Ägyptische Organisationen rufen für den 12. Februar zu einem globalen Aktionstag gegen sexualisierte Gewalt bei Protesten in Ägypten auf: The nearest Egyptian Embassy of our place of residency all over the world 6pm local time. Bereits am Mittwoch demonstrierten in Kairo Tausende (hauptsächlich Frauen) gegen Übergriffe während der Massenproteste. Am 25. Januar, dem zweiten Jahrestag des Aufstandsbeginns, waren mindestens 25 Frauen auf dem Tahrir-Platz und in der Nähe von gewalttätigen Massen abgedrängt, angegriffen und teilweise vergewaltigt worden.
Die Selbsthilfeorganisation Operation Anti-Sexual Harassment/Assault (OpAntiSH siehe hier oder hier, andere Organisationen gegen sexualisierte Gewalt sind die Initiative Shoft Taharosh (I saw harassment) der Fouada Watch oder Tahrir Bodyguard) erhielt an dem Tag allein 19 Berichte über sexualisierte Angriffe auf dem Tahrir-Platz und konnte bei 15 eingreifen. Häufig gelingt es den Eingreifenden allerdings nur, die Angegriffenen schließlich in Sicherheit zu bringen und medizinisch zu versorgen. Die Proteste in Ägypten sind auch jenseits dessen zurzeit (wieder) von massiver Gewalt geprägt: Nicht nur in Kairo gingen die Sicherheitskräfte seit dem Jahrestag der Revolution äußerst brutal vor, in den Städten Port Said und Suez war der Großteil der fast 60 Toten seit dem 25. Januar zu beklagen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.
Viele nehmen in Ägypten mittlerweile an, dass die sexualisierte Gewalt bei den Protesten organisierte Attacken sind, eine Waffe, um vor allem weibliche Demonstrant_innen zu erniedrigen, einzuschüchtern und abzuschrecken. Die Gruppen, die die Angriffe dokumentieren und ihnen entgegenarbeiten, sagen, dass Einzelheiten auf Planung deuten. Die Taktiken seien normalerweise ähnlich und viele Opfer beschrieben, dass der Angriff durch eine Männergruppe eingeleitet würde, die sie umringt. „Eines der großen Probleme, die zu bedenken sind“, sagt Yasmin El-Rifae von OpAntiSH allerdings ebenfalls, „auch wenn sie geplant und abgestimmt waren, hätten sie nicht in dem Maß den Erfolg, den sie haben, wenn sie sich nicht auf ein chronisches Problem sexueller Belästigung in Ägypten stützen könnten.“ Auch die Beteiligung von Passanten trüge zu der chaotischen Mob-Situation bei.
Der Aufruf für den 12. Februar fordert daher dazu auf, das Thema zu einer Priorität zu machen:
We urge every revolutionary group, political party or individual to speak up and take IMMEDIATE action against both the sexual attacks committed by organized mobs aiming to tarnish the image of Tahrir and terrorize the protestors, and the sexual harassment targeting Egyptian women and girls on a daily basis in the streets of their own country.
Fighting sexual humiliation and aggression should be a TOP PRIORITY in the noble strive for freedom and dignity of the Egyptian people.
Und noch eine Anmerkung: Wie die aktuelle Debatte gezeigt hat, ist alltäglicher Sexismus kein „Problem“ anderswo; Formen und Ausmaß struktureller/physischer Gewalt sind unterschiedlich, aber gleichzeitig ist der manifeste Sexismus (und nicht nur der, sondern ebenfalls die rassistische . . . Äußerung) immer „Platzverweis“, symbolisch und körperlich Ausdruck bzw. Durchsetzung von/für Macht und Herrschaft.
Selbstverständlich ist die Situation in Ägypten zurzeit eine sehr andere als hier. Susan Brownmiller schrieb in ihrem 1975 erschienenen Buch „Against Our Will“ („Gegen unseren Willen“) unter Bezugnahme auf die Vergewaltigungen 1971 in Bangladesh über das „Vergessen“ von Kriegsvergewaltigungen und die damit verbundene Annahme der Einmaligkeit: „Theorien und Mutmaßungen gibt es die Menge; alle basieren auf der irrigen Annahme, die Vergewaltigungen von Bangladesh seien ohne Beispiel in der modernen Geschichte. Das entspricht nicht den Tatsachen.“ Sie führt dann Beispiele aus anderen Kriegen an, um das Fazit zu ziehen: „Auch in diesen Kriegen sprach man von ‚Terrorkampagnen’ und von ‚bewußter Militärtaktik’ und vergaß es später wieder.“1Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft. Frankfurt am Main 1984, S. 89 f. Auch in Ägypten liegt in den aktuellen Auseinandersetzungen der Verdacht einer „Vergewaltigungsstrategie“ nahe.