Hunderttausende beim ‚Women’s March‘ in Washington und anderswo

Allein in Washington und Los Angeles beteiligten sich am Samstag jeweils über eine halbe Million Menschen an den dortigen Women’s Marches; Demonstrationen mit schätzungsweise mehr als 100.000 Teilnehmer*innen soll es auch in New York, Chicago, Boston, Denver und Seattle gegeben haben. Mit etwa 670 Sister Marches weltweit in Solidarität mit der Veranstaltung in Washington wurde die Zahl der Beteiligten global auf über 4,6 Millionen Menschen geschätzt, darunter etwa 100.000 Menschen bei einem Protestmarsch in London. Die Women’s Marches sind so der größte Protest nach dem Antritt eines neuen Präsidenten in der Geschichte der USA geworden.

Women's March in Washington

Durch die Aufforderung zu einem Zusammenkommen „in Diversität“ sollte eine breite Beteiligung – gegen Rassismus und Polizeigewalt, für Migrant*innen und Geflüchtete in den USA, von LGBT-Organisationen oder Klimaschützer*innen… – an den Marches mit einem feministischen Schwerpunkt ermöglicht werden. Auseinandersetzungen gab es im Vorfeld (selbstverständlich) dennoch, etwa über die Beteiligung von Gruppen gegen Abtreibung, die sich selbst als feministisch definieren, oder um Widersprüche zwischen weißen und nicht-weißen Frauen*.

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Ethnisierung von Gewalt (Fortsetzung vom letzten Jahr)

Wie kann es sein, dass so viele behaupten, kein Racial Profiling im Vorgehen der Polizei in der Silvesternacht in Köln erkennen zu können? Um es kurz zusammenzufassen: Nach übereinstimmenden Berichten nutzte die Polizei die Ausgänge des Kölner Hauptbahnhofs, um Ankommende in polizeilich als weiß (linke Tür) und nordafrikanisch (nicht-weiß) Identifizierte (rechte Tür), die in einem Kessel bis zu drei Stunden festgehalten wurden, zu sortieren. „Anwesende Polizisten sprechen von ‚selektieren‘“, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger um 21:32 Uhr. „Es wird keiner zu früh gehen“, erklärte Polizeipräsident Jürgen Mathies später. „[M]ehrere Hundert Personen, die augenscheinlich aus Afrika stammen“, meldete die Polizei Köln in der Nacht auf Facebook und auf Twitter etwa gleichzeitig „mehrere Hundert Nafris“.1Quellen u. a.: Christoph Herwartz: Köln, Hauptbahnhof: Wer feiern darf und wer nicht, n-tv, 01.01.2017, http://www.n-tv.de/politik/Wer-feiern-darf-und-wer-nicht-article19445146.html; Newsticker zum Nachlesen. Festnahmen und Kontrollen – So war die Silvesternacht in Köln, Kölner Stadt-Anzeiger, 01.01.2017, http://www.ksta.de/koeln/newsticker-zum-nachlesen-festnahmen-und-kontrollen—so-war-die-silvesternacht-in-koeln-25398418; Sebastian Weiermann: Rassistische Großkontrollen zum Jahreswechsel, neues deutschland, 02.01.2017, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1037154.rassistische-grosskontrollen-zum-jahreswechsel.html; Felix Christians: Silvester: Kölnverbot für Nicht-Weiße, Ruhrbarone, 02.01.2017, http://www.ruhrbarone.de/silvester-koeln/137189. (Es ist übel, solche Äußerungen auch noch zu wiederholen, stimmt, hat aber hier erklärenden Charakter.) „Ethnisierung von Gewalt (Fortsetzung vom letzten Jahr)“ weiterlesen

Türkei: Prozess gegen die Schriftstellerin Aslı Erdoğan

Im Verfahren gegen die türkische Autorin Aslı Erdoğan und acht Mitangeklagte, die ebenso wie sie für die Zeitung Özgür Gündem tätig waren, hat das Gericht letzte Woche zum Prozessauftakt die Entlassung der Schriftstellerin aus der Untersuchungshaft angeordnet. Auch die 70jährige Autorin und Übersetzerin Necmiye Alpay wurde freigelassen. Beide befanden sich seit viereinhalb Monaten im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy. Wegen der Kolumnen, die Aslı Erdoğan in der Özgür Gündem über die Situation in den kurdischen Gebieten veröffentlicht hatte, wird ihr in der Türkei der Prozess wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ gemacht.

Aus einem Gefängnis, einem Frauengefängnis zwischen einer Psychiatrie und einem ehemaligen Lepra-Krankenhaus, rufe ich heraus zu euch Literaten. Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich – wie aus einem Brunnenschacht – zu euch: Hier, in meinem Land, lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen. Dabei wird gewohnheitsmäßig und wie blind versucht, die Wahrheit zu töten. Auch wenn ich nicht weiß, wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden. Die Literatur, die wir mit unserem eigenen Blut schreiben, denn diese ist für mich die Wahrheit. Herzliche Grüße, Aslı Erdoğan. Diese Grußbotschaft Aslı Erdoğans wurde zur Eröffnung der letzten Frankfurter Buchmesse verlesen, während der die Autorin bereits inhaftiert war. „Türkei: Prozess gegen die Schriftstellerin Aslı Erdoğan“ weiterlesen

“Starting below Zero”

Das nordrhein-westfälische Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat eine App entwickeln lassen, die geflüchtete und von Gewalt betroffene Frauen* über ihre Rechte und über Unterstützungsmöglichkeiten (wie Beratungsstellen oder Polizeidienststellen in der Nähe) informieren soll. Die App „RefuShe“ steht in fünf Sprachen – Deutsch, Englisch, Arabisch, Kurdisch, Paschtu – zum Herunterladen für Android-Handys zur Verfügung. Nützliche Informationen für Frauen* sind an sich eine gute Sache. NRW-Emanzipationsministerin Steffens muss jedoch dazu noch die Ansicht verbreiten, dieses Land sei ein antisexistisches Paradies; Flüchtlingsfrauen* machen leider häufig die gegenteilige Erfahrung. „Grundwerte wie Gleichstellung und Selbstbestimmung“ solle die App den Frauen* vermitteln, wirbt das NRW-Ministerium auch in einer Pressemitteilung1Pressemitteilung: Emanzipation: Ministerin Steffens: Bundesweit einzigartige App „RefuShe“ unterstützt Integration geflüchteter Frauen und bietet Hilfe bei Gewalt. Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, 19.12.2016, http://www.mgepa.nrw.de/ministerium/presse/pressemitteilungsarchiv/pm2016/pm20161219a/index.php. in anscheinend völliger Unkenntnis der hierarchischen und fremdbestimmten Verhältnisse, unter denen Flüchtlingsfrauen* hier in Lagern leben müssen.

“Starting below Zero” („Unter Null anfangen“) ist passenderweise der Titel einer Beschreibung von in Buchform (auf Englisch) zusammengefassten Forschungsergebnissen, die von Studierenden und Lehrenden der Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem International Women* Space (IWS), einer Gruppe geflüchteter und migrierter Frauen, über das Leben von Frauen* in Berliner Flüchtlingslagern zusammengetragen wurden. „Viele Frauen* drückten den starken Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben aus“, heißt es dort im Resümee, da ihnen durch Lagerleben und Wartezustand die Möglichkeit dazu genommen werde.2Miriam Bräu, Katharina Epstude, Ana Mara Erlenmaier, Lena Nahrwold, Maya Perusin Mysorekar, Maja Sisnowski, Laura Strott, Camila von Hein: „Starting below Zero“: On the Situation of Women* in Refugee Camps in Berlin, 9. August 2016, http://www.medizinethnologie.net/starting-below-zero/. Unter anderem aus dieser Schlussfolgerung hätte das NRW-Ministerium einiges lernen können. „“Starting below Zero”“ weiterlesen