Morgen wird das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen – das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) – in Kraft treten. Dieser Name des Gesetzes ist eine orwellsche Irreführung (weil dem „Neusprech“ in Orwells Roman 1984 ähnlich): Zukünftig sind Sexarbeiter*innen gezwungen, ihre Tätigkeit bei mehreren Behörden anzumelden. Bei ihrer Arbeit müssen sie dann einen Ausweis mit Foto bei sich führen, auf dem vermerkt ist, dass sie „Prostituierte“ sind. Sexarbeiter*innen fühlen sich dadurch nicht geschützt, sondern vielmehr stigmatisiert, kontrolliert und möglicherweise in Gefahr gebracht.
Deshalb wurde heute in einer bundesweiten Aktion in mehreren Städten gegen das Gesetz protestiert. Am 2. Juni, dem Internationalen Hurentag, startete ein Bündnis aus Sexarbeiter*innen, feministischen Aktivist*innen, Sozialarbeiter*innen und anderen Unterstützer*innen die Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt! Das Bündnis setzt sich für die Abschaffung des ‚Prostituiertenschutzgesetzes‘ und anderer diskriminierenden und kriminalisierenden Gesetze gegen Sexarbeiter*innen ein.
„Wir müssen für uns und unsere Familien Isolierung und Ablehnung, Respektlosigkeit und Mobbing befürchten“, erklärte heute eine Sexarbeiterin, die gegen das Gesetz protestierte. „Wenn mein Ausweis in falsche Hände gerät, könnte ich sogar erpresst werden. Und wie ich unsere Kunden kenne, werden sie nach diesem Ausweis fragen, um damit unsere persönliche Daten zu erfahren.“ Eine feministische Aktivistin, die sich an den Protesten beteiligte, meinte: „Letztlich betrifft die Stigmatisierung von Sexarbeit alle Frauen* und alle, die aus anderen Gründen nicht in patriarchale Gendernormen passen. Denn das Hurenstigma, und der damit verbundene Dualismus zwischen Heilige und Hure, ist ein Kernelement geschlechtsspezifischer Erziehung, die alle Mädchen* und Frauen* in ihrer Selbstbestimmung einschränkt.“
Laut Mitteldeutschem Rundfunk (MDR) sieht selbst das Bundesland Thüringen das neue Regelwerk mit Skepsis. „Betroffene Personen könnten sich nicht anmelden, weil sie befürchten, dass ihre Prostitutionstätigkeit öffentlich bekannt wird“, so die Sorge im Thüringer Sozialministerium. Nicht immer gelungene Versuche, Sexarbeiter*innen zu registrieren, scharf zu kontrollieren und zu entrechten, gab es – häufig aus Gründen der „Sittlichkeit“ – bereits in vergangenen Jahrhunderten. Im Januar 1883 erhielt der Dortmunder Landrat Freiherr von Rynsch ein Schreiben der Königl. Regierung, Abteilung des Inneren, in dem er zur gründlicheren Erfassung der Prostituierten aufgefordert wurde:
Aus einem Bericht der städtischen Polizei-Verwaltung zu Dortmund haben wir ersehen, daß gegenwärtig nur 6 dortselbst wohnhafte Prostituierte unter regelmäßiger sitten- und sanitätspolizeilicher Controle stehen, früher controlierte Prostituierte aber in unbestimmter Anzahl Wohnung in anderen nahe gelegenen Ortschaften des Landkreises genommen haben und von letzteren aus ihr Wesen in der Stadt Dortmund fortsetzen. …1A. Jenders/A. Müller: „Nur die Dummen sind eingeschrieben…“. Dortmunder Dirnen- und Sittengeschichte zwischen 1870 und 1927. Hrsg. Geschichtswerkstatt Dortmund e.V., 1993, S. 34.
Das Frauen*-Internationalismus-Archiv Dortmund unterstützt die Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Weitere Unterstützer*innen der Kampagne sind gern gesehen!