Wohin im Jemen?

Mitte März hat im Jemen der Nationale Dialog begonnen: Eine Konferenz mit 565 Delegierten und neun Ausschüssen, die sechs Monate tagen soll, um eine Grundlage für die Zukunft des Landes zu schaffen. Aber nicht alle der nominierten Delegierten, unter ihnen die 2011 mit Friedensnobelpreis ausgezeichnete Aktivistin Tawakul Karman, wollten an der Konferenz teilnehmen. Stattdessen forderte sie in einem Interview zunächst den vollständigen Rückzug des weiterhin straffrei im Land lebenden jemenitischen Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh aus der Politik.

Dies sei nicht der Dialog, zu dem sie aufgerufen hätten, erklärte sie zum Beginn der Konferenz. Die Beteiligung der Jüngeren, Frauen und zivilgesellschaftlichen Gruppen sei ungleichgewichtig im Verhältnis zu der Vertretung der alten Eliten, die das „Blut der revolutionären Jugend an den Händen haben“. Tatsächlich hat die frühere Regierungspartei General People’s Congress (GPC), deren Vorsitzender immer noch Ex-Präsident Saleh ist, mit 112 Sitzen den höchsten Delegiertenanteil erhalten. Eine Reihe anderer Parteien ist ebenso präsent wie die südjemenitische Bewegung al-Hirak, deren Forderungen sich zwischen Autonomie und Sezession des Südens bewegen. Unabhängigen Vertreter_innen der Jugend, der Frauen und der Zivilgesellschaft wurden jeweils 40 Sitze zugesprochen, bei einer Frauenquote für die Konferenz von insgesamt 30 %.

Ermutigt durch die tunesische Jasmin-Revolution waren Anfang 2011 auch im Jemen Tausende auf die Straße gegangen. Bei der Rebellion wurden innerhalb etwa eines Jahres bis zum Rücktritt von Präsident Saleh mehr als 2.000 Menschen getötet. Bloggerin Afrah Nasser kritisiert daher in einem Brief an Abd Rabbo Mansur Hadi, zurzeit Übergangspräsident des Jemens und unter Saleh dessen Vizepräsident, die Wahl des Anfangsdatums der Konferenz als Versuch, den 18. März 2011 aus dem Gedächtnis zu verbannen. Auf Dächern postierte Scharfschützen hatten am Freitag der Würde 2011 in die Menge geschossen und über 50 Menschen getötet. „Sie beabsichtigen, uns nur die Konferenz in Erinnerung zu halten, aber was ist mit dem Massaker?“, schreibt sie.

Die Zeitung Yemen Times wiederum fragt, was angesichts der hochgesteckten Ziele der Konferenz – der staatlichen Neustrukturierung und einem Weg zu den für Februar nächsten Jahres geplanten Wahlen – der Dialog Frauen in den ländlichen Gebieten im Jemen bringen kann. „Es gibt keine Hebammen in den Dörfern“, zitiert die Zeitung Um Ezzaldin, eine 27-Jährige, die im Gouvernement al-Mahwit aufgewachsen ist.

Nach Ansicht verschiedener Kritiker_innen wird der von den bisher herrschenden politischen Kräften dominierte Dialog bestenfalls zur Stabilisierung des zersplitterten Landes beitragen und weniger den gewünschten politischen Wandel fördern oder die Armut großer Teile der Bevölkerung berücksichtigen. „Meine Befürchtung ist, dass der Dialog ein Weg sein kann, den Kuchen unter den Eliten aufzuteilen, damit sie zufrieden sind und nicht kämpfen“, äußerte die Aktivistin Sarah Jamal Ahmad gegenüber dem Sender Al Jazeera. Andere halten die Konferenz jedoch für zu wichtig, um nicht daran teilzunehmen, und haben die Hoffnung, dort gemeinsam etwas bewegen zu können. Stabilität wird allerdings die Priorität der Staaten des Golfkooperationsrates und der UN als Vermittler des Übergangsprozesses im Jemen gewesen sein.

Quellen: Ali Saeed: Female Dialogue Conference Delegates Confront Responsibility of Representing Rural Women. Yemen Times, 01.04.2013, http://yementimes.com/en/1664/report/2175/Female-dialogue-conference-delegates-confront-responsibility-of-representing-rural-women.htm; Rebecca Murray: Yemen activists ’sidelined‘ in post-Saleh era. Al Jazeera, 23.03.2013, http://www.aljazeera.com/indepth/features/2013/03/2013322173524135780.html; Arnold Hottinger: Ist Jemen zu retten? Nationaler Versöhnungskongress vor grossen Hürden. Journal 21, 20.03.2013, http://www.journal21.ch/ist-jemen-zu-retten; AFP:Yemen opens national talks amid rallies. Al Jazeera, 19.03.2013, http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2013/03/2013318164852751944.html; Afrah Nasser: Dear Mr President Abd Rabbuh Mansour Hadi, 18.03.2013, http://afrahnasser.blogspot.de/2013/03/dear-mr-president-abd-rabbuh-mansour.html; Danya Greenfield: Overcoming the pitfalls of Yemen’s National Dialogue. Foreign Policy, 18.03.2013, http://mideast.foreignpolicy.com/posts/2013/03/18/overcoming_the_pitfalls_of_yemen_s_national_dialogue; AFP: Yemen ‚faces political collapse‘, Nobel winner tells AFP. France 24, 05.02.2013, http://www.france24.com/en/20130205-yemen-faces-political-collapse-nobel-winner-tells-afp.

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