Zeit, über die Nordwache zu reden

„Gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse verändern sich. … Hier zeichnet sich jedoch eine Hartnäckigkeit des männlich konnotierten Verhaltensrepertoires in der institutionellen Struktur der Polizei ab. Für den deutschsprachigen Raum konstatiert [der Kriminologe Rafael] Behr, dass die Cop Culture – also die gelebte Polizist*innenkultur in Abgrenzung zur offiziellen Polizeikultur, die sich z. B. in Leitbildern der Polizei zeigt – nach wie vor androzentrisch geprägt ist. Die von ihm beschriebene polizeiliche Maskulinität drückt sich in Überlegenheitsgesten, Dominanz gegenüber einem ‚Gegner‘, Rigidität und der Produktion von ‚Siegern‘ und ‚Verlierern‘ entlang einer klaren Einordnung von Freund und Feind aus. Die Figur der Krieger-Männlichkeit oder auch aggressiven Männlichkeit ist im Rahmen der Cop Culture immer noch hegemonial …“1Eva Brauer: Männliche Räume – polizeiliche Raumproduktion und Geschlecht, CILIP 126, 11.08.2021, https://www.cilip.de/2021/08/11/maennliche-raeume-polizeiliche-raumproduktionen-und-geschlecht/.

„Die Lage war statisch. Der Jugendliche saß da und tat nichts“, beschrieb Oberstaatsanwalt Dombert Zeitungsberichten2Christian Althoff: „Die Lage war statisch“: Beim tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund sollen Beamte die mutmaßliche Gefahr erst geschaffen haben, Westfalen-Blatt, 02.09.2022, https://www.presseportal.de/pm/66306/5312107 (Original online nicht abrufbar); Tödliche Polizeischüsse: Schütze suspendiert (dpa/lnw), Süddeutsche Zeitung, 02.09.2022, https://www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-dortmund-toedliche-polizeischuesse-schuetze-suspendiert-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220902-99-604515. zufolge zuletzt die Situation am Anfang des Polizeieinsatzes in Dortmunds Nordstadt, bei dem der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé getötet wurde. Weil der suizidgefährdete minderjährige Geflüchtete aus dem Senegal auf dem Boden saß und sich ein Messer an den Bauch hielt, hatte am 08. August die Jugendeinrichtung, in der er untergebracht war, die Polizei um Unterstützung gebeten. Die kam mit zwölf Beamt*innen. Im Verlauf des Einsatzes erschoss ein Polizist den Jugendlichen mit mehreren Schüssen aus einer Maschinenpistole.
Offenbar war Mouhamed Dramé nach einem Reizgasangriff der Polizei aufgestanden, eine Situation, die die Polizist*innen „als bedrohlich wahrgenommen haben wollen“3Christian Althoff: „Die Lage war statisch“: Beim tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund sollen Beamte die mutmaßliche Gefahr erst geschaffen haben, Westfalen-Blatt, 02.09.2022, https://www.presseportal.de/pm/66306/5312107.. Dann wurden Taser (also Elektroimpulswaffen) eingesetzt und als die nicht wie polizeilich erwünscht wirkten, wurde schnell geschossen. Abgesehen davon, dass der Jugendliche wohl in keiner Sprache angesprochen wurde, die er verstand (d. h. Französisch oder Wolof), steht im Widerspruch zu anfänglichen „Rechtfertigungen“ – er habe mit dem Messer angegriffen – nach nun öffentlich gewordenen Ermittlungsresultaten sogar infrage, „ob und wieweit“ er sich nach dem Taserangriff überhaupt „noch fortbewegte“.4Schriftlicher Bericht des Ministers des Innern „Aktueller Sachstand zum Polizeieinsatz am 08.08.2022 in Dortmund“, 01.09.2022, https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-78.pdf.

Dortmund, Missundestraße: Gedenken an Mouhamed Lamine Dramé am Tatort
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Ethnisierung von Gewalt (Fortsetzung vom letzten Jahr)

Wie kann es sein, dass so viele behaupten, kein Racial Profiling im Vorgehen der Polizei in der Silvesternacht in Köln erkennen zu können? Um es kurz zusammenzufassen: Nach übereinstimmenden Berichten nutzte die Polizei die Ausgänge des Kölner Hauptbahnhofs, um Ankommende in polizeilich als weiß (linke Tür) und nordafrikanisch (nicht-weiß) Identifizierte (rechte Tür), die in einem Kessel bis zu drei Stunden festgehalten wurden, zu sortieren. „Anwesende Polizisten sprechen von ‚selektieren‘“, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger um 21:32 Uhr. „Es wird keiner zu früh gehen“, erklärte Polizeipräsident Jürgen Mathies später. „[M]ehrere Hundert Personen, die augenscheinlich aus Afrika stammen“, meldete die Polizei Köln in der Nacht auf Facebook und auf Twitter etwa gleichzeitig „mehrere Hundert Nafris“.1Quellen u. a.: Christoph Herwartz: Köln, Hauptbahnhof: Wer feiern darf und wer nicht, n-tv, 01.01.2017, http://www.n-tv.de/politik/Wer-feiern-darf-und-wer-nicht-article19445146.html; Newsticker zum Nachlesen. Festnahmen und Kontrollen – So war die Silvesternacht in Köln, Kölner Stadt-Anzeiger, 01.01.2017, http://www.ksta.de/koeln/newsticker-zum-nachlesen-festnahmen-und-kontrollen—so-war-die-silvesternacht-in-koeln-25398418; Sebastian Weiermann: Rassistische Großkontrollen zum Jahreswechsel, neues deutschland, 02.01.2017, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1037154.rassistische-grosskontrollen-zum-jahreswechsel.html; Felix Christians: Silvester: Kölnverbot für Nicht-Weiße, Ruhrbarone, 02.01.2017, http://www.ruhrbarone.de/silvester-koeln/137189. (Es ist übel, solche Äußerungen auch noch zu wiederholen, stimmt, hat aber hier erklärenden Charakter.) „Ethnisierung von Gewalt (Fortsetzung vom letzten Jahr)“ weiterlesen