… zum vorhergehenden Beitrag, weil es doch sehr eigenartig war, über die Verfolgung der Dortmunder Sinti*ze und Rom*nja in der NS-Zeit online nichts zu finden – sonst ist das Netz allgemein genutzte Veröffentlichungsmöglichkeit und Informationsquelle, wenn auch nicht immer die zuverlässigste – und offline, also auf Papier, lediglich den (woanders als Buchkapitel verdoppelten) Beitrag zu der Ausstellung Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945.1Günther Högl (Hrsg.): Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945. Katalog zur ständigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Dortmund 2002. Also wenig, über 75 Jahre! danach, in denen Vorurteile, Stigmatisierung und Ausschluss (inkl. polizeilicher und rassistischer Erfassungsakten) oft unverändert übernommen wurden. Dadurch ist offensichtlich nicht nur eine frühere Anerkennung des Genozids, sondern auch eine umfassende Erforschung und Aufarbeitung der Verbrechen gegen Sinti*ze und Rom*nja verhindert worden.
Noch ein wenig genauer beleuchten lässt sich aber durch ein Buchprojekt über die NS-Kriminalpolizei Düsseldorf2Bastian Fleermann (Hrsg.): Die Kommissare. Kriminalpolizei in Düsseldorf und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet (1920-1950), Düsseldorf 2018. die Position der Kriminalpolizeistelle Dortmund, die z. B. 1942 schon vor dem sogenannten Auschwitz-Erlass mit Gemeinden/Bezirken aus ihrem Zuständigkeitsbereich Pläne für eine „Umsiedlung“ bzw. Deportation von Sinti*ze und Rom*nja schmiedete3Dr. Karola Fings: Gutachten zum Schnellbrief des Reichssicherheitshauptamtes – Tgb. Nr. RKPA. 149/1939 -g- – vom 17.10.1939 betr. „Zigeunererfassung“ („Festsetzungserlass“), Köln, Januar 2018, S. 9, https://zentralrat.sintiundroma.de/download/11145. oder auch bei der Deportation aus Berleburg 1943 (im vorherigen Beitrag erwähnt) mitmischte.
In das NS-Regime war die Kriminalpolizei – in Kriminalpolizeileitstellen und Kriminalpolizeistellen organisiert, von denen sich eine in Dortmund befand – als Organ eingebunden, das angebliche „Gewohnheitsverbrecher*innen“, „Arbeitsscheue“, Obdachlose, Wanderarbeiter*innen, Homosexuelle, Sexarbeiter*innen oder Sinti*ze und Rom*nja verfolgte. Das heißt, die Kriminalpolizei war eine entscheidende Stelle (unter anderem) für die Porajmos-Umsetzung.
Der Kriminalpolizei Dortmund war die Kriminalpolizeileitstelle in Düsseldorf übergeordnet, deren Zuständigkeitgebiete das nördliche Rheinland sowie die gesamte Provinz Westfalen abdeckten; in ihrem Einzugsgebiet lebten neun Millionen Menschen. Der Bereich der Dortmunder Kriminalpolizei umfasste davon wiederum den südlichen Teil des damaligen Regierungsbezirks Minden (d. h. von Ostwestfalen), den Regierungsbezirk Arnsberg ohne den Ennepe-Ruhr-Kreis und mehrere Stadtkreise.4Nach: Bastian Fleermann: Die NS-Zeit 1933-1938. Die Düsseldorfer Polizei im Nationalsozialismus, in: Bastian Fleermann (Hrsg.): Die Kommissare. Kriminalpolizei in Düsseldorf und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet (1920-1950), Düsseldorf 2018, S. 108 ff.
Bei den Kriminalpolizei(leit)stellen wurden für eine härtere Verfolgung der Sinti*ze und Rom*nja ab 1939 Zigeunerstellen eingerichtet, die in Hinsicht auf (die für spätere Verschleppungen notwendige) „Identifizierung“ und Erfassung den polizeilichen Erkennungsdiensten angegliedert wurden. Auch die Stelle bei der Kriminalpolizei Dortmund, die von dem Sachbearbeiter für Zigeunersachen Franz Josef Iking geleitet wurde, war dem hiesigen Erkennungsdienst unter Fritz Volkhardt, der vor 1936 bei der Dortmunder Gestapo war, zugeordnet.
Ein Kapitel (aus dem oben genannten Buch) über die Dortmunder Kriminalpolizei6Markus Günnewig: „Unser Kampf gilt dem Verbrechertum“: Die Dortmunder Kriminalpolizei zwischen radikalisierter Verbrechensprävention und rassistischer Verfolgung, in: Bastian Fleermann (Hrsg.): Die Kommissare. Kriminalpolizei in Düsseldorf und im rheinisch-westfälischen Industriegebiet (1920-1950), Düsseldorf 2018, S. 280 ff. stützt sich zur Beschreibung der Rolle bei Verfolgung der Sinti*ze und Rom*nja im Wesentlichen auf Akten aus dem Zusammenhang des (im vorherigen Beitrag angesprochenen) Gerichtsverfahrens in Siegen 1948/1949 gegen die Berleburger Deportationsverantwortlichen.
Der Rom*nja-Verfolger Iking wird (nach Aktenlage) einerseits als angeblich „ruhiger und besonnener Beamter“ bezeichnet, andererseits wurden Registrierung und Deportationen von der Dortmunder Kripo grausam durchgesetzt. Es wurde „beispielsweise die Ortspolizei im siegerländischen Bad Berleburg … gerügt, da in der von ihr eingereichten Liste 68 Personen fehlten, die bei einer Kontrolle … durch einen Dortmunder Beamten festgestellt worden waren“. Oder es heißt zu den Deportationen 1943 von dort, „Iking hatte noch in Berleburg einer Betroffenen, die ihre drei Monate alte Tochter zu Hause gelassen hatte, mit Erschießen gedroht, falls sie diese nicht hole. Das Kind starb drei Wochen später in Auschwitz an Typhus.“7Zitiert nach: Markus Günnewig: „Unser Kampf gilt dem Verbrechertum“: Die Dortmunder Kriminalpolizei zwischen radikalisierter Verbrechensprävention und rassistischer Verfolgung, in: Bastian Fleermann (Hrsg.): Die Kommissare, Düsseldorf 2018, S. 284 und 285.
Über die von den Furchtbarkeiten betroffenen Sinti*ze und Rom*nja selbst und auch darüber hinaus ist leider trotz der Größe des Kriminalpolizei-Gebiets nichts Neues zu erfahren. Auch bleiben etwa die Zwangsunterkünfte in Dortmund, d. h. in Scharnhorst, Hörde und Lanstrop sowie als Sammellager in Derne, dessen 80 Insass*innen im März 1943 nach Ausschwitz-Birkenau deportiert wurden, für die ebenfalls die Zigeunerstelle Dortmund zuständig gewesen sein muss, ein blinder Fleck. Es sind hier also noch viele Fragen offen.
Insofern: Wie wäre es mit wenigstens einer Gedenktafel für die Verschleppten und Ermordeten an dem (nirgends genau angegebenen) Ort in Dortmund-Derne, an dem das Sammellager war?
Um aber die Betroffenen doch zu Wort kommen zu lassen, zum Schluss hier einige Links zu Berichten von denen/über die, die trotz allem überlebt haben:
Die Künstlerin Ceija Stojka, 1933 in Kraubath in der Steiermark (Österreich) geboren, die als Kind in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, schrieb 1988 ihr autobiografisches Buch Wir leben im Verborgenen. Als erste in Österreich erzählte sie darin die Geschichte des Mords an Sinti*ze und Rom*nja. Auch in ihren Gemälden verarbeitete sie ihr Leben und den Genozid.
Zeitzeug*innen-Interviews und schriftliche Erinnerungen Gott hat mit mir etwas vorgehabt! von Zilli Schmidt, als Zilli Reichmann in Hinternah, Thüringen, geboren und dieses Jahr im Juli 97 Jahre alt geworden, die in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Sachsenhausen eingesperrt wurde, lassen sich über die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas abrufen.
Rita Prigmore,1943 in Würzburg als Rita Winterstein geboren, wurde als Säugling gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester für Experimente missbraucht (Sinti*ze und Rom*nja waren auch von Sterilisation und pseudo-„medizinischen“ Menschenversuchen betroffen), bei denen ihre Schwester Rolanda starb. Sie selbst überlebte, aber hat bis heute mit den gesundheitlichen Folgen zu kämpfen. Als Zeitzeugin erzählt sie ihre rekonstruierte Geschichte.