Fünf Jahre liegt das Datum – der 19. Dezember 2018 – jetzt zurück, an dem in mehreren sudanesischen Städten die Demonstrationen stattfanden, die im Sudan die Dezemberrevolution auslösten. Die nicht enden wollenden Proteste führten 2019 zum Sturz des Langzeitherrschers Omar al-Bashir und schließlich zur Bildung einer Übergangsregierung, die aus Militär und Zivilist*innen bestand (eine Zeit der Hoffnung).
Mehr als die Hälfte der 2019 über Wochen und Monate hartnäckig Revoltierenden waren Frauen*1Siehe u. a.: Lisa Westhäußer/Antonia Vangelista: Der Widerstand der sudanesischen Frauen darf nicht vergebens sein, Frankfurter Rundschau, 02.10.2023, https://www.fr.de/politik/sudan-krieg-frauen-militaer-rsf-milizen-gewalt-kaempfe-92513435.html; Melanie Götz: Gespräch mit Eiman Seifeldin über die Rolle von Frauen bei den Protesten im Sudan. „Frauen stellen die Mehrheit auf der Straße“, jungle world, 19.09.2019, https://jungle.world/artikel/2019/38/frauen-stellen-die-mehrheit-auf-der-strasse?page=all. und viele der beteiligten Organisationen/Gruppen bestanden bereits vor den Massenprotesten gegen das Regime. Die Nachbarschaftskomittees (neighbourhood resistance committeees) waren z. B. seit 2013 entstanden und auch feministische Gruppen oder die Tee- und Lebensmittelverkäuferinnen* hatten sich organisiert, wie Sara und Mustafa, Aktivist*innen von SudanUprising Germany, im November bei einer Veranstaltung im Black Pigeon in Dortmund erzählten.
Der Vortrag der beiden Vertreter*innen dieser Plattform sudanesischer und sudanesisch-deutscher Aktiver lässt sich hier (auf Englisch) bei Radio Nordpol nachhören: Krieg gegen Graswurzelbewegungen und Revolution.
Der Jahrestag könnte also einen Anlass zu Freudenfesten bieten. Aber Ende Oktober 2021 folgte ein Militärputsch, auf den die Bevölkerung trotz harter Repressionen mit erneuten Massendemonstrationen reagierte, ohne ihn jedoch zurückrufen zu können. Seit April 2023 erlebt das Land nun einen brutalen Krieg zwischen um die Macht konkurrierenden Militärführungen – den der Armee und der Rapid Support Forces (ein wenig mehr zu den RSF findet ihr in diesem früheren Beitrag).
Unmittelbar vor dem Gewaltausbruch – die Aktivist*innen von SudanUprising Germany wiesen bei der Veranstaltung in Dortmund darauf hin, dass es sich nicht, wie in den Medien teilweise dargestellt, um einen „Bürgerkrieg“ handelt, was rassistische Bilder chaotischer, gewalttätiger afrikanischer Verhältnisse hervorrufe, sondern um einen Konflikt zwischen skrupellosen militärischen Formationen – war durch die UN-Mission in Sudan (UNITAMS) unter Leitung eines Deutschen, Volker Perthes, gemeinsam mit der Afrikanischen Union (AU) und dem regionalen Zusammenschluss IGAD mit den Putschgenerälen verhandelt worden – obwohl Angehörige von Gewaltopfern forderten, die Militärjunta müsse zur Verantwortung gezogen werden, und weite Teile der Zivilgesellschaft einem „Übergang zur Demokratie“ mit Militär und RSF längst misstrauten.2Nada Wanni: Sudan’s hidden resistance: ‘The day that can no longer wait’, Al Jazeera, 25.10,2022, https://www.aljazeera.com/opinions/2022/10/25/sudans-hidden-resistance-coup-day-no-longer-wait; ST: Families of protest victims refuse to exempt military from accountability, Sudan Tribune, 11.11.2022, https://sudantribune.com/article266683/; Dabanga: Opposition parties criticise upcoming FFC agreement with Sudan junta, Dabanga Radio TV Online, 21.11.2022, https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/opposition-parties-criticise-upcoming-ffc-agreement-with-sudan-junta.
Kholood Khair, Gründerin eines sudanesischen Thinktanks, hielt der internationalen Gemeinschaft in der Folge vor, sie habe die Generäle „wie Reformer“ behandelt und ihnen Legitimität verschafft. Wesentliche Teile der sudanesischen Öffentlichkeit seien von den Verhandelnden dagegen selten einbezogen worden.3AFP: World leaders emboldened Sudan’s warring generals: analysts, France 24, 21.04.2023, https://www.france24.com/en/live-news/20230421-world-leaders-emboldened-sudan-s-warring-generals-analysts; siehe auch: Kholood Khair im Interview mit Judith Kormann: Krieg im Sudan: «Das Problem ist, dass beide Seiten denken, sie könnten gewinnen», WOZ, 08.06.2023, https://www.woz.ch/2323/krieg-im-sudan/das-problem-ist-dass-beide-seiten-denken-sie-koennten-gewinnen/!28CBDH1M28BT.
Durch den jetzigen Kriegszustand ist die sexualisierte Gewalt im Sudan enorm angestiegen, auch sollen der Weltgesundheitsorganisation zufolge mittlerweile mehr als 12.000 Menschen getötet worden sein. Ca. 6,8 Millionen der 25 Millionen Einwohner*innen sind aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben worden und haben entweder im Land anderswo Zuflucht gesucht oder sind in Nachbarländer geflohen.
Im Sudan selbst versuchen Netzwerke von Aktivistinnen* weiterhin, Vergewaltigungsopfer zu unterstützen, so weit das mitten in dem Konflikt möglich ist.4Karim El-Gawhary: Gewalt gegen Frauen in Sudan: „Keine Frau in Khartum ist sicher“, die tageszeitung, 31.05.2023, https://taz.de/Gewalt-gegen-Frauen-in-Sudan/!5937837/; Karin A. Wenger: Seit vier Monaten herrscht Krieg im Sudan – er wird auch auf den Körpern von Frauen ausgetragen, Neue Zürcher Zeitung, 14.08.2023, https://www.nzz.ch/international/vergewaltigung-als-kriegswaffe-frauen-im-sudan-ld.1751005. Nachbarschaftskomittees in den Städten leisten immer noch Überlebens- und Anti-Kriegsarbeit durch gegenseitige Hilfe, Aufrechterhaltung von Krankenhäusern oder Support von Flüchtenden.5Siehe unter anderem: Ela Yokes: ‘I see it as my duty to help for as long as I can‚: Sudanese volunteers on supporting hospitals and opposing the war, The New Humanitarian, 02.06.2023, https://www.thenewhumanitarian.org/feature/2023/06/02/sudanese-sudan-volunteers-support-hospitals-opposing-war; Mat Nashed: Sudan ‘resistance’ activists mobilise as crisis escalates, Al Jazeera, 22.04.2023, https://www.aljazeera.com/news/2023/4/22/sudan-resistance-activists-mobilise-as-crisis-escalates.
Ein Sudan-Iran Solidaritätsnetzwerk (die Kämpfe um ein anderes Leben in beiden Ländern legen einen Austausch nahe) in Deutschland fordert deshalb in einem gemeinsamen Aufruf zur Solidarität mit den Nachbarschafts-Widerstandskomitees auf – in denen der Erklärung nach Frauen* eine wichtige Rolle spielen. Es werden unter anderem die Einstellung jeglicher Unterstützung der Kriegsparteien verlangt, der Stopp von Abschiebungen, Bewegungsfreiheit für alle Geflüchteten sowie das Recht, in Sicherheit hier zu leben.
Wie Sara, Aktivistin von SudanUprising Germany, bei der Veranstaltung im November auch sagte, verbirgt der Begriff „Bürgerkrieg“ (civil war) für die Lage im Sudan die Gewalt in den Beziehungen zwischen Afrika und Europa (bzw. die deutsche/europäische Verantwortung für die Gewaltverhältnisse). Das gilt auch, lässt sich hinzufügen, für eine Bezeichnung von Flucht vor Verfolgung und Krieg als „irreguläre Migration“, die als Sprachgebrauch in den Medien gegenwärtig von oben durchgesetzt ist. Angesichts der fürchterlichen Pläne in mehreren EU-Ländern (auch diesem), Flüchtende demnächst endgültig in Lagern möglichst außerhalb Europas verelenden zu lassen, sollte zu den in dem Aufruf genannten Themen ohnehin (einmal wieder) viel mehr passieren.