Haiti, vier Jahre nach dem Erdbeben

Am 12. Januar vor vier Jahren wurde der Staat Haiti in der Karibik von einem ein schweren Erdbeben erschüttert. Mindestens 250.000 Menschen starben und nach unterschiedlichen Schätzungen wurden 1,3 bis zwei Millionen Personen obdachlos. Eines der größten international finanzierten Projekte des Wiederaufbaus nach dem Beben bestand in der Schaffung einer Sonderwirtschaftszone: Im Oktober 2012 wurde der Industriepark Caracol eröffnet, der sich ungefähr 140 km entfernt von dem Katastrophengebiet im Norden Haitis befindet. Bis zu 2.000 Arbeitsplätze sind dort bisher entstanden; der größte ansässige Arbeitgeber ist das südkoreanische Textilunternehmen SAE-A Trading.

Die etwa 30.000 Beschäftigten in Haitis Textilfertigungsbetrieben – zwei Drittel von ihnen sind Frauen – arbeiten für Zulieferunternehmen von Firmen wie Gap, Gildan Activewear, Hanes, Kohl’s, Levi’s, Russell, Target oder Walmart. Während der niedrigste Mindestlohn gerade auf 225 Gourdes (etwa 3,80 Euro) pro Tag erhöht wurde, soll die Abrechnung nach Stückzahl für die Arbeiter_innen in den Textilbetrieben derzeit einen Tageslohn von mindestens 300 Gourdes (etwa 5 Euro) ergeben – theoretisch. Untersuchungen zeigen, dass den meisten dieser Lohn vorenthalten wird. Die vorgegebenen Stückquoten sind unerreichbar und Überstunden werden nicht angerechnet. Einem Bericht des Worker Rights Consortium zufolge wurden den Beschäftigten bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von über 58 Stunden pro Woche 32 Prozent weniger gezahlt als gesetzlich vorgeschrieben. „Haiti, vier Jahre nach dem Erdbeben“ weiterlesen

Projekt: Vertreibung

Ersatzwohnraum oder einen Notfallplan für die geräumten Bewohner_innen wird es in Duisburg nicht geben. „Wir gehen davon aus, dass die Bewohner auf Grund ihrer hohen Mobilität weiterziehen und die Stadt verlassen“, erklärte Reinhold Spaniel, Sozialdezernent der Stadt Duisburg. Vorausgegangen war die Räumung eines von Zugewanderten bewohnten Hauses in Duisburg-Bergheim – die Räumung eines Nachbargebäudes und des Hochhauses In den Peschen, für das die Mietverträge der Bewohner_innen Ende dieses Monats auslaufen, sollen im Februar 2014 folgen. Durch die (zugeschriebene) Zugehörigkeit der geräumten Personen zu der Gruppe der Rom_nja gelingt die diskriminierende Ethnisierung des Sozialen hier problemlos.

Infolge von Migrationsbewegungen werden antiromaistische Vorstellungen seit einiger Zeit stark (re-)aktiviert und die Armutsverhältnisse den Betroffenen quasi als „Eigenart“ angelastet. Im August zitierte die tageszeitung Duisburgs Polizeisprecher: „Selbst sozial Engagierte sagen doch, dass nur wenige Roma integrationswillig sind. Die anderen kommen mit unserer Gesellschaft nicht klar. Die müssen weg.“ Die Vorurteilsstruktur, die das „Wissen“ der Mehrheitsgesellschaft über die als Rom_nja identifizierten Zuwander_innen dominiert, schafft sich nun endgültig ihre Realität: Die „Mobilität“ wird erzwungen mit der Behauptung, „Mobilität“ gehöre zum „Charakter“ der zugewanderten Bewohner_innen. Als stereotype Zuschreibung (der Nichtsesshaftigkeit) gehört sie allerdings zu einem seit Jahrhunderten tradierten Repertoire des Antiromaismus, der mehrheitsgesellschaftliche Ablehnung, Diffamierungen und Gewalttaten gegenüber Rom_nja begünstigt und begründet.

In Rumänien – viele sind von dort gekommen – wurden in den letzten Jahren wiederholt Stadtviertel oder Siedlungen rechtswidrig zwangsgeräumt. Im Januar berichtete die tageszeitung, dass „Autonome Nationalisten“ in Rumänien Romnja aufforderten, sich gegen Geld sterilisieren zu lassen. „Die Sterilisation von Frauen, die einer ethnischen Gruppe angehören … stellt sowohl eine ernste Bedrohung der Mitglieder dieser Gruppe als auch der gesamten Gesellschaft dar“, hieß es in einer Erklärung, die diese Aufforderung verurteilte – die rumänische Presse ignorierte diese Erklärung weitgehend.

Bereits in einem vorausgegangenen Artikel über die stattgefundene Räumung und die weiteren drohenden Räumungen in Duisburg schrieb die WAZ: „Anschließend soll Schluss sein mit bundesweiten Negativschlagzeilen und rechtspopulistischen Demonstrationen, in Bergheim soll wieder Ruhe einkehren.“ Die Räumung der Bewohner_innen wird damit zudem zur „Lösung“ für das Problem rassistischer Hetze durch die rechtspopulistische Partei „Pro NRW“ in den vergangenen Monaten. Von der Europäischen Union für Integration zur Verfügung gestelltes Geld wurde dagegen von der Stadt Duisburg nicht in Anspruch genommen. „Speziell für Soziale Integration stünden mehr als zweieinhalb Milliarden Euro für Deutschland zur Verfügung“, berichtete der WDR Ende November. „Nur: Duisburg müsste sich mit konkreten Projekten in Berlin oder Düsseldorf darum bewerben.“ In Duisburg – und nicht nur dort – heißt das Projekt aber: Vertreibung (und nicht Integration).

Die schwierige Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen

Da sich einer der letzten Posts auf die Proteste gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien bezog, hier ein Hinweis auf einen Beitrag auf the feminist wire. Sana Hashmi setzt sich dort unter der Überschrift „A Difficult Solidarity with Saudi Arabian Women“ mit der Situation der weiblichen Hausangestellten in Saudi-Arabien auseinander und der angesichts ihrer Lage schwierigen Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen*, die dort für mehr Rechte kämpfen.

… Übergangen wurde in dem Medienrummel die vergessene Masse von Hausangestellten fremder Staatsangehörigkeit, von denen ein großer Teil Frauen sind, die sich in Saudi-Arabien ohne ein Arbeitsschutzgesetz abplagen, mit der international verurteilten Todesstrafe des Landes konfrontiert sind und einem Bericht von Amnesty International zufolge der „besonderen Gefahr sexualisierter Gewalt und anderer Misshandlungen“ ausgesetzt sind. „Die schwierige Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen“ weiterlesen

„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution

Am 17. Dezember, also in zwei Tagen, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen, an dem an vielen Orten weltweit wieder Veranstaltungen und Aktionen stattfinden werden (zu finden unter anderem hier oder hier), die die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen thematisieren. Hier folgt nun ein Kommentar zu dem „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer – das Thema ist und bleibt aktuell, auch angesichts der Gesetzesvorhaben der Koalition von CDU/CSU und SPD, die absehbar in eine restriktivere Richtung gehen.

Almost as soon as women began to migrate in great numbers …,
stories of ‚white slavery‘ began to circulate.1Jo Doezema: Loose Women or Lost Women? The re-emergence of the myth of ‚white slavery‘ in contemporary discourses of ‚trafficking in women‘. International Studies Convention Washington, DC, February 16 – 20, 1999, http://www.walnet.org/csis/papers/doezema-loose.html.

Bereits vor Erscheinen ihres Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ im November richtete Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen Appell gegen Prostitution An die Bundeskanzlerin und den Bundestag. Sexarbeiter_innen des neu gegründeten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen reagierten mit einem (Gegen-)Appell FÜR Prostitution. Während dort betont wird: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden“, fallen im Emma-Appell Prostitution, Frauenhandel, Sklaverei („white slavery“) zusammen; Prostitution soll „abgeschafft“ werden.2Die Appelle: http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923; http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85 „Weiße Sklaverei“ ist auch der Titel eines Auszugs aus dem Buch von Alice Schwarzer, der Anfang November in der Wochenzeitung der Freitag erschien.3Weiße Sklaverei, der Freitag, 06.11.2013, http://www.freitag.de/buch-der-woche/prostitution-ein-deutscher-skandal/prostitution_leseprobe.

White Slavery
Die Erzählung von der „weißen Sklaverei“ breitete sich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Historiker_innen messen ihr angesichts weniger tatsächlicher Belege einen mythischen (gesellschaftserklärenden und -strukturierenden) Charakter bei und betrachten sie als „moralische Panik“ einer sich vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Urbanisierung und zunehmender (weiblicher) Migration in die Städte und in andere Kontinente ändernden Gesellschaft. Die Erzählung handelte von Moral und auf das Sozial- und Sexualverhalten alleinstehender arbeitender (proletarischer) und migrierender Frauen gerichteten Befürchtungen; sie mündete in die Dichotomie des weißen Opfers, jung, naiv, unschuldig, dessen Gegenseite ein als Anderer konstruierter Täter (nicht-weiß, immigriert, …) wurde. Sie hob auf die besondere Verletzlichkeit weißer Frauen ab und beinhaltete, dass ihre Versklavung als anders und schwerwiegender anzusehen wäre als „schwarze Sklaverei“. Als Ressource für Reglementierungen entlang von gender, race und class führte sie zu internationalen Abkommen und Initiativen in europäischen und amerikanischen Staaten.4Siehe u.a. Jo Doezema, a.a.O. Die Frankfurter Rundschau berichtet über die Entstehung eines Berichts des Völkerbunds über „Zwangsprostitution“ 1927: Für die Details interessierten sich damals nur wenige. Eine junge Doktorandin hatte bei Feldstudien in Marseille und Athen, zwei Hotspots der Szene, keinen einzigen Fall von Menschenhandel nachweisen können. Der bekannte Journalist Albert Londres recherchierte in Rio und Buenos Aires nach, …: „Die Zuhälter dort“, so sein Ergebnis, „müssen die Frauen gar nicht kaufen“, schrieb Londres. „Im Gegenteil: Sie kriegen sogar Geschenke, wenn sie ihnen gute Standplätze verschaffen.“ Achtzig Jahre später zeichnete der belgische Philosoph und Soziologe Jean-Michel Chaumont die Geschichte des Skandalberichts minutiös nach …. Das „Expertenkomitee“ des Völkerbunds hatte vorwiegend aus idealistisch gesinnten Kämpferinnen und Kämpfern gegen die Prostitution an sich bestanden. Der Auftrag des Völkerbunds und der Bericht von 1927 waren ihr großer Coup. Norbert Mappes Niedeck: Menschenhandel: Die Armuts-Falle. Frankfurter Rundschau, 16.10.2013; http://www.fr-online.de/politik/menschenhandel—die-armuts-falle,1472596,24650152.html. „„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution“ weiterlesen

Online-Petition: keine Lager für Frauen!

Die Selbstorganisation geflüchteter Frauen Women in Exile hat eine Online-Petition initiiert:

Women in Exile & Friends

In den letzten Monaten haben wir viel Aggression und manchmal sogar Gewalt von Rechtsradikalen gegen Unterkünfte für Flüchtlinge gesehen und wir haben auch gesehen, dass viele Linke und MenschenrechtsaktivistInnen und viele andere Teile der Zivilgesellschaft aktiv waren, um Unterkünfte für Flüchtlinge zu verteidigen und ihre Solidarität mit Flüchtlingen auszudrücken.
Wenn Flüchtlinge in Sammelunterkünften leben müssen, sind sie immer Gewalt ausgesetzt. Denn das bedeutet eine Trennung von anderen Teilen der Gesellschaft und macht Flüchtlinge verwundbar.
Dies ist einer der Gründe, warum wir und viele andere FlüchtlingsaktivistInnen seit vielen Jahren sagen: Kein Lager ! Wir wollen wie alle anderen in Wohnungen leben!
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