Coco Em – grenzenlose Beats aus Kenia

„Das Ziel von Pass Pass ist es, unfaire Reisebeschränkungen für afrikanische Kulturschaffende infrage zu stellen und sie mit Informationen und Ressourcen zu versorgen, um ihnen durch die langwierigen, verwickelten und teuren Visaverfahren zu helfen, mit denen sie konfrontiert sind“, sagt die keinianische DJ, Produzentin und  Filmemacherin Emma Mbeke Nzioka, bekannt als Coco Em, im Interview mit dem Online-Magazin Africa Is a Country.1Justin Doucet (Interview mit Coco EM): Beats, borders, and the struggle for freedom, Africa Is a Country, 25.02.25, https://africasacountry.com/2025/02/beats-borders-and-the-struggle-for-freedom. Bereits während ihrer europäischen Auftritte im letzten Jahr hatte sie sich zusammen mit anderen Künstler_innen und Veranstalter_innen über demütigende und ausschließende Visaverfahren und -verweigerungen beschwert – wobei in der Europäischen Union 2023 allein durch abgelehnte Visa 130 Mio. Euro eingenommen wurden.2Karen McVeigh: African and Asian artists condemn ‘humiliating’ UK and EU visa refusals, The Guardian, 25.06.2024, https://www.theguardian.com/global-development/article/2024/jun/25/african-asian-musicians-artists-condemn-humiliating-uk-eu-visa-refusals.
Mit Africa Is a Country spricht sie (unter anderem) über die deshalb von ihr und anderen Kreativen initiierte Organisation Pass Pass, aber auch über Probleme einer nicht-männlichen Musikszene in Kenia, die politische Situation und ihren Einfluss auf sie selbst als Künstlerin. Das Interview unter dem Titel Beats, borders, and the struggle for freedom ist hier etwas gekürzt wiedergegeben.

Coco Em (CE): … Dass ich im Rampenlicht stehe, hat es mir gewissermaßen möglich gemacht, für die Einbeziehung von mehr Frauen* in das DJing, die Musikproduktion und Bereiche der Musikindustrie in Nairobi einzustehen. Zuletzt hat es mehr integrative Ausbildungsmöglichkeiten, mehr Interesse und mehr sichere Räume für Talentförderung gegeben. Es existieren jetzt Femme-Kollektive und Events, die es noch nicht gab, als ich Sim Sima im Jahr 2020 gestartet habe. … Strictly Silk hatte vor kurzem ein Comeback. Sie haben sich immer für sichere Auftrittsmöglichkeiten für Frauen* und sich als nicht-männlich identifizierende Künstler_innen eingesetzt.
Ich denke, es ist interessant, die Verbindung zu den Femizidraten herzustellen. Während in meiner Branche Frauen* mehr repräsentiert sind und sich mehr Frauen* durchsetzen, um diesen Raum für sich und für ihre Schwestern zu beanspruchen, hat die Zahl der Femizide in Kenia 2024 einen Höchststand erreicht. Und die Probleme sind nicht ausschließlich geschlechtsbezogen, sie werden durch politische Faktoren verschärft, unter anderem durch Armut, Traumata und den Abschwung der kenianischen Wirtschaft. Diese Faktoren zusammen machen Frauen* besonders verletztlich gegenüber geschlechtlicher Gewalt, egal, ob sie auf häusliche Gewalt oder Ablehnung von Catcalls zurückgeht.
Offensichtlich fühlen sich wegen dieser alarmierenden Zahl von Femiziden viele Frauen* nicht mehr sicher oder frei, wenn sie ausgehen. Wir müssen aufeinander achtgeben, sonst gehen wir das Risiko ein, dass wir nach einer Party missbraucht oder auf der Straße angegriffen werden, selbst bei Mitfahrdiensten wie Uber oder Bolt. Trotz alledem gibt es positive Veränderungen in unserer Branche. Strictly Silk zum Beispiel legt Wert auf Zusammenarbeit mit Uber-Fahrern*, damit Teilnehmer_innen sicher nach Hause kommen, und es gibt ein Gefühl der Nachverfolgbarkeit und Verantwortlichkeit. Aber es gibt keine staatliche Unterstützung oder Finanzierung für solche Nachtlebenorganisationen, und das bedeutet, dass sie oft zwischen der Publikumssicherheit und dem Gewinn aus den ihren Veranstaltungen wählen müssen.

Justin Doucet (JD): Letztes Jahr bist du auf deiner deiner dritten Europatournee durch ein Dutzend Städte gereist. Wie war es, auf einigen der größten Bühnen der Welt zustehen, während in Kenia landesweite Proteste ausbrachen?3Dazu unter anderem: Joachim Buwembo: Proteste in Kenia: Weg mit denBills“, die tageszeitung, 28.7.2024, https://taz.de/Proteste-in-Kenia/!6017674/; Joachim Paul: Kenias junge Generation rebelliert gegen Schulden und Korruption, Heinrich Böll Stiftung, 27.06.2024, https://www.boell.de/de/2024/06/27/occupy-government-kenias-junge-generation-rebelliert-gegen-schulden-und-korruption; Zeit Online, dpa, AFP, ak: Kenias Regierung will nach Sturm auf Parlament Militär einsetzen, ZEIT ONLINE, 25.06.2024, https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-06/kenia-nairobi-praesident-william-ruto-infiltration.
CE: Am 25. Juni, einem der größten Demonstrationstage, waren wir gerade im Vereinigten Königreich gelandet. Es lag schon eine gewisse Ironie darin, mich an diesem Tag im Land unserer früheren Kolonialherren wiederzufinden – es war wie ein schlechter Scherz. Die Bilder auf meinem Smartphone sahen apokalyptisch aus und ich hatte das Gefühl, mich auf einem anderen Planeten als die Menschen um mich herum zu befinden. Es war schwierig für mich, in den Flow zu kommen und meine Auftritten zu genießen, gerade beim Glastonbury Festival, einem der größten Festivals in Europa. Ich hätte mich gern in die Straßen des CBD [Central Business District von Nairobi] teleportiert, um mein eigenes Gefühl von Wut und Frustration auszudrücken. Die ständigen Updates brachten Erinnerungen daran zurück, wie ich in den vergangenen Jahren bei den Demonstrationen zum Saba Saba Day auf denselben Straßen war, als die Mobilisierungen so viel kleiner waren. Ich fühlte mich auch stolz, dass die kenianische Bevölkerung aufstand und sich lautstark äußerte, sodass ich tatsächlich zu diesem historischen Moment nach Hause fliegen wollte. Wieder war die Ironie, dass ich selbst als erfolgreiche tourende DJ … für Flüge und Visa so viel gezahlt hatte, dass ich es mir nicht leisten konnte, mich frei zu bewegen.
Zu sehen, wie enorm die die Zahlen der Teilnehmenden waren, war trotzdem superinspirierend, also taten wir, was wir konnten, und unterstützten von dort aus, wo wir waren. …

JD: Deine Sets sind häufig eine eklektische panafrikanische Mischung aus Kuduro, Baile Funk, Amapiano und Black Techno. Du hast gesagt, dass du von der Musik beeinflusst wurdest, mit der du aufgewachsen bist – kongolesische Musik und Kwaito. Hältst du dich über aktuelle politische Ereignisse auf dem Kontinent auf dem Laufenden oder interessiert du dich mehr für panafrikanische Kultur?
CE: Ich bin Panafrikanistin, deshalb versuche ich, so weit wie möglich auf dem neusten Stand zu sein, indem ich verschiedenen Aktivist_innen und Medienquellen online folge. … Die Massenproteste letztes Jahr – von Nigerianer_innen, die die Lebenshaltungskosten und Bad Governance anprangerten, über Anti-Korruptions-Proteste in Uganda bis zum Maandamano-Aufruhr gegen die jüngsten Steuererhöhungen in Kenia4Unter anderem:ema: Proteste der Jugend: Steht eine afrikanische Revolution bevor?, Deutschlandfunk, 01.10.2024., https://www.deutschlandfunk.de/proteste-gen-z-kenia-uganda-nigeria-afrikanische-revolution-100.html., selbst die Sahel-Region, die sich jetzt zur Selbstverwaltung zusammengetan und einen gemeinsamen Pass für ihre Mitgliedstaaten angekündigt hat – das alles zu sehen, gibt mir ein Gefühl von Einheit und gemeinsamen Zielen mit anderen Afrikaner_innen. Gleichzeitig widern mich die derzeitigen Führungspersonen an, die daraus Kapital schlagen, um ihre politischen Agenden voranzutreiben. Viele von ihnen ziehen politische Tricks ab, während sie die fundamentalen Forderungen der Bewegungen und die Umstände ignorieren, die sich auf die Lebensqualität der Bürger_innen auswirken. Die Gen-Z hat ihr Leben riskiert, sie wurde drangsaliert, misshandelt, eingeschüchtert und entführt. Vieles davon hat meine neuste Musik beeinflusst; ich denke, das ist ein Grund, warum sie ziemlich düster bleibt. Ich habe mich meiner Realität sehr entfremdet gefühlt, vor allem bei den täglichen Updates über die Genozide in Palästina und im Sudan.

JD: Auf deinem letzten Album Kilumi befassten sich Songs wie „Land (Black) First“ mit historischen und aktuellen Ungerechtigkeiten. Deine neuste Single „Kwa Raha Zangu“ nahm einen einen introspektiven Weg zu den Themen Befreiung und Empowerment. Was kannst du uns über deine nächsten Releases erzählen und darüber, wohin dich deine Inspiration führt?
CE: „Land (Black) First“ wurde von mir produziert, aber die Texte wurden von meiner Freundin Sisian geschrieben, einer talentierten Singer-Songwriterin, der diese Themen ebenfalls am Herzen liegen. Ich habe mich damit herumgeschlagen, Musik zu machen, deshalb musste ich mich mit mir selbst als Künstlerin auseinandersetzen und erst eine Sprache finden, um auszudrücken, was mir wichtig ist. Ich bin immer noch auf diesem Weg, und was jetzt herauskommt, sind kleine Einblicke in Themen, die ich weiter vertiefen möchte, vielleicht, wenn ich mich als Songwriterin weiterentwickelt habe. Ich habe einige Veröffentlichungen, die in diesem Jahr herauskommen; [sie] sprechen über meine Schwierigkeiten mit Visa- und Reisebeschränkungen, sprechen über Bad Governance und Irreführungsverhalten. …
Es gab eine Zeit, in der ich mir der Politik viel weniger bewusst war, und jetzt fühle ich mich hyperaufmerksam. Viel von meinem Material dreht sich jetzt darum, mich selbst und diese Ereignisse zu hinterfragen. Ich lerne jeden Tag viel, und während ich weiter in meine politischen Sachen eintauche, möchte ich Musik machen, die Menschen zum Nachdenken bringt, ohne dass sie sich zu deprimiert fühlen. Ich möchte andere inspirieren, damit sie ihre eigene Rolle in dem Gesamtapparat infrage stellen können.

JD: Erzähl uns von deiner neuen Plattform.
CE: Ich bin zurzeit in der Vorbereitungsphase von Pass Pass, einer Interessenorganisation, die in den Händen von afrikanischen Kreativen und Kreativen in der Diaspora liegt. Das Ziel von Pass Pass ist es, unfaire Reisebeschränkungen für afrikanische Kulturschaffende infrage zu stellen und sie mit Informationen und Ressourcen zu versorgen, um ihnen durch die langwierigen, verwickelten und teuren Visaverfahren zu helfen, mit denen sie konfrontiert sind. Wir wollen die uns aufgezwungenen Visabestimmungen nachverfolgen, aber auch, mit Blick nach innen, die Anforderungen, die afrikanische Länder häufig an Staatsangehörige der anderen Länder stellen. Wir wollen die Menschen über die Aufhebung der Visumspflicht informieren, wie in diesem Jahr in Ghana für alle Inhaber_innen afrikanischer Pässe, weil Freizügigkeit Austausch, Zusammenarbeit und gegenseitigen Vorteil bringt. Wir glauben, dass die afrikanischen Gemeinschaften innerhalb der künstlichen Grenzen, die von den Kolonialist_innen errichtet wurden, wirtschaftlich oder kulturell nicht wirklich aufblühen können, deshalb wollen wir innerafrikanische Reisen ebenso fördern wie wir Bewegung über den Kontinent hinaus ermöglichen wollen. 

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