Nach einer über elfwöchigen Blockade der Regierung Netanjahu durften zwar letzte Woche wieder Hilfstransporte in den Gazasteifen einfahren1Hilfsgüter in Gaza angekommen (dpa, rtr, afp), die tageszeitung, 22.05.2025, https://taz.de/-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6089699/, aber die wenigen Lkw-Ladungen sind laut Hilfsorganisationen höchstens ein „Tropfen auf den heißen Stein“2Unter anderem: CBS/AP: Aid trucks going into Gaza are a „drop in the bucket as to what’s needed,“ WFP director says, CBS News, 25.05.25, https://www.cbsnews.com/news/aid-trucks-gaza-world-food-program-israel-hamas/; DW/fab/jj/ie (dpa, rtr, epd, afp): Hilfslieferungen nach Gaza: „Tropfen auf den heißen Stein“, Deutsche Welle, 20.05.2025, https://www.dw.com/de/hilfslieferungen-nach-gaza-tropfen-auf-den-heißen-stein/a-72609792.. Unmittelbar davor war in einem Bericht über die abzusehende Hungerepidemie in Gaza in der Frankfurter Rundschau eine Oxfam-Helferin zitiert worden: „Babys, die ‚zu schwach sind, um zu schreien‘. Eltern, die Gras kochen, die Schildkröten aus Kloaken fischen, um ihre Kinder zu ernähren.“ Das seien keine symbolischen Bilder, das sei der Alltag.3Maria Sterkl: Krieg und Zerstörung in Gaza: Babys „zu schwach, um zu schreien“, Frankfurter Rundschau, 22.05.2025, https://www.fr.de/politik/um-zu-schreien-gazastreifen-israel-hungersnot-hunger-in-gaza-babys-zu-schwach-93734826.html.
Die Gruppe Palestinians and Jews for Peace in Köln, die „aus palästinensischen, jüdischen und anderen solidarischen emanzipatorischen Menschen“ besteht, hat jetzt eine Petition gestartet, in der sie Uneingeschränkte Hilfslieferungen nach Gaza JETZT ! fordert. Es müsse in Deutschland möglich sein, den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit 1.200 Todesopfern und 250 Geiseln zu verurteilen und sich gleichzeitig für ein Ende der Kriegsverbrechen in Gaza und dem Westjordanland einzusetzen. „Das Grauen passiert vor unser aller Augen, das Leid der Zivilbevölkerung ist unerträglich.“
Es ist nicht zu erwarten, dass die Petition hier viel bewegt.4Unter anderem zum Zustand bundesdeutscher Nahostpolitik: Stefan Reinecke: Schwarz-Rot zu Nahost: Dezente SPD-Kritik an Außenminister Wadephul, die tageszeitung, 26.05.2025, https://taz.de/Schwarz-Rot-zu-Nahost/!6090601/.
Auch in Israel ist es der Zivilgesellschaft leider bisher nicht gelungen, sich der ultrarechten Regierung erfolgreich entgegenzustellen. Trotz zuletzt Anfang Mai einer Friedenskonferenz in Jerusalem der It’s Time Coalition, einem Bündnis aus über 60 Organisationen, an der Tausende von Menschen teilnahmen, „viele Familienangehörige der Geiseln, Überlebende von Terroranschlägen, Angehörige der Kriegsopfer, Menschen aus den Gemeinden entlang der Grenze zum Gazastreifen, Rechtsexpert:innen, Künstler:innen, Diplomat:innen …“,5Daniela Bezzi: Unzählige Israelis und Palästinenser versammeln sich, um „Frieden jetzt“ zu fordern, pressenza, 13.05.2025, https://www.pressenza.com/de/2025/05/unzaehlige-israelis-und-palaestinenser-versammeln-sich-um-frieden-jetzt-zu-fordern/; Charlie Summers/Rosella Tercatin: At Jerusalem ‘peace summit,’ thousands demand end to Gaza war, two-state solution, The Times of Israel, 10.05.2025, https://www.timesofisrael.com/thousands-demand-end-to-gaza-war-two-state-solution-at-jerusalem-peace-summit/. wurde die neue grauenvolle Militäroffensive gestartet. Offenbar soll der Großteil Gazas eingenommen werden – und letzte Woche drang dann der israelische Premier Netanjahu bei einer Pressekonferenz auf die Verwirklichung des „revolutionären“ Plans von US-Präsident Donald Trump, der ein Gaza ganz ohne Palästinenser*innen vorsieht.6Karim El-Gawhary: Krieg im Gazastreifen. Netanjahu fordert Vertreibung der Palästinenser, die tageszeitung, 22.05.2025, https://taz.de/Krieg-im-Gazastreifen/!6086163/.
Währenddessen werden im Gazastreifen die Bewohner*innen ein weiteres Mal ständigen Bombardierungen ausgesetzt; die meisten Überlebenden wurden mittlerweile mehrmals vertrieben.7Seham Tantesh: Gaza-Tagebuch: „Unter den Toten ist auch mein Cousin“, die tageszeitung, 20.05.2025, https://taz.de/Gaza-Tagebuch/!6085957/.
Nach palästinensischen Angaben sind seit Oktober 2023 ungefähr 53.000 Menschen getötet worden – aber laut einer im britischen Medizinfachjournal Lancet Anfang des Jahres veröffentlichten Untersuchung von Wissenschaftler*innen könnte die Todesopferzahl in Gaza noch um etwa 40 % höher liegen.8Laura May: Studie zeigt: Todesfälle in Gaza weit über offiziellen Zahlen, Frankfurter Rundschau, 12.01.2025, https://www.fr.de/politik/studie-zeigt-todesfaelle-in-gaza-weit-ueber-offiziellen-zahlen-zr-93509883.html; Zeina Jamaluddine, PhD, Hanan Abukmail, MD, Sarah Aly, DO, Prof Oona M R Campbell, PhD, Prof Francesco Checchi, PhD: Traumatic injury mortality in the Gaza Strip from Oct 7, 2023, to June 30, 2024: a capture–recapture analysis, The Lancet, 08.01.2025, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)02678-3/fulltext.
Gegen die neue Eskalation – mit bis zu 300 Toten innerhalb von zwei Tagen9Maria Sterkl: Israels Offensive im Gazastreifen: Hunderte Tote in nur zwei Tagen, Frankfurter Rundschau, 20.05.2025, https://www.fr.de/politik/zwei-tagen-israels-offensive-im-gazastreifen-hunderte-tote-in-nur-93738989.html. – organisierte die jüdisch-palästinensische Bewegung Standing Together in Israel unmittelbar nach dem Start der Offensive einen Protestmarsch von Sderot zur Grenze Gazas. Dort versuchten Aktivist*innen, eine Straße zu blockieren, die „die Armee in den Gazastreifen bringt“; mehrere wurden festgenommen.10Charlie Summers: 9 arrested at hundreds-strong anti-war protest along the Gaza border, The Times of Israel, 18.05.2025, https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/9-arrested-at-hundreds-strong-anti-war-protest-along-the-gaza-border/
Bereits seit Mitte März hatte eine wachsende Gruppe von Frauen* versucht, mit ausgedruckten Fotos getöteter Kinder der israelischen Bevölkerung die Opfer in Gaza vor Augen zu halten.11Rachel Chason/Heidi Levine: Israel’s anti-war protests avoid Gaza. These women are changing that., Washington Post, 21.04.2025, https://www.washingtonpost.com/world/2025/04/21/gaza-anti-war-protests-israeli-women/ Ein Verbot, die Bilder weiter bei Demonstrationen zu zeigen, musste die Polzei wieder zurückziehen; zwischenzeitlich hatte Standing Together schon eine Klage dagegen angekündigt. „Die Polizei kann Solidarität und Empathie nicht unterbinden“, kommentierte auch die israelische Tageszeitung Ha’aretz.12David Issacharoff: Why Israel fears the faces of dead Palestinian children on its streets, Ha’aretz, 21.04.2025, https://www.haaretz.com/israel-news/haaretz-today/2025-04-21/ty-article/.highlight/why-israel-fears-the-faces-of-dead-palestinian-children-on-its-streets/00000196-5985-d99b-a5ff-d9d7fa560000.
Angesichts der katastrophalen Lage wirken die Aktionen (hier und dort) jedoch alle eher hilflos, sie reichen nicht, es sind eben bloß: Tropfen auf heiße Steine.