln und anderswo stattgefunden hat und stattfindet.

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