Asylrest

20 Jahre De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Der Missbrauchsvorwurf, der zunehmend öffentlicher diskutiert wurde, diente seit dem Ende der Anwerbemigration der Verschlechterung der Bedingungen des Asylverfahrens. Er rechtfertigte im Rahmen von Verfahrens-Novellierungen zahlreiche Restriktionen gegenüber FlüchtlingsmigrantInnen, die entweder in einer Beschleunigung des Verfahrens, der Verkürzung und Reduzierung der Rechtswege und/oder einer Verschlechterung der sozialen Leistungen für Flüchtlinge bestanden. So wurde ab Mitte der 1970er Jahre in Baden-Württemberg der „Tatbestand“ des „offensichtlich in rechtsmissbräuchlicher Absicht“ gestellten Antrags auf ganze Gruppen angewendet. … Ebenso wurde die so genannte Residenzpflicht eingeführt, die die Bewegungsfreiheit von AsylmigrantInnen auf den Landkreis beschränkte. … Der Landkreiseverband Bayern erklärte 1978, dass eine Integration von AsylbewerberInnen durch „bewußt karge lagermäßige Unterbringung zu verhindern [ist]. Sie muß als psychologische Schranke gegen den Zustrom Asylwilliger aufgebaut werden“.1Serhat Karakayali: Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in Deutschland. Bielefeld 2008, S. 172.

Am 26. Mai 1993 wurde die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes im Bundestag beschlossen. Die Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ in Absatz 2, die unter dem Eindruck der Verfolgung im Nationalsozialismus aufgenommen worden war, wurde gestrichen bzw. in einen neuen Artikel 16a verlagert. Dieser Artikel legt seitdem fest, dass Deutschland von „sicheren Drittländern“ umgeben ist und Asylantragsteller_innen, die über solche sicheren Drittländer einreisen oder aus einem als sicher geltenden Herkunftsland kommen, kein Asyl erhalten. Das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch abgeschafft.

Quellen: die tageszeitung, Westfälische Rundschau, FAZ
vom 27. Mai 1993
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Offener Brief von Frauen* aus dem Flüchtlingslager Breitenworbis

Geflüchtete Frauen*, die in Breitenworbis in Thüringen untergebracht sind, haben einen offenen Brief über ihre Lebenssituation geschrieben. Der Brief endet mit der Erklärung: Wir wollen hier raus, wir wollen selbstbestimmt in Wohnungen leben. Wir wollen selber entscheiden wo wir wohnen. Anderswo ist die Situation ähnlich   .
Hier ist der Brief:

An das Landratsamt Eichsfeld, die Eichsfelder Ausländerbehörde und das Eichsfelder Sozialamt:

Wir leben in einem alleinstehenden Wohnhaus, 2 km von dem Ort Breitenworbis entfernt. Nebenan befindet sich eine stinkende Kläranlage sowie eine Mastanlage, was das Wohnen besonders im Sommer unerträglich macht. 120 Menschen – Familien und Alleinstehende – müssen sich wenige Toiletten, Duschen und Küchen teilen. Um einzukaufen, zum Arzt, zur Schule oder zum Kindergarten zu gelangen, müssen wir mehrere Kilometer zu Fuß auf einer unbeleuchteten Straße laufen. Eine Bushaltestelle gibt es nur im Ort.

Wir fühlen uns von der Gesellschaft isoliert und ausgegrenzt. Besonders für Frauen, die krank sind und schlecht laufen können sowie Mütter mit kleinen Kindern ist dieses Leben unerträglich. Hinzu kommt, dass wir mit unseren Problemen nicht ernst genommen werden. „Offener Brief von Frauen* aus dem Flüchtlingslager Breitenworbis“ weiterlesen

Sprachprüfung endlich vor der Abschaffung?

Seit September 2007 müssen nachziehende Ehegatt_innen aus den meisten Nicht-EU-Ländern deutsche Sprachkenntnisse nachweisen, bevor sie zu ihren Partner_innen ziehen können. Damals wurde – mittlerweile beinahe die Regel, wenn Möglichkeiten eingeschränkt werden sollen – mit den „Frauenrechten“ (hier mit der drohenden Zwangsverheiratung) der ‚nicht abstammungsdeutschen’ anderen Frau argumentiert.

Noch Mitte letzten Jahres hatte die Bundesregierung entgegen einer Stellungnahme der Europäischen Kommission behauptet, die Sprachprüfung vor der Einreise sei mit der europäischen Richtlinie zur Familienzusammenführung und damit mit Europarecht vereinbar. Anschließenden Zweifeln des Bundesverwaltungsgerichts war das Auswärtige Amt zuvorgekommen, indem es einer Frau aus Kamerun als Klägerin in einem entsprechenden Verfahren und ihren Kindern ohne Sprachnachweis Visa erteilte. Dem Gericht blieb damit nur die Kostenentscheidung. In dem Beschluss von Ende Oktober 2011 hielt das Bundesverwaltungsgericht dennoch fest, dass die Frage der Vereinbarkeit „dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung hätte vorgelegt werden müssen“. „Sprachprüfung endlich vor der Abschaffung?“ weiterlesen

Von Neuss nach Büren

Zwischen der Kleinstadt Büren (Kreis Paderborn) und einer Autobahnauffahrt liegt im Wald versteckt mit über 300 Haftplätzen das größte Abschiebegefängnis der BRD. Für 35 Millionen Mark ließ die nordrhein-westfälische Landesregierung 1993 ein früheres Kasernengelände zum Knast umbauen. Seitdem die Frauenhaftanstalt in Neuss Ende 2011 geschlossen wurde, sind in Büren auch Frauen* untergebracht, die abgeschoben werden sollen.
Hier folgt nun die Dokumentation eines Redebeitrags während der Demonstration gegen den Abschiebeknast in Büren am am 08. September 2012:

Zwischen 1993 und 2011 befand sich in der Grünstraße in Neuss der bundesweit einzige Abschiebeknast, in dem ausschließlich Frauen inhaftiert waren. Weil die dort – für 80 bis 90 Frauen – vorgesehenen Plätze im Schnitt „nur“ noch zu 20 Prozent belegt waren, wurde die Frauenhaftanstalt in Neuss Ende letzten Jahres geschlossen. Seitdem werden hier, in Büren, streng getrennt von den untergebrachten Männern, auch Frauen eingesperrt. Im Allgemeinen befinden sich hier momentan 10 – 15 Frauen zur gleichen Zeit, manchmal auch mehr.

Demonstration gegen Abschiebehaft in Büren
Umzäuntes Waldstück neben dem Bürener Knast

Diese Veränderungen weisen nicht nur auf die Mauern hin, die in diesen Jahren um Europa hochgezogen wurden, um Migration und Flucht unmöglich zu machen oder zu selektieren. Sie rücken auch politische Verschiebungen und Konjunkturen bei der Bestimmung von „Illegalität“ oder „Legalität“ oder Transformationen von Migrationswegen ins Blickfeld. „Von Neuss nach Büren“ weiterlesen

Zur Konferenz der antirassistischen Bewegung in Frankfurt: Pecha Kucha „No Sexism“

Mitte November fand in Frankfurt die zweite Konferenz zu Bilanz und Perspektiven der antirassistischen Bewegung statt. Das Konferenzprogramm wurde entlang von sieben Schwerpunkten ausgerichtet, die zum Auftakt am Freitagabend zunächst in Bildervorträgen (Pecha Kucha) vorgestellt wurden.

Im Rahmen des Schwerpunkts No Sexism fanden mehrere Workshops statt, die zunächst den Blick auf die von einer Ethnisierung von Geschlechterhierarchien und Gewaltverhältnissen geprägten gesellschaftlichen Diskurse der letzten Jahre richteten: Medienberichte und politische Debatten drehten sich um „Zwangsprostitution“, „Zwangsehen“ oder „Kopftuchzwang“, und eine „fremde patriarchale Kultur“ wurde gezeichnet, die oft vollkommen anders scheint als die „westlich-demokratische Kultur“ (in der Frauen angeblich gleichberechtigt sind). Die Auswirkungen eines gesellschaftlichen Konsens, der Frauen* in der Migration bzw. der nachfolgenden Generationen hauptsächlich die Opferrolle zuweist, sind vielfach striktere Migrationskontrollen oder aufenthaltsrechtliche Regelungen. Diese zementieren gerade Abhängigkeitsverhältnisse, während dagegen ungleiche Geschlechterverhältnisse und Gewalt in der „eigenen“ Gesellschaft dem Blick entzogen werden. „Zur Konferenz der antirassistischen Bewegung in Frankfurt: Pecha Kucha „No Sexism““ weiterlesen