Wenn es um Gewalt gegen Frauen* (oder LGBTI+) in Flüchtlingslagern geht, heißt es meistens, das Personal in den Lagern müsse für Belästigungen und Gewalt, die unter Umständen von (Ehe-)Partnern und männlichen Mitbewohnern in den Unterkünften ausgingen, ‚sensibilisiert‘ werden, um reagieren zu können. Dass die Beschäftigten – das Wach- und ‚Betreuungs‘-Personal – selbst Gewalt ausüben und es in der alltäglichen Hierarchie der Flüchtlingslager schwer bis unmöglich ist, sich dann zu wehren, wird kaum thematisiert. Dabei ist es Realität, wie die in den letzten Wochen hauptsächlich von Refugees Welcome Bonn und dem Blog Ruhrbarone bekannt gemachten Vorgänge in NRW-Unterkünften einmal wieder bestätigten.
Bereits Anfang 2009 hatte eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Bayern anlässlich eines Vergewaltigungsverfahrens gegen den ehemaligen Hausmeister eines Flüchtlingslagers in Nürnberg auf den Zusammenhang zwischen fremdbestimmter Lagerunterbringung und sexualisierten Übergriffen hingewiesen: „Grundsätzlich fordern wir aber die Abschaffung des Lagersystems, das durch ein großes Machtgefälle zwischen Personal und Bewohnern die sexuelle Ausbeutung und andere Arten von Mißbrauch erst ermöglicht.“ Wohlfahrtsunternehmen, die als große Träger eigene Abteilungen bzw. Tochtergesellschaften für den Lagerbetrieb gegründet haben – bei den beschriebenen Skandalvorgängen geht es im Wesentlichen um das Deutsche Rote Kreuz –, und deren Geschäfte und Spendenaufkommen von ihren positiven Selbstdarstellungen abhängen, zeigen allerdings wenig Interesse an Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem Thema schwerwiegender Gewalt in ihren Einrichtungen. Die Folgen sind Verschweigen und Vertuschen.
Burbach: Bereits im Herbst 2014 war die Landesunterkunft auf dem Gelände der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach wegen brutaler Misshandlungen und Demütigungen von Flüchtlingen durch dort eingesetztes Personal in die Schlagzeilen geraten. Während es anfangs hieß, es werde gegen einige der Wachleute ermittelt, laufen aktuell immer noch in 270 verschiedenen Sachverhalten Ermittlungen gegen 52 Personen – gegen Securities des damaligen Sicherheitsunternehmens ebenso wie gegen Beschäftigte der Essener Firma European Homecare, die das Flüchtlingslager betrieben hatte, sowie gegen Bedienstete der Bezirksregierung Arnsberg, die nicht eingeschritten waren. Als Konsequenz war im Oktober 2014 das Unternehmen European Homecare als Betreiber des Lagers in Burbach durch das Deutsche Rote Kreuz und der Sicherheitsdienst SKI durch die Firma BEWA Security ersetzt worden.
Nun sollen Mitarbeiter des jetzt von der DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH betriebenen Burbacher Lagers flüchtende Frauen sexuell ausgebeutet haben und außerdem im Februar eine Frau unter dem Einfluss von K.O.-Tropfen aus dem Lager verschleppt und vergewaltigt haben. Öffentlich bekannt geworden waren die Vorgänge, nachdem Ende Juni zwei Zeugen in dem Ermittlungsverfahren gegen das Personal der Landesunterkunft in Burbach aus der Unterkunft gedrängt worden waren und schließlich in Bonn auf der Straße strandeten. Da ein für die Bezirksregierung Arnsberg in dem Lager tätiger Mitarbeiter schließlich Anzeige bei der Polizei erstattet hatte, wurden damals bereits seit drei Wochen Ermittlungen geführt. Die Flüchtlingsfrau, die betäubt und verschleppt worden war, schwieg lange Zeit aus Angst, aber machte nun Anfang August ebenfalls eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft Siegen.
Zynischerweise muss mit Blick auf Berichte aus verschiedenen Flüchtlingslagern hinzugefügt werden, dass Personal in den Unterkünften seine Position häufiger für sexuelle Belästigungen und Ausbeutung zu nutzen scheint (wie hier oder hier oder hier), wie bereits festgestellt, gefördert durch das spezifische Verhältnis in den Lagern und möglicherweise verbunden mit Versprechen von Vorteilen für Bewohner_innen durch das Personal – die jetzt in Zusammenhang mit Burbach öffentlich gewordenen Vorgänge weisen allerdings noch eine andere Qualität auf.
Tatsächlich sollen die beiden betroffenen Organisationen – das DRK und die BEWA Security GmbH, die in dieser Konstellation mehrere Lager in NRW betreiben – auch personell vor Ort eng verbunden sein und Beschäftigte zwischen Security und DRK hin- und hergewechselt haben. Auf Facebook-Profilen fand zudem die Autorin der Ruhrbarone deutliche Hinweise auf die rechte Gesinnung einiger Wachleute. Unter anderen wurden dort rechte Seiten wie der NPD geliked, Fotos mit rechten Parolen geteilt und sogar die Losung der SS wurde wiedergegeben.
Olpe: Wie in Burbach wird die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Olpe von den DRK Betreuungsdiensten Westfalen-Lippe betrieben und auch dort haben sich im letzten Sommer offenbar üble Vorgänge abgespielt. Das geht aus einem Urteil des Siegener Arbeitsgerichts von Ende 2015 hervor. Auf die in dem Gerichtsurteil geschilderte katastrophale Situation hatte ursprünglich intern eine Ex-Mitarbeiterin des DRK in Olpe hingewiesen, die später auf Unwirksamkeit ihrer Kündigung klagte. Personal des Sozialdienstes, das sich von Flüchtlingen ihr Auto waschen und das als gemeinnützige Arbeit abrechnen ließ, Abrechnungsbetrug bei der Auszahlung von Taxifahrten, der Versuch, eine Meldung über einen Windpockenfall an das Gesundheitsamt zu unterdrücken, Nicht-Anzeigen von Gewalt gegen eine verheiratete 17-Jährige, Nicht-Anzeigen eines möglichen Sexualdeliktes gegen ein siebenjähriges Mädchen … – die Liste der Vorwürfe ist lang. Der Leiter der Einrichtung in Olpe hatte zum entsprechenden Zeitpunkt auch das Lager in Burbach geleitet.
Meschede: Ende August wurde außerdem bekannt, dass gegen den früheren Leiter einer – in diesem Fall anscheinend einmal wieder von European Homecare betriebenen – Notunterkunft aus Meschede Anklage erhoben wurde. Er soll einer 22-Jährigen aus dem Lager angeboten haben, sie bei der Antragstellung für die Zuteilung einer Wohnung zu unterstützen. Zunächst brachte er sie aber in seiner eigenen Wohnung unter und soll sie dort zwischen Januar und März vier Mal vergewaltigt haben. Die Frau wurde schwanger. Nachdem die Schwangerschaft wegen Beschwerden abgebrochen werden musste, zeigte die Frau im April den ehemaligen Unterkunftsleiter wegen der Vergewaltigungen an. Wie von der Staatsanwaltschaft bestätigt wurde, steht der 50-Jährige aufgrund der Untersuchungen des Fötus als Vater fest.
Es ist zu befürchten, dass solche öffentlich gewordenen Fälle nur die Spitze eines Eisbergs darstellen. Ein abgeschottetes Lagersystem öffnet recht offensichtlich durch seine Struktur der Willkür Tür und Tor und lässt Gewaltbetroffene durch eben diese Struktur hilflos werden. Dazu passt, dass Gruppen, die geflüchtete Frauen* von außen über ihre Rechte aufklären und sie darin unterstützen wollen, ihre Interessen unabhängig zu formulieren, häufiger daran gehindert werden, Unterkünfte zu betreten. Asylsuchende Frauen* (und natürlich andere Flüchtende auch) bleiben dadurch nicht nur auf ihrer Flucht, sondern auch an ihrem vermeintlich sicheren Zufluchtsort sexualisierter und anderer Gewalt und Belästigungen ausgesetzt. Die Forderung nach einem Leben in Wohnungen und nach Abschaffung der Lagerunterbringung bleibt also wahnsinnig wichtig: Wohnungen statt Flüchtlingsverwaltung als gutes Geschäft für Betreiber- und Sicherheitsunternehmen!