Anschließend an vorausgegangene Beiträge muss natürlich festgestellt werden, dass patriarchale Mobilisierungen ebenso (wie rassistische) zugenommen haben, gegen eine Selbstbestimmung über den eigenen Körper (was unter anderem Schwangerschaftsabbrüche betrifft) und besonders gegen queere Menschen. Neonazi-Gruppen haben im letzten Jahr versucht1Paulina Bermúdez: Neonazis rufen überregional zur Störung des Christopher Street Days in Dortmund auf, Nordstadtblogger, 13.09.2024, https://www.nordstadtblogger.de/neonazis-rufen-ueberregional-zur-stoerung-des-christopher-street-days-am-samstag-auf/; Lorenz Blumenthaler (Pressemitteilung): 55 Angriffe auf CSDs in 2024: Amadeu Antonio Stiftung fordert zum Auftakt der CSD-Saison Schutz und bietet Unterstützung, Amadeu Antonio Stiftung, 28.05.2025, https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/pressemitteilungen/55-angriffe-auf-csds-in-2024-amadeu-antonio-stiftung-fordert-zum-auftakt-der-csd-saison-schutz-und-bietet-unterstuetzung/. und versuchen zurzeit erneut2Erik Peter: CSDs trotzen rechten Angriffen: „Wir haben Angst, dass es wieder wird wie in den 90ern“, die tageszeitung, 31.05.2025, https://taz.de/CSDs-trotzen-rechten-Angriffen/!6089007/., gegen Christopher-Street-Day-Demonstrationen mobil zu machen. Es soll(te) eine Drohkulisse aufgebaut werden, mit der sie ihre Agenda verfolgen, eine „Raumnahme durch reale oder angedrohte Gewalt. Alle, die nicht in ihr rechtes Weltbild und ihre Vorstellung von »Normalität« passen oder passen wollen, sollen sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen“, kommentierte das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention3Autorinnenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In): »Weiß, normal, hetero«: Wenn Neonazis gegen CSDs mobilisieren, nd, 29.09.24, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185627.queerfeindlichkeit-weiss-normal-hetero-wenn-neonazis-gegen-csds-mobilisieren.html. im September 2024 die Einschüchterungsversuche. Mit ihnen könnten die Neonazi-Gruppen an „endlose und oft inhaltsleere antifeministische und transfeindliche Debatten“ anknüpfen, in denen sich zunehmend heteronormativ-hierarchisierte Weltvorstellungen (oft nicht nur von rechts) ausdrücken.
Allerdings demonstrierten und feierten gerade erst am 26. Juni (also beinahe am Jahrestag der Stonewall-Riots, mit denen sich vor allem trans Frauen und queere Personen of Color am 28. Juni 1969 gegen eine Polizeirazzia im Stonewall Inn in New York wehrten, und an die mit den CSDs erinnert wird4Gedenk- & Aktionstage: Jahrestag der Stonewall-Aufstände: 28. Juni 2024, Christopher Street Day Leipzig, 28.06.2024, https://csd-leipzig.de/2024/06/jahrestag-der-stonewall-aufstaende/; Kuku Schrapnell: Komm bitte, Regenbogenflagge, analyse & kritik, 18.06.2024, https://www.akweb.de/gesellschaft/komm-bitte-regenbogenfahne/; Helena Kaschel: Stonewall: Beginn eines globalen Aufbruchs, Deutsche Welle (DW), 28.06.2019, https://www.dw.com/de/stonewall-beginn-eines-globalen-aufbruchs/a-49328161.) beim Berliner Christopher Street Day Hunderttausende, geschätzt bis zu 500.000 Menschen, unter dem Motto „Nie wieder still!“ gegen Diskriminierung und für Sichtbarkeit der LGBTI+-Community.5Nicolai Kary: Hunderttausende feiern Vielfalt auf Berliner CSD, die tageszeitung, 28.07.2025, https://taz.de/Hunderttausende-feiern-Vielfalt-auf-Berliner-CSD/!6099295/.
In Dortmund folgen in diesem Monat gleich mehrere CSD-Veranstaltungen: Der 27. CSD Dortmund – QUEER, LOUD, PROUD – Zusammen gegen Rechts beginnt am 16. August um 13:00 Uhr mit einer Demonstration (Nordausgang, Hauptbahnhof Dortmund), auf die ein Straßenfest folgt. Bereits für den Vorabend ruft die Gruppe TransAction Dortmund ab 18 Uhr (an der Katharinentreppe gegenüber vom Hauptbahnhof) zu einer Demonstration Queerer Protest statt Straßenfest auf, denn „in aktuellen Zeiten können wir Erfolge nicht zelebrieren, wenn diese wieder rückgängig gemacht und angegriffen werden. Wir brauchen einen lauten, politischen und wütenden Protest“.
Tatsächlich werden queere Personen öfter angegriffen; (nicht nur) queerfeindliche Straftaten sind stark angestiegen6WDR: Queerfeindlichkeit: Deutlich mehr Straftaten gemeldet, WDR1, 16.12.2024, https://www1.wdr.de/nachrichten/straftaten-gegen-queere-anstieg-uebergriffe-dunkelziffer-100.html. und im Mai wurde in Gelsenkirchen der Christopher Street Day wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ kurzfristig abgesagt.7Annika Matheis/Gordon Wüllner-Adomako: Christopher Street Day. Wegen Bedrohung: CSD in Gelsenkirchen kurzfristig abgesagt, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 17.05.2025, https://www.waz.de/lokales/gelsenkirchen/article409040278/wegen-bedrohung-csd-in-gelsenkirchen-kurzfristig-abgesagt.html. Auf die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Klöckner, auf dem Reichstagsgebäude keine Regenbogenflagge zum Berliner CSD als sichtbares Symbol wehen zu lassen, setzte Bundeskanzler Merz mit der Äußerung, der Bundestag sei „ja nun kein Zirkuszelt“, auf dem beliebig Fahnen gehisst werden könnten, noch unverhohlen einen drauf.8Tagesspiegel (dpa): „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“: Merz verteidigt Klöckners Entscheidung gegen Regenbogenfahne am CSD, Tagesspiegel, 02.07.2025, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/der-bundestag-ist-ja-nun-kein-zirkuszelt-merz-verteidigt-klockners-entscheidung-gegen-regenbogenfahne-am-csd-13951300.html.
Misogyne und queere Menschen abwertende Einstellungen reichen von ganz rechts über christlich-fundamentalistische bis in bürgerlich-konservative Kreise – und ebenfalls darüber hinaus, obwohl Merz‘ Aussage viel Kritik geerntet hat (und selbst aus seiner eigenen Partei). LSVD+ – Verband queere Vielfalt-Vorstand Andre Lehmann (der größten Dachorganisation für LSBTIQ* in Deutschland) urteilte deutlich, sie sei eine „Entgleisung“. „Ich möchte den Bundeskanzler daran erinnern, dass er von einer Verfolgtengruppe des Nationalsozialismus spricht, die auch noch in der Bundesrepublik lange Zeit unterdrückt und kriminalisiert wurde.“9BR24 Redaktion: „Entgleisung“: Scharfe Kritik an Merz nach „Zirkuszelt“-Aussage, BR24, 02.07.2025, https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/keine-regenbogenflagge-beim-csd-scharfe-kritik-an-merz-nach-zirkuszelt-aussage.
(Übrigens – das nur als Anmerkung, weil in einigen Kritiken die Zirkus-Metapher als Herabsetzung fortgeführt wurde – wurden auch Artist*innen als heterogene Gemeinschaft häufig verfolgt: sie kamen unter anderem aus Roma-und-Sinti-Familien, waren Jenische oder jüdisch. Einige der Zirkusse profitierten, aber andere boten Versteck- und Überlebensmöglichkeiten.10Ulrich F. Opfermann: Zu Widerspruch und Widerstand aus der Roma-Minderheit gegen NS-Bewegung und NS-System in der Rhein-Ruhr-Region (Abschnitt Duisburg: Selma Atsch und Familie), Interkultur Ruhr, 08.05.2020, https://interkultur.ruhr/notiz/zu-widerspruch-und-widerstand-aus-der-roma-minderheit-gegen-ns-bewegung; Alina Schwermer: »Ein blinder Fleck«, Jüdische Allgemeine, 13.11.2017, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ein-blinder-fleck/; Malte Gasche, Martin Holler: Projektbeschreibung, Diverging Fates, 22.02.2017, http://www.divergingfates.eu/index.php/2017/02/22/project-description/?lang=de.)
Jedenfalls ist festzustellen, dass sich mit dem Bedrohungszenario durch eine Geschlechterunordnung (d. h. die kritische Beleuchtung von Normalitätsannnahmen) sowie durch Selbstbestimmung zurzeit ohne Weiteres autoritäre Reflexe mobilisieren lassen – und breite Bündnisse in einem in queerfeindlich-antifeministischen Spektrum herstellen.11Das zeigt auch die Kampagne gegen die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf, die sich auf ihre Positionen zum Schwangerschaftsabbruch bezog, dazu unter anderem: Dinah Riese: Soziologe über AbtreibungsgegnerInnen: „Das Ziel ist, liberale RichterInnen zu verhindern“, die tageszeitung, 09.07.202 5, https://taz.de/Soziologe-ueber-AbtreibungsgegnerInnen/!6096111/; Wolfgang Janisch, Henrike Roßbach: Richterstreit: Brosius-Gersdorf verteidigt sich, Süddeutsche Zeitung, 15.07.2025, https://www.sueddeutsche.de/politik/bundesverfassungsgericht-wahl-frauke-brosius-gersdorf-vorwuerfe-reaktion-li.3284540.
Da bietet es sich doch an, weil es ohnehin ansteht: Heraus auf die Straße zum Christopher Street Day! Am besten gleich zur Vorabenddemo.