Nachtrag: wie weiter im Sudan?

Letzte Woche war die Situation im Sudan an einen kritischen Punkt gelangt. Mittlerweile werden die Verhandlungen um die Übergangsphase zwischen dem zurzeit herrschenden Militär und der zivilen Opposition jedoch wieder fortgesetzt. Diese Gespräche waren am Donnerstag vom Militärrat ausgesetzt worden. Und bereits letzten Montag waren in Khartum tödliche Schüsse auf Protestierende abgegeben worden. „Augenzeugen sind sich sicher: Die Schützen trugen die Uniformen der Rapid Support Forces (RSF), die schon seit Wochen mit ihren Geländewagen, auf denen schwere Maschinengewehre montiert sind, in den Straßen der Hauptstadt Khartum patrouillieren“, wurde in der Frankfurter Rundschau berichtet. Weitere Demonstrant*innen waren dann am Mittwoch letzter Woche bei einem ähnlichen Angriff verletzt worden. Der Militärrat hatte zuvor die Beseitigung von Straßenblockaden verlangt, die Protestierende errichtet haben, um den Druck aufrechtzuerhalten. Von einer Verantwortung für die bewaffneten Angriffe will er aber nichts wissen.

Allerdings ist der Kommandant der beschuldigten Rapid Support Forces, Mohamed Hamdan Dagalo („Hemiti“ oder in anderer Schreibweise „Hamiti“ genannt), der Vizechef des Militärrats. Seine (mittlerweile) mit der regulären Armee assoziierten RSF sind aus den berüchtigten Janjaweed-Milizen hervorgegangen, die in der Region Darfur für grausame Verbrechen verantwortlich gemacht werden und zurzeit unter anderem Söldnertruppen in Saudi-Arabiens Krieg im Jemen schicken. Außerdem sind sie inzwischen für die Überwachung der Grenzen zu Libyen, Ägypten und Tschad zuständig, auch um – im Auftrag der Europäischen Union – Migration in Richtung Europa zu unterbinden. Durch diesen als Khartum-Prozess bezeichneten Deal mit der EU, der dem sudanesischen Regime 200 Millionen Euro eingebracht haben soll und in dem Deutschland der Deutschen Welle zufolge eine federführende Rolle gespielt hat, sind im Sudan Flüchtlinge und Migrant*innen brutalen Menschenrechtsverletzungen durch die RSF ausgeliefert. „Nachtrag: wie weiter im Sudan?“ weiterlesen

Feministinnen* kennen kein „Vater“land!

In diesem Jahr haben Teile des Mainstream-Feminismus das Thema Flüchtlingsfrauen entdeckt. In der Oktober-Ausgabe von Emma findet sich daher ein „geschlechtsspezifischer Forderungskatalog“, in dem Emma formuliert, was „JETZT PASSIEREN“ müsse.

Auf den ersten Blick scheinen die Forderungen zumindest nicht zu schaden, auch wenn alle, die schon länger gemeinsam mit Flüchtlingsfrauen* für eine Verbesserung ihrer Situation kämpfen, viele Forderungen vermissen – zum Beispiel die Forderung nach Abschaffung des entwürdigenden Asylbewerberleistungsgesetzes oder die Forderung nach privatem Wohnraum für alle und nach Abschaffung der Sammelunterkünfte bzw. der Lagerunterbringung – also die Maßnahmen, die Flüchtlingsfrauen* selbst seit langem zu ihrem Schutz einfordern. Vor allem in Bezug auf Asylverfahren bleiben die Forderungen reichlich inhaltslos, so dass sich die Frage aufdrängt, ob es Emma tatsächlich darum geht, die Situation asylsuchender Frauen zu verbessern.
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, was die eigentliche Absicht hinter diesen alarmistischen Forderungen ist: Tatsächlich geht es darum, asylsuchende Männer* als Täter in den Fokus zu nehmen. Denn so erfahren wir an anderer Stelle in derselben Ausgabe der Emma: „Denn eines ist doch klar: Viele der überwiegend jungen Männer, die da jetzt zu uns kommen, sind bisher noch nicht einmal von einem Hauch Gleichberechtigung der Geschlechter gestreift worden. Sie kommen aus Kulturen wie dem Islam, in denen Frauen als minderwertig gelten (..). Sie sind überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, traditionell schlecht bestellt ist um die Frauenrechte. Und sie kommen aus (Bürger)Kriegsgebieten, in denen sie Opfer oder Täter waren, und so manches Mal auch beides zugleich.
Gegen die soll nun in aller Härte vorgegangen werden. „Täter müssen konsequent verfolgt werden, auch wenn sie selber gleichzeitig Opfer sind.“ Und wie – darüber denkt Emma dann auch gleich nach: „Es stellt sich die Frage, ob solche Verstöße (Übergriffe auf Frauen bzw. Kinder und Verstöße gegen unsere Gesetze) auch ein Grund für die Ablehnung des Asylgesuchs sein können.“ „Feministinnen* kennen kein „Vater“land!“ weiterlesen

Straßensexarbeit: Dortmunds Berufsverbotsbezirk

Der Straßenstrich in Dortmund wurde im Mai 2011 geschlossen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk für die Straßenprostitution erklärt. Im März 2013 gab das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einer Sexarbeiterin, die gegen den Verlust ihrer Existenzgrundlage geklagt hatte, Recht und entschied, Straßenprostitution müsse in Dortmund möglich bleiben. Statt sich danach mit Beteiligten und Interessenverbänden zusammenzusetzen und einen neuen Strichstandort einzurichten, ging die Stadt Dortmund in Berufung. Das Oberverwaltungsgericht Münster als nächste Instanz hat gestern die Klage der Sexarbeiterin abgewiesen und das Verbot durch die Stadt bestätigt.

Sexarbeiter_innen-Demonstration gegen die Straßenstrich-Schließung
Sexarbeiter_innen-Demonstration für den Straßenstrich-Erhalt in Dortmund im März 2011

Richterlich begründet wurde die Entscheidung nun mit den Lebensverhältnissen anderswo in Europa und der (eventuell weiterhin drohenden) weiblichen Migration. „Die Lebensumstände in der bulgarischen Stadt Plovdiv haben sich nicht geändert“, erklärte Richterin Ricarda Brandts den Ruhr-Nachrichten zufolge.1Jörn Hartwich: Straßenstrich bleibt verboten. Gericht weist Klage gegen Stadt Dortmund ab / Ministerium kritisiert Sperrbezirk. Ruhr Nachrichten, 12.08.2015. Trotz der europäischen Freizügigkeit wird in dieser Logik die Überschreitung der Staatsgrenze zur (zumindest) unerwünschten Tat. Die Begründung sei „höchst bemerkenswert“, meint der lawblog. Demnach stehe in ganz (!) Dortmund laut Stadtverwaltung und Bezirksregierung Arnsberg kein einziges Gebiet zur Verfügung, das einen Straßenstrich „verkraften“ könne. Und weil die Zahl der Sexarbeiterinnen in dem Marktsegment stark zugenommen habe, hielte das Gericht „die Annahme für gerechtfertigt, ein solcher Straßenstrich werde egal an welcher Stelle immer auch schutzbedürftige Gebiete räumlich betreffen“2Lawblog: Dortmund bleibt „sauber“. 11.08.2015, https://www.lawblog.de/index.php/archives/2015/08/11/dortmund-bleibt-sauber/. – in der siebtgrößten Stadt der BRD. Der Rechtsanwalt der gegen das Verbot klagenden Sexarbeiterin wies darauf hin, dass das Interesse der Frauen* in den Erwägungen der Behörden keine Rolle spiele. Gegenüber Spiegel Online kündigte er an, in die nächste Instanz und damit vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen zu wollen.3Spiegel online: Verbot von Straßenprostitution in Dortmund: Gegen den Strich. 11.08.2015; http://www.spiegel.de/panorama/justiz/dortmund-gericht-bestaetigt-verbot-des-strassenstrichs-a-1047630.html. „Straßensexarbeit: Dortmunds Berufsverbotsbezirk“ weiterlesen

Care. Krisen. Migration

Für deutsche Kliniken und Medizindienstleister ist die Eurokrise ein Glücksfall. Sie bietet die Möglichkeit, ihren Fachkräftebedarf zu decken: 300.000 Pflegerinnen und Pfleger aus Süd- und Osteuropa arbeiten mittlerweile in der Bundesrepublik.

Das berichtete die Frankfurter Rundschau Anfang September.1Jörn Boewe/Johannes Schulte: Fachpersonal zum Schnäppchenpreis. Frankfurter Rundschau, 08.09.2014 (eine nachfolgende Suche hat ergeben, dass der Artikel am 16.07.14 bereits in der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, also hier auch online: http://www.berliner-zeitung.de/politik/billige-pflegekraefte-aus-suedeuropa-arbeitnehmer-zweiter-klasse,10808018,27862758,item,0.html). Personal wird ebenfalls für Seniorenheime angeworben und nicht nur in Süd- oder Osteuropa. Im Januar kamen beispielsweise die ersten Pflegerinnen aus China in die Bundesrepublik, um in einem Seniorenheim der Curanum AG – einer der größten privaten Betreiber von Senioren- und Pflegeeinrichtungen in Deutschland – in Frankfurt am Main zu arbeiten. Ausschlaggebend für die Personalchefin der Curanum AG, Elke Bachmann-Göre, seien allerdings nicht die guten beruflichen Qualifikationen der chinesischen Pflegekräfte gewesen (alle verfügen über einen Bachelor-Abschluss), sondern die „Soft Skills der Bewerberinnen“. „Damit meint sie den Respekt vor dem Alter und das offene, freundliche Zugehen auf die älteren Menschen“, informierte der Hessische Rundfunk.2Isabel Reifenrath: Chinesische Pflegerinnen in Frankfurt. Auf der Suche nach Arbeit und Traummann. Hessischer Rundfunk online, 23.01.2014; http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36082&key=standard_document_50634173.

Solche Aussagen reproduzieren die Trennung in erlernbare Kompetenzen (die hier als weniger wichtig betrachtet werden – als wäre Care-Arbeit nicht wissensbasiert) und in eine quasi natürlich anhaftende, über Geschlecht und Ethnizität zugewiesene „traditionelle“ Eignung für die Arbeit in der Pflege. Damit wird Pflegearbeit gewissermaßen zu einer Verlängerung familialer Reproduktionsarbeit als unbezahlter, naturalisierter Arbeit. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, dessen Ausrichtung auf Effizienzsteigerung etc. macht dagegen die nicht marktförmigen Kompetenzen in der Care-Arbeit unsichtbar und tatsächlich unbezahlbar (bzw. unbezahlt) – auch wenn die Interaktion zwischen Personen eine wesentliche Bedingung für die Qualität der Pflege ist. Pflegearbeit ist überwiegend weiblich: Über 80 Prozent der Pfleger_innen in Seniorenheimen und Krankenhäusern sind Frauen, bei den ambulanten Pflegediensten sind es fast 90 Prozent. „Care. Krisen. Migration“ weiterlesen

Die schwierige Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen

Da sich einer der letzten Posts auf die Proteste gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien bezog, hier ein Hinweis auf einen Beitrag auf the feminist wire. Sana Hashmi setzt sich dort unter der Überschrift „A Difficult Solidarity with Saudi Arabian Women“ mit der Situation der weiblichen Hausangestellten in Saudi-Arabien auseinander und der angesichts ihrer Lage schwierigen Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen*, die dort für mehr Rechte kämpfen.

… Übergangen wurde in dem Medienrummel die vergessene Masse von Hausangestellten fremder Staatsangehörigkeit, von denen ein großer Teil Frauen sind, die sich in Saudi-Arabien ohne ein Arbeitsschutzgesetz abplagen, mit der international verurteilten Todesstrafe des Landes konfrontiert sind und einem Bericht von Amnesty International zufolge der „besonderen Gefahr sexualisierter Gewalt und anderer Misshandlungen“ ausgesetzt sind. „Die schwierige Solidarität mit den saudi-arabischen Frauen“ weiterlesen