Flüchtende sollen nach der Vorstellung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zukünftig „gerettet“ werden, indem sie in „Ausreise- oder Willkommenszentren“ in nordafrikanischen Transitländern überprüft werden. Die Auslagerungspläne rechtfertigte de Maizière letzten Freitag in Brüssel bei einem EU-Ministertreffen unter Rückgriff auf den Menschenhandelsdiskurs. „Der jetzige Zustand ist, dass die Starken sich durchsetzen“, sagte de Maizière. „Dass Frauen und Mädchen in Bordellen in Europa landen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und das noch mit wahnsinnigen Gewinnen von diesen Menschenhändlern.“1SZ.de/dpa/AFP/mcs/mane: EU-Flüchtlingszentren in Afrika: „Apokalyptische Vision“. Süddeutsche Zeitung, 05.12.2014, http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-fluechtlingszentren-in-afrika-apokalyptische-vision-1.2254709.
Die Zentren sollen Flüchtlinge von der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer in Richtung Europa abhalten. „In den Zentren müsste die Entscheidung fallen, wer auf legalem Weg nach Europa kommen kann und wer mit unserer Hilfe wieder in seine Heimat zurückkehren muss“, hatte der Bundesinnenminister bereits im November gesagt.2Interview von Torsten Kleditzsch: „Die haben gelernt zu töten“. freiepresse.de vom 27.11.2014, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Interviews/DE/2014/11/interview-freiepresse.html. Durch die Erklärung von Migrant_innen – und insbesondere weiblichen – zu Opfern soll nun offenbar die beabsichtigte (weitere) Vorverlagerung der europäischen Außengrenzen in Länder wie Ägypten, Marokko oder Libyen als „humanitäre“ Maßnahme vermittelt werden. Die Fluchtbekämpfung wird als Menschenhandelsbekämpfung zur „Rettung“ der Flüchtenden vor ihren Schleuser_innen – für die Frauen* gleich vor den „Bordellen in Europa“; eine auch stattfindende Migration in die Sexarbeit wird als ausschließlich unter Zwang gedacht. Über die Entwicklung der bundesdeutschen und europäischen Migrationspolitik, die unter anderem die tödlichen Folgen von Fluchtversuchen über das Mittelmeer zu verantworten hat, verlor der Bundesinnenminister selbstverständlich kein Wort. Auch eine vorgelagerte Sortierung in „Willkommenszentren“ wird das Sterben an den Außengrenzen nicht beenden.
Gleichzeitig hat das Bundeskabinett vor einigen Tagen einen Gesetzentwurf3Publikation 03.12.2014: Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Kurzmeldungen/gesetzentwurf-bleiberecht.pdf. auf den Weg gebracht, der neue Gründe für die Abschiebungshaft von Flüchtlingen schafft, unter anderem „erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser“ – zwischen 3.000 und 20.000 € sind der Gesetzesbegründung zufolge gemeint. Die Logik: Wer in Flucht oder Migration investiert hat, bei der_dem besteht eher weitere „Fluchtgefahr“, wenn eine Abschiebung droht. Ohne bezahlte professionelle Unterstützung ist es aber im Allgemeinen unmöglich, die Grenzen um und in Europa zu überqueren. Wer also in de Maizières öffentlicher Rhetorik dort Opfer ist, wird hier gesetzlich Täter_in (Gerichtsurteile hatten erst vor einigen Monaten die Abschiebungshaft für Flüchtlinge massiv eingeschränkt, was sich mit der geplanten Änderung des Aufenthaltsgesetzes nun wieder ändern soll).
Die Fluchtgründe haben gegenüber dem Primat der Migrationsregulierung längst ihre Bedeutung verloren. Der Gesetzentwurf sieht außerdem Wiedereinreisesperren unter anderem für Asylsuchende vor, deren Antrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden ist. Das „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ für Abgeschobene, die dann noch einmal versuchen, vor Diskriminierung, Bedrohung und Verfolgung hierher zu fliehen, kriminalisiert ihre erneute Flucht.