Gewalten | Gesellschaftsstrukturen

Mitte letzten Monats, also zum dann gerade bevorstehenden Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* am 25. November, wurden für das Jahr 2024 die Bundeslagebilder „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ und „Häusliche Gewalt“ veröffentlicht: Der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zufolge hat die Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* in fast allen Bereichen (einmal mehr) zugenommen.1Fachinfo: BMI, BMBFSFJ und BKA veröffentlichen Bundeslagebilder „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ und „Häusliche Gewalt“ für das Jahr 2024, Der Paritätische, 21,11,2025, https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/bmi-bmbfsfj-und-bka-veroeffentlichen-bundeslagebilder-geschlechtsspezifisch-gegen-frauen-gerichtete-straftaten-und-haeusliche-gewalt-fuer-das-jahr-2024/. Fast 266.000 Personen wurden demnach 2024 Opfer sogenannter häuslicher Gewalt, d. h. von Gewalttaten in Beziehungen und/oder Familie; das sind 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Über 70 Prozent der Opfer sind weiblich.2Dazu unter anderem: Patricia Hecht: Polizeiliche Kriminalstatistik. Neuer Höchststand häuslicher Gewalt in Deutschland, die tageszeitung, 21.11.2025, https://taz.de/Polizeiliche-Kriminalstatistik/!6131692/, 266.000 Fälle im Jahr 2024: Polizei verzeichnet erneut mehr häusliche Gewalt – Opfer vor allem Frauen (mit AFP, dpa, epd), Der Tagesspiegel, 21.11.2025, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/266000-opfer-erneuter-anstieg-hauslicher-gewalt-14906657.html.

Aber das ist längst nicht alles: Nach einer ebenfalls erwähnten Dunkelfeldstudie, die Anfang nächsten Jahres vorgestellt werden soll, werden zurzeit „im Bereich Partnerschaftsgewalt“ unter fünf Prozent aller Taten angezeigt, die anderen blieben „aus Angst, Abhängigkeit oder Scham“ unregistriert.3Opferzahlen steigen: Gewalt gegen Frauen – und was die Politik dagegen tut (dpa), Die Zeit, 21.11.2025, https://www.zeit.de/news/2025-11/21/bundeslagebild-308-frauen-in-deutschland-gewaltsam-getoetet, Ob die Begriffe häusliche Gewalt oder Partnerschaftsgewalt, die in Statistiken schön neutral verwendet werden, hier zur Veränderung beitragen, ist zweifelhaft. Ohnehin ist eine gewöhnliche Vorstellung (weiterhin oder wieder vermehrt), dass es sich um Streitigkeiten im privaten Bereich handelt, und nicht, dass gesellschaftlich ungleiche Geschlechter-/Machtverhältnisse und Strukturen deutlich werden (auch wenn natürlich Männer* und Jungen* auch Opfer werden können und Gewalt nicht auf heterosexuelle Verbindungen beschränkt bleibt). Solche Begrifflichkeiten stellen patriarchale Privatheitsauffassungen (geht andere Personen nichts an) weder infrage, noch rücken sie Strukturen ins Bewusstsein.

Wenigstens, könnte eine sagen, ist die Zahl der „im Kontext von Partnerschaftsgewalt“ ermordeten Frauen* gegenüber dem Vorjahr auf 308 Tötungen gesunken – wenn das nicht viel zu viele wären (jede* ist eine zu viel!!). Von Femiziden spricht übrigens die polizeiliche Statistik dieses Jahr lieber nicht, weil die Tatmotivation nicht festgehalten werde und für Femizd (noch) keine Definition festgelegt ist; sie werden also schlicht und einfach nicht erfasst.

Mit einer Studie des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen ist die mörderische Gewalt gerade zum ersten Mal systematisch untersucht worden; demnach fanden mit 81 Prozent die meisten Femizide in heterosexuellen Paarbeziehungen statt. Auch sonst bestätigt die Analyse, was wir im Grunde wissen: Das „wesentliche Motiv“ besteht in patriarchalem Besitzdenken, in Zusammenhang mit Trennung und Eifersucht. Handlungsbedarf sehen die Forschenden vor allem bei Gewalt begünstigenden männlichen Sozialisationsmustern.4Pressemitteilung: Studie „Femizide in Deutschland“ vorgestellt, Institut für Kriminologie, 20.11.2025, https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/pressemitteilungen/newsfullview-pressemitteilungen/article/studie-femizide-in-deutschland-vorgestellt/;Femizide: Besitzdenken und Eifersucht als Hauptmotive (dpa), Süddeutsche Zeitung, 20.11.2025, https://www.sueddeutsche.de/panorama/femizide-femizide-besitzdenken-und-eifersucht-als-hauptmotive-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-251120-930-316797; Amelie Sittenauer: Neue Studie zu Femiziden. Warum Männer Frauen töten, die tageszeitung, 20.22.2025, https://taz.de/Neue-Studie-zu-Femiziden/!6131363/. Hauptsächlich von rechts, aber nicht nur, werden diese aber momentan als „natürliches“ (Macht-)Anspruchsdenken von Männern* (male entitlement) über andere Gruppen verstärkt gefördert. Und dass keiner* geholfen ist, wenn (imaginierte) Befürchtungen mit abwertenden Warnungen besonders vor migrantisch gelesenen Menschen instrumentalisiert werden, versteht sich eigentlich von selbst, lässt sich dennoch zur Diskursverschiebung (weg von den realen Problemen) schamlos nutzen.
Bei fast 90 Prozent dieser Partnerinnenfemizide habe es bereits vorher Gewalt in der Beziehung gegeben, so die Untersuchung.

Wo bleiben also die fehlenden Frauenhausplätze?? Die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser fürchtet eher deren Abnahme, obwohl Anfang des Jahres vor der Bundestagswahl doch noch schnell das Gewalthilfegesetz verabschiedet wurde. „Doch bis das Gesetz 2032 vollständig in Kraft tritt, scheint sich die Situation zu verschlechtern: Es gibt Hinweise, dass sich verschiedene Bundesländer aus der Finanzierung der Frauenhäuser zurückziehen werden.“5Pressemitteilung: Gewalt ist jetzt Realität – Schutz muss jetzt Realität werden!, Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser, 25.11.2025,https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/wp-content/uploads/2025/11/Pressemitteilung-25.11.2025.pdf. Das bewahrheitet sich in Nordrhein-Westfalen – auch hier wurde in einem im Oktober veröffentlichten, auf das Bundesland bezogenen Lagebild eine Gewaltzunahme festgestellt – da die NRW-Landesregierung mitgeteilt habe, „dass der geplante Bau eines Frauenhauses in Düsseldorf auf Eis gelegt sei“. Es werde auf die ab 2028 verfügbaren Bundesmittel gewartet.6Aktuelle Stunde: LKA: Mehr Fälle von häuslicher Gewalt in NRW, WDR1, 01.10.2025, https://www1.wdr.de/nachrichten/haeusliche-gewalt-lka-nrw-100.html. Bis dahin kann viel passieren, denn natürlich geht es um die Verteilung von Ressourcen: Während z. B. die Luftverkehrssteuer bald sinken soll, um die Flugbranche zu entlasten7Senkung der Luftverkehrssteuer: Union fordert günstigere Tickets für Fluggäste, tagesschau, 16.11.2025, https://www.tagesschau.de/inland/luftfahrt-fluggesellschaften-union-sommerurlaub-ticketpreise-100.html, protestierten am 18. November, dem Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, Betroffene dagegen, dass im Bundeshaushalt die Mittel für den Fonds sexueller Missbrauch gestrichen wurden – trotz gegenteiliger Aussagen im Koalitionsvertrag.8Haushaltsausschuss streicht Mittel für den Fonds Sexueller Missbrauch: Betroffene fordern „Rettet den Fonds“, Eckiger Tisch, 18.11.2025, https://www.eckiger-tisch.de/demonstration-vor-dem-familienministerium-rettet-den-fonds-sexueller-missbrauch/; Haushaltsausschuss streicht Mittel für Missbrauchsopfer (DIE ZEIT, epd, KNA, dar), Die Zeit, 14.11.2025, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-11/haushaltsausschuss-missbrauchsopfer-gelder-gestrichen.

Trotzdem ist viel erkämpft worden – vor ungefähr 50 Jahren, 1976, öffnete das erste autonome Frauenhaus in Westberlin, dann ein zweites in Köln. In Berlin wollten die Parteien mit der Finanzierung als „Modellversuch“ für drei Jahre „auch die Kontrolle über das Projekt haben, doch das widersprach den Ansprüchen der Autonomie der Frauen. Einzige Zusage seitens der Gründerinnen an die Geldgeber: Sie gründeten einen ‚Trägerverein‘, der juristisch und formal für das Projekt verantwortlich ist […].“9Bessy Albrecht-Ross (2003): Die Geschichte der Frauenhäuser, https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/wp-content/uploads/2021/05/af_02_ross.pdf. Studentinnen in Köln öffneten dort das erste Frauenhaus „in einem zum Abriss freigegebenen Gebäude, das notdürftig von Vereinsmitgliedern, vielen Freundinnen und betroffenen Frauen eingerichtet und im November 1976 bezogen wird. […] – vom ersten Tag an ist das Haus überfüllt.“10Flyer zur Ausstellung der Autonomen Frauenhäuser Köln (2009), https://www.frauenhaus-koeln.de/wp-content/uploads/2011/07/Ausstellung-FhF_11_2009_web.pdf.

Zwei Personen betrachten einen Teil der Installation „Gewalten Formen“ mit dem Text „Nur 1% der Täter werden verurteilt“
(Foto: Gewalten Formen)

Mit einem künstlerisch-politischen Installations­projekt (eine Abschlussarbeit von zwei Studentinnen der Fachhochschule), Gewalten Formen, wurden im November an mehreren Orten in Dortmund Strukturen sichtbar gemacht, „die Gewalt gegen Frauen* aufrechterhalten. Es entlarvt die Missstände in unserer Gesellschaft und den Staatsgewalten, die unsere Gesetze, Urteile und Institutionen formen – und bringt diese Informationen in den öffentlichen Raum, für jede*n zugänglich.“.

Aber warum lediglich vier Tage lang, Dortmund, und nicht das gesamte Jahr über? Das wäre wenigstens ein erster Schritt.
Ansonsten ist angesichts dieser erfassten und nicht erfassten Zahlen (siehe oben) bzw. des weiterhin furchtbaren Status quo deutlich mehr notwendig als bloße Abwehrkämpfe gegen eine eine (neue) anti-queerfeministische Ideologie.

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