Textilindustrie: Näherinnen* unentlohnt

Als eine der ersten Handelsketten hatte das Unternehmen Adidas mitgeteilt, dass es die Miete für seine Ladengeschäfte momentan nicht mehr zahlen wird. Nach Protesten hatte der Sportartikel-Gigant Ende März dann erklärt, er wolle die Miete doch nur stunden und werde zumindest Privatvermieter*innen weiter bezahlen.1Michael Bauchmüller, Thomas Fromm, Uwe Ritzer: Corona-Krise. Mietfrei im Schuhladen, Süddeutsche Zeitung, 29.03.2020, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/corona-adidas-deichmann-miete-1.4860662. Längst sind dem fränkischen Sportartikelhersteller weitere Großunternehmen gefolgt, die ebenfalls keine Mieten mehr überweisen – wie Deichmann, H&M, C&A oder KiK und Tedi.2Unter anderem: Martin Mehringer, Christoph Neßhöver, Ursula Schwarzer: Immobilienbesitzern droht Kollaps. Handel, Hotels, Restaurants – niemand zahlt mehr Miete, manager magazin, 28.03.2020, https://www.manager-magazin.de/politik/artikel/corona-krise-handel-hotels-restaurants-niemand-zahlt-mehr-miete-a-1305795.html; Michael Westerhoff: Corona: KiK, Tedi und Woolworth wollen keine Miete mehr zahlen, WDR, 07.04.2020, https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/corona-keine-miete-kik-tedi-woolworth-dortmund-100.html. Mit der Entscheidung der Schuh- und Modeketten, die Ladenmieten nicht zu zahlen, nehmen die Konzerne eine neu geschaffene Möglichkeit in Anspruch, die eigentlich die Kündigung privater Wohnungsmieter*innen oder kleiner Ladeninhaber*innen verhindern sollte, wenn diese durch die Corona-Folgen in Existenznot geraten. Ein Widerspruch durch die Vermieter*innen nützt da auch nichts, wie sich in Ingolstadt bei einem angekündigten – letztlich sechsmonatigen – Zahlungsstopp von C&A herausstellte.3Bianca Hofmann: „Das werden wir uns nicht gefallen lassen“, Donaukurier, 08.04.2020, https://www.donaukurier.de/nachrichten/wirtschaft/Das-werden-wir-uns-nicht-gefallen-lassen;art154664,4547102.

Mit noch größerer Härte werden die Sparmaßnahmen der Textilkonzerne jedoch Beschäftigte in südostasiatischen Ländern treffen, die bei den Zulieferfirmen dieser globalen Giganten arbeiten bzw. nun wohl häufiger gearbeitet haben: Viele Aufträge sind einfach storniert worden. Ende März meldete die New York Times, dass viele Arbeiter*innen in Bangladesch, „hauptsächlich Frauen aus ländlichen Gebieten, bereits ohne geschuldete Löhne oder eine Abfindung nach Hause geschickt“ worden seien. Einer Untersuchung des Center for Global Workers‘ Rights der Pennsylvania State University zufolge, auf die die Times verweist, „weigerten sich fast alle westlichen Käufer, zu den Löhnen beizutragen, und 70 % der beurlaubten Arbeiter*innen waren ohne Bezahlung nach Hause geschickt worden.“4Elizabeth Paton: ‘Our Situation is Apocalyptic’: Bangladesh Garment Workers Face Ruin, New York Times, 31. März 2020, https://www.nytimes.com/2020/03/31/fashion/coronavirus-bangladesh.html. Berichtet wird in der Studie über mehr als eine Million Betroffene in Bangladesch, die entlassen wurden oder Zwangsurlaub haben. 5Mark Anner in Association with the Workers’ Rights Consortium: Abandoned? The Impact of Covid-19 on Workers and Businesses at the Bottom of Global Garment Supply Chains, CGWR, 27. März 2020, https://ler.la.psu.edu/gwr/Abandoned_CGWRWRCApril12020.pdf.

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[EU-Außengrenzen] Was tun?

Das Antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt hat einen Blogbeitrag [EU-Aussengrenzen] Was tun aus der Ferne? veröffentlicht, in dem Organisationen auf Lesbos, Spendenmöglichkeiten, Statements etc. verlinkt sind, und der hier anschließend mit einigen Ergänzungen repostet ist. Besonders in Zeiten öffentlicher Zurückhaltung – Veranstaltungen wird es in nächster Zeit kaum geben und die Stadt Dortmund droht bereits mit rechtlichen Schritten gegen Demonstrationen, als wären die Veranstalter*innen urteilsunfähig – sind andere Optionen eine gute Idee. Trotzdem sind weitere Proteste notwendig! Sieben EU-Staaten wollen nun Griechenland insgesamt 1.600 unbegleitete minderjährige und andere Geflüchtete abnehmen.1Grenze: Frontex rollt in Griechenland noch mehr Stacheldraht aus (afp), Frankfurter Rundschau, 12.03.2020, https://www.fr.de/politik/frontex-rollt-griechenland-noch-mehr-stacheldraht-ausorganisationen-fordern-neuausrichtung-13596304.html. Das ist völlig lächerlich! Die flüchtenden Menschen müssen endlich raus aus diesen Lagern auf den griechischen Inseln, in denen Frauen*, LGBTI+, und Kinder zweifellos sexualisierte Gewalt erleben, und auch runter von dem Kriegsschiff, auf dem sie jetzt festgehalten werden!

Hier nun der (ergänzte) Blogbeitrag:

Spenden
Wo kann man mit Spenden unterstützen? Wohin spenden, angesichts an der ganzen Situation an der griechisch-türkischen Grenze und auf Lesbos?
Hier drei Empfehlungen für sehr direkten support, selbstorganisiert, sinnvoll und nahe dran:
[1] https://legalcentrelesvos.org/
[2] https://enoughisenough14.org/2020/03/07/cars-of-hope-goes-to-greece-again-to-support-refugeesgr-we-need-your-support/
[3] http://antiranetlsa.blogsport.de/2020/01/22/balkanroute-direct-refugee-support/

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Wegen Papierfliegern vor Gericht

Bereits im Sommer 2018 fand in Nürnberg an der Zentrale des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Kundgebung statt, die in Zusammenhang mit einer Bustour der Gruppe Women in Exile & Friends von einer Aktivistin* des 8. März Bündnisses Nürnberg angemeldet worden war. Die Anmelderin* dieser Kundgebung stand nun letzten Freitag vor Gericht, weil sie den beteiligten geflüchteten Frauen* und Kindern nicht verboten hatte, Forderungen auf Papierfliegern an das Bundesamt zu richten. Die aus Papier, hauptsächlich im Din-A4-Format, gefalteten Flugzeuge hatten politische Forderungen wie „Stop deportation“, „Wir fordern gleiche Rechte“, „Lager abschaffen – Wohnraum für alle“ oder Kinderwünsche wie „Ich will ein eigenes Kinderzimmer und Lego zum Spielen“ über den Zaun getragen. Es sollen 50 Flieger gewesen sein.1Siehe unter anderem: PM „Women breaking borders“: Gerichtsprozess wegen Papierflieger über Zaun des BAMF, https://www.women-in-exile.net/pm-women-breaking-borders-gerichtsprozess-wegen-papierflieger-ueber-zaun-des-bamf/.

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Aufbruch im Sudan

Zum ersten Mal in Sudans Geschichte wurde vor einigen Tagen mit Neemat Abdullah Khair eine Frau zur Obersten Richterin und Präsidentin des Obersten Gerichtshofs im Sudan ernannt. Mit der Mitte August nach monatelangen Protesten vom Militärrat und von den Forces of Freedom and Change (FFC) verabschiedeten Verfassungserklärung war schließlich doch ein Wechsel eingeleitet worden. Unter anderem wurden in dieser Verfassungserklärung1Eine englische Version der Verfassungserklärung findet sich hier: http://sudanreeves.org/2019/08/06/sudan-draft-constitutional-charter-for-the-2019-transitional-period/. die Rechte der Bürger*innen Sudans festgehalten: Neben einem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden dort Frauenrechte garantiert. Die Gesetze, die Frauen* in vielen Lebensbereichen diskriminieren und einschränken, sind aber noch nicht aufgehoben.

Nach dem Blutbad im Sudan Anfang Juni, bei dem über 120 Demonstrierende ermordet und mindestens 70 Personen vergewaltigt worden waren, schien die Möglichkeit einer Einigung der Opposition mit dem herrschenden Militär weit weg. Mittlerweile ist sie jedoch zustande gekommen. In der Folge wurde noch Ende August der Souveräne Rat vereidigt, der den zuvor regierenden Militärrat als höchstes Gremium abgelöst hat. Der aus Militärs und Zivilist*innen bestehende Rat, in dem zwei Mitglieder weiblich sind, soll eine ungefähr dreijährige Übergangsphase leiten. Unter den 20 Kabinettsangehörigen der nun ebenfalls bestehenden Übergangsregierung, die dann im September (bzw. die letzten beiden erst im Oktober) ihre Ämter erhielten, befinden sich vier Ministerinnen, darunter mit Asma Mohamed Abdallah die erste Außenministerin des Landes. „Aufbruch im Sudan“ weiterlesen

Strich / Code / Move: kreative Entstigmatisierung

Die Kunstaktion Strich / Code / Move, ein Projekt der Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!, startet am 22. Juli in Berlin mit fünf Lovemobilen auf dem Washingtonplatz (hinter dem Hauptbahnhof) und bleibt dort bis zum folgenden Samstag. Im September ist sie dann in Hannover. Künstler*innen, Sexarbeiter*innen und andere Akteur*innen der Kampagne laden ein zum Event: Drinnen und draußen soll über Werte, Intimität und Sexualität und natürlich über Sexarbeit informiert und diskutiert werden.

Die künstlerische Wagenburg der Lovemobile – umgestaltete Wohnwagen – soll unter anderem ein Museum zur Geschichte der Sexarbeit in Deutschland beherbergen oder eine interaktive Ausstellung mit Sextoys, die bei Berührung Fragmente von Interviews mit Sexarbeiter*innen wiedergeben. Die Aktion will einen Kontrapunkt zur bleiernen Schwere der moralisierenden und paternalistischen Diskurse um Sexarbeit setzen. Vorrangiges Ziel ist es, durch eine kreative Plattform einen Raum zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema und mit dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) zu schaffen. Die Wagen werden daher unter der Leitung durch die Schwarmkünstlerin Kerstin Schulz und ihr Team vom atelier-dreieck in Gehrden bei Hannover aufgestellt. „Strich / Code / Move: kreative Entstigmatisierung“ weiterlesen

Nachtrag: wie weiter im Sudan?

Letzte Woche war die Situation im Sudan an einen kritischen Punkt gelangt. Mittlerweile werden die Verhandlungen um die Übergangsphase zwischen dem zurzeit herrschenden Militär und der zivilen Opposition jedoch wieder fortgesetzt. Diese Gespräche waren am Donnerstag vom Militärrat ausgesetzt worden. Und bereits letzten Montag waren in Khartum tödliche Schüsse auf Protestierende abgegeben worden. „Augenzeugen sind sich sicher: Die Schützen trugen die Uniformen der Rapid Support Forces (RSF), die schon seit Wochen mit ihren Geländewagen, auf denen schwere Maschinengewehre montiert sind, in den Straßen der Hauptstadt Khartum patrouillieren“, wurde in der Frankfurter Rundschau berichtet. Weitere Demonstrant*innen waren dann am Mittwoch letzter Woche bei einem ähnlichen Angriff verletzt worden. Der Militärrat hatte zuvor die Beseitigung von Straßenblockaden verlangt, die Protestierende errichtet haben, um den Druck aufrechtzuerhalten. Von einer Verantwortung für die bewaffneten Angriffe will er aber nichts wissen.

Allerdings ist der Kommandant der beschuldigten Rapid Support Forces, Mohamed Hamdan Dagalo („Hemiti“ oder in anderer Schreibweise „Hamiti“ genannt), der Vizechef des Militärrats. Seine (mittlerweile) mit der regulären Armee assoziierten RSF sind aus den berüchtigten Janjaweed-Milizen hervorgegangen, die in der Region Darfur für grausame Verbrechen verantwortlich gemacht werden und zurzeit unter anderem Söldnertruppen in Saudi-Arabiens Krieg im Jemen schicken. Außerdem sind sie inzwischen für die Überwachung der Grenzen zu Libyen, Ägypten und Tschad zuständig, auch um – im Auftrag der Europäischen Union – Migration in Richtung Europa zu unterbinden. Durch diesen als Khartum-Prozess bezeichneten Deal mit der EU, der dem sudanesischen Regime 200 Millionen Euro eingebracht haben soll und in dem Deutschland der Deutschen Welle zufolge eine federführende Rolle gespielt hat, sind im Sudan Flüchtlinge und Migrant*innen brutalen Menschenrechtsverletzungen durch die RSF ausgeliefert. „Nachtrag: wie weiter im Sudan?“ weiterlesen