„Es war ein Akt der feministischen Solidarität“, beschrieb eine der Initiatorinnen* von Palestinians and Jews for Peace in Köln bei einer Mahnwache am 17. März das Zusammenkommen nach dem mörderischen Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Die Kölner jüdisch-palästinensische Gruppe habe sich dann aus „dem Bedürfnis nach mehr feministischer Solidarität“ entwickelt, erklärte sie in ihrer Rede, in der es insbesondere um sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe in diesen Zusammenhängen ging. Bereits in ihrem ersten Statement und Aufruf für eine Demonstration Ende Oktober 2023 forderte Palestinians and Jews for Peace dazu auf, „nach ausgewogeneren und differenzierteren Perspektiven“ zu suchen (was immer noch selten passiert). Kein gutes Haar ließen sie darin aber (selbstverständlich) an Hamas, die „eine faschistische, antisemitische, fundamentalistische und frauenfeindliche Organisation“ sei, womit sie die teilweise behauptete „Dekolonialisierung“ oder „Befreiung“ – umso mehr angesichts der Unterdrückung der Menschen im Gaza-Streifen durch Hamas – deutlich als Mythos entlarvten. Gleichzeitig schrieben sie, „das Ausmaß der Gewalt“ durch die israelische Regierung, die gegen Zivilist*innen im Gaza-Streifen verübt werde, „nicht in Frage zu stellen, ist eine Verletzung der Menschenrechte“.1Siehe auch: Sebastian Weiermann: Demo in Köln: 500 für Frieden im Nahost-Konflikt, nd, 23.10.2023, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177224.nahostkonflikt-demo-in-koeln-fuer-frieden-im-nahost-konflikt.html. Die Lage in Gaza ist seitdem bloß katastrophaler geworden, bis zur auferlegten Hungersnot und brutalen Bombardierung in Rafah.
Feministische Debatten drehten sich in der Vergangenheit oft um einen „Zusammenhang zwischen feministischem Aktivismus und Friedensaktivismus“2Nira Yuval-Davis: Geschlecht und Nation, Emmendingen 2001, S. 156. – nicht weil weiblich gelesene Personen von feministischer Seite aus als „von Natur aus“ friedfertiger betrachtet wurden (was patriarchale Weiblichkeitskonstruktionen dagegen implizieren können), sondern weil Militarismus/Militär/Krieg als mit patriarchalen Strukturen bzw. einer militarisierten Männlichkeit gekoppelt galten. Solche Diskussionen haben abgenommen, wohl unter anderem deshalb, weil viele Staaten einen weiblichen Militärdienst ermöglicht haben, obwohl die Rollen im Militär in ihrer Vergeschlechtlichung verharren.3Selbst für die israelischen Streitkräfte werden noch deutliche Geschlechterrollen konstatiert, obwohl Israel als einer der wenigen Staaten weltweit eine Wehrpflicht für Frauen* hat. Siehe unter anderem: Uta Klein: Militär und Männlichkeit in Israel, Frankfurt am Main 2001; Emma Montron: What is the reality for the integration of women in the Israeli army?, Gender in Geopolitics Institute, 11.12.2020, https://igg-geo.org/?p=3124&lang=en; Amos Harel: Analysis | The Israeli Army Promised Female Soldiers a Revolution but Left Them With Nothing but Crumbs, Haaretz, 08.06.2022, https://www.haaretz.com/israel-news/2022-06-08/ty-article/idf-promised-female-soldiers-a-revolution-but-left-them-with-nothing-but-crumbs/00000181-3f9c-d62a-a99b-ffdfdebb0000. Sofern die Teilhabe an einem männlich konnotierten Handeln also Strukturen und Logik dieser Institution nicht verändert hat und auch nicht umgekehrt die Übernahme weiblich konnotierter Aufgaben Männern* abverlangt, bleibt die Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt dieser Teilhabe (erneute Beschränkungen wären trotzdem ein verkehrter Weg).
Alltägliche Furchtbarkeiten
»Dieser Internationale Frauenkongress protestiert gegen die Auffassung, dass Frauen unter einer modernen Kriegsführung geschützt werden können. Er protestiert aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind, und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind.«
Aus den Beschlüssen des Internationalen Frauenkongresses in Den Haag, 28. April bis 1. Mai 1915 während des 1. Weltkriegs4Zitiert nach: Wolfgang U. Eckart: Geschichte: Feminismus trifft Pazifismus, Süddeutsche Zeitung, 27.04.2015, https://www.sueddeutsche.de/kultur/geschichte-feminismus-trifft-pazifismus-1.2454669.
Unbestreitbar existiert eine Kriegsgewalt in Form sexualisierter Gewalt vor allem gegen Frauen* (wie auch in geringerem Maße gegen andere Geschlechter oder Männer*). Ebenso steigt unter Kriegsverhältnissen häufig die (männliche) Gewalt in Familien/Partnerschaften an. Bereits in ihrem 1975 erschienenen Buch „Against Our Will“ (dt. „Gegen unseren Willen“) schrieb Susan Brownmiller unter Bezugnahme auf den Bangladesch-Krieg 1971 über das „Vergessen“ von Kriegsvergewaltigungen: „Theorien und Mutmaßungen gibt es die Menge; alle basieren auf der irrigen Annahme, die Vergewaltigungen von Bangladesh seien ohne Beispiel in der modernen Geschichte. Das entspricht nicht den Tatsachen.“ Sie führt dann Beispiele aus früheren Situationen an, um den Schluss zu ziehen: „Auch in diesen Kriegen sprach man von ‚Terrorkampagnen’ und von ‚bewußter Militärtaktik’ und vergaß es später wieder.“5Susan Brownmiller, Gegen unseren Willen: Vergewaltigung und Männerherrschaft. Frankfurt am Main 1984, S. 89 f. Diese „Alltäglichkeiten“ in den zahlreichen momentanen Kriegsgeschehen erklären natürlich den nicht erfolgten feministischen Aufschrei angesichts der Vergewaltigungen während des Hamas-Angriffs am 7. Oktober 2023, wegen dessen Ausbleiben der feministischen Bewegung nun gern (und schon fast verschwörungstheoretisch anmutend) Antisemitismus unterstellt wird (Antisemitismus hat seit Oktober letzten Jahres zweifellos zugenommen und eine Leugnung der Vergewaltigungen wäre zweifellos antisemitisch – und sexistisch). Sexualisierte Gewalt werde auch gegen inhaftierte Palästinenser*innen verübt, berichten Palestinians and Jews for Peace6Kris’ Rede bei der Mahnwache am 17.03.24, https://www.instagram.com/palestinians_jews_for_peace/p/C5IlxXBsEFd/?hl=de&img_index=7. (und antimuslimische Übergriffe sind hier ebenfalls deutlich angestiegen).
Not only women wage peace
„Weitermachen. Das ist alles andere als leichthin gesagt“, heißt es in einem Bericht7Inge Günther: Gemeinsam für den Frieden: Frauenbewegungen in Nahost setzen Zeichen, Frankfurter Rundschau, 15.05.2024, https://www.fr.de/politik/gemeinsam-fuer-den-frieden-frauenbewegungen-in-nahost-setzen-zeichen-93072192.html. über die mit über 40.000 Mitgliedern bemerkenswert große israelische Basisbewegung Women Wage Peace und ihre palästinensische Schwesterorganisation Women of the Sun. Aber alles andere ist für die Aktivistinnen* offensichtlich keine Option – obwohl bei dem Hamas-Überfall drei Mitglieder von Women Wage Peace getötet wurden, unter ihnen Vivian Silver8Michael Shuval: Israeli and Palestinian women ‚on same side‚ says peace campaigner, BBC, 11.12.2023, https://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-67619390; Daniel Godeck: Nahost-Friedensaktivistin ermordet. Weil Rache keine Strategie ist, die tageszeitung, 14.11.2023, https://taz.de/Nahost-Friedensaktivistin-ermordet/!5973087/., eine eine der Gründerinnen*, und in dem verheerenden Gaza-Krieg mindestens 32 Frauen* von Women of the Sun, möglicherweise mehr, ihr Leben verloren haben. Außerdem wurden große Hoffnungen zerstört: Noch am 4. Oktober hatten sich weit über tausend Israelinnen* und Palästinenserinnen* zu einem Friedenstreffen in Jerusalem und am Toten Meer versammelt. „Aber auf den nahezu täglichen Demonstrationen in Israel gegen die Netanjahu-Regierung und für einen Geisel-Austausch9Zu den Demonstrationen in Israel unter anderem in der Tagesschau: Proteste in Israel. Tausende demonstrieren in Israel für Freilassung von Hamas-Geiseln, 17.03.2024, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/demonstrationen-geiselfreilassung-100.html, oder Demonstration in Jerusalem Zehntausende erinnern an Schicksal der Geiseln, 08.04.2024, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/jerusalem-protest-geiseln-100.html. ist der Women Wage Peace-Block eine verlässliche Größe“, wird weiter berichtet, und dass Women of the Sun an ihrem Ziel festhalten, schließlich Friedensgespräche zu erzwingen.
Auch andere in Israel handeln: Die jüdisch-palästinensische Organisation Standing Together, die seit 2016 für Frieden, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit mobilisiert, sammelt Spenden für einen humanitären Schutz (‚Humanitarian Guard‘) durch Aktivist*innen, um Lkw-Konvois mit Hilfslieferungen für Gaza abzusichern. Die Lieferungen waren zuletzt wiederholt von rechten Siedler(inne)n angegriffen und die Lkw-Fracht zerstört worden. Die Initiative der Organisation, die die bereits im März (in einer eher symbolischen Aktion) selbst versuchte, Hilfsgüter gegen die Hungersnot nach Gaza zu bringen10Felix Wellisch: Humanitäre Lage im Gazastreifen: Die andere Stimme Israels, die tageszeitung, 08.03.2024, https://taz.de/Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!5994413/, lässt sich hier unterstützen .
Die Gruppe will nicht locker lassen und die israelische Gesellschaft verändern. In diesem Instagram-Kurzvideo plädiert die Standing-Together-Aktivistin Sally Abed entschieden für eine Widersetzung gegen die aufgedrängte Entscheidung „sie oder wir“: