Dortmund muss neuen Straßenstrich einrichten
Gratulation … nicht zu einem Jahrestag oder ähnlichen Anlass, auch wenn es zeitlich nicht weit davon entfernt ist:
Ende März 2011 fasste der Rat der Stadt Dortmund den Beschluss, den Straßenstrich zu schließen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk zu erklären. Fast zwei Jahre danach hat nun am Donnerstag das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, es sei „nicht vertretbar, dass Straßenprostitution in keinem Bereich möglich ist“. Die Klägerin, die vor der Strichschließung in Dortmund arbeitete, sah durch die Entscheidung der Stadt Dortmund ihre Existenz bedroht und hatte Erfolg. „Wir haben gewonnen“, rief eine der Frauen quer durch den Gerichtssaal – nur die Vertreter von Stadt und Bezirksregierung blieben ernst. Sie hatten alles versucht und extra noch den Leiter des Kriminalkommissariats 22 mitgebracht, der für Kontrollen im Rotlichtbereich verantwortlich ist.1Peter Bandermann, Jörn Hartwich: „Wir haben gewonnen“. Prostituierte erkämpft vor Gericht Wiedereinführung des Straßenstrichs. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Dortmund, 22.03.2013.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat keine Berufung zugelassen. Leider wird die Gerichtsentscheidung wohl dennoch nicht schnell umgesetzt werden: Die Stadt Dortmund will nicht, wie verlangt, nach einem neuen Standort für die Sexarbeit auf der Straße suchen, sondern prüfen, ob sie juristisch gegen das Urteil vorgehen kann. Der damaligen Schließung des Straßenstrichs war eine monatelange Kampagne gegen Zuwanderer_innen aus Bulgarien und Rumänien vorangegangen und auch gestern warnte in der Lokalpresse unverzüglich ein Polizeisprecher, die Straßenprostitution ziehe auch Kriminelle an. Zurzeit arbeiten die vom Strich Vertriebenen teilweise illegalisiert in der Dortmunder Nordstadt weiter; der Grund für die Aufrechterhaltung prohibitiver Maßnahmen kann daher nicht der „Jugendschutz“ in Wohngebieten sein, auch wenn es die Stadt Dortmund gern behauptet. Vielmehr scheint das von Stigmatisierung und Repression geprägte Vertreibungskonzept gescheitert. „Wo bleibt das Menschenrecht, wo die Würde der Frauen?“, fragte eine Kollegin am Rande des Prozesses. Man habe auf der Straße zuletzt „Katz und Maus mit der Polizei“ gespielt.2Annika Fischer: Dortmunder Prostituierte Dany K. hat ein Recht auf den Straßenstrich. WAZ, 22.03.2013, http://www.derwesten.de/region/rhein_ruhr/dortmunder-prostituierte-dany-k-hat-ein-recht-auf-den-strassenstrich-id7753006.html.
Europa gegen Sexarbeit und Migration
In vielen Ländern Europas bewegen sich allerdings Maßnahmen bedenklich in eine restriktive Richtung3Birgit Tombor: Verbot ist keine Lösung. DieStandard, 22.02.2012, http://diestandard.at/1324410971631/Kaeuflicher-Sex-Verbot-ist-keine-Loesung. und sowohl in den Medien als auch auf europäischer Ebene wird Sexarbeit in Zusammenhang mit Migration häufig als „Menschenhandel“ qualifiziert. Bereits 2006 analysierten Bärbel Heide Uhl und Claudia Vorheyer die europäische „Bekämpfung des Menschenhandels“ als tatsächliches Vehikel für einen Ausbau staatlicher Sicherheitsapparate: „Die Sicherheit der Grenzen ist Hauptbestandteil der Risikobeschreibung, und die von Menschenhandel betroffenen Personen werden aus der Sicht der Zielländer als Risikoträger und potentielle Täter dargestellt. Demzufolge werden verschiedene Maßnahmen zur Verhinderung illegaler Grenzübertritte wie schärfere Grenzkontrollen und die Sammlung biometrischer Daten empfohlen…. Die politische und soziale Ausgrenzung durch Grenz- und Sicherheitspolitik scheinen erforderlich und werden legitimiert.“4Bärbel Heide Uhl, Claudia Vorheyer: Täterprofile und Opferbilder. Die Logik der internationalen Menschenhandelspolitik, in: Osteuropa, Heft 6/2006, S.26 bzw. S. 32.
Im Gefolge der Verabschiedung des sogenannten „Stockholmer Programms“5http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/09/st17/st17024.de09.pdf; Kritiken daran unter anderem unter: http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/stockholm.html., dem Fünfjahresplan der EU für eine gemeinsame Innen- und Sicherheitspolitik (d.h. den Ausbau polizeilicher, militärischer und geheimdienstlicher Zusammenarbeit und Kompetenzen) wurde Ende 2010 Myria Vassiliadou, bis dahin Generalsekretärin der Europäischen Frauenlobby, zur „EU-Koordinatorin für die Bekämpfung des Menschenhandels“ ernannt.6http://europa.eu/rapid/press-release_IP-10-1715_de.htm Die Europäische Frauenlobby versucht ihrerseits seit längerem mit einer Kampagne „Gemeinsam für ein Europa frei von Prostitution“ unter der Prämisse „Das System der Prostitution ist eine Form von Gewalt gegen Frauen“7http://www.womenlobby.org/spip.php?rubrique187&lang=en Einfluss zu nehmen. Abgesehen von der impliziten begrenzten Wahrnehmung – nicht nur Frauen* sind Sexarbeiter_innen, aber Geschlechtervorstellungen prägen hier die Bilder – sind der Kampagnentitel und der nahegelegte Schluss irreführend. Verbots-„Erfolge“ sind wie in Dortmund Illegalisierung und stärken durch Verweigerung von Selbstbestimmungsmöglichkeiten potenzielle Gewalt – sofern sich im gesellschaftlichen Kontext von Selbstbestimmung reden lässt, was ja nicht nur Sexarbeit betrifft. Jo Doezema argumentiert, dass die Repräsentation der „Dritte-Welt-Prostituierten“ als viktimisierte Andere im Grunde die „Notwendigkeit einer Intervention durch westliche Feministinnen“ begründet und damit de facto der Selbstrepräsentation und Förderung von Eigeninteressen dient.8Jo Doezema: Ouch! Western feminists‘ ‚wounded attachment‘ to the ‚third world prostitute‘, https://walnet.org/csis/papers/doezema-ouch.html.
Eine „Sexworker-Organisation in Gründung“ erklärt daher auch die Notwendigkeit des geplanten Zusammenschlusses von Sexarbeiter_innen auf ihrer neuen Website: Immer noch müssen wir alle gerettet werden. Immer noch werden wir automatisch mit Kriminalität in Zusammenhang gebracht. … Wir brauchen eine eigene Stimme!9http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Home.html
Und jedenfalls hier in Dortmund trotz allem erst einmal: Gratulation zu dem Gerichtsurteil!