Die Revolte der Loméerinnen

In Lomé, der Hauptstadt Togos – zu der Zeit nominell Völkerbund-Mandatsgebiet unter französischer Verwaltung, de facto eine französische Kolonie, – rebellierten am 24. und 25. Januar 1933, also vor 92 Jahren, die Markthändlerinnen*, nachdem der französische Commissaire de la République Robert de Guise die Einführung neuer Steuern bekannt gegeben hatte.
Neben der Verwaltung Frankreichs mit dem Commissaire an der Spitze bestanden damals in Lomé zwei ausschließlich männliche togoische Vertretungen, der Conseil des Notables (Franz.: Rat der Notabeln) und die Duawo (Ewe: Bevölkerung, Leute). Im Gegensatz zum Conseil, der 1922 von der französischen Verwaltung ins Leben gerufen wurde, galten die Duawo – eine Initiative von Männern, die jünger, weniger gut gestellt waren – als nicht durch die Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht kompromittiert. So oder so wandten sich beide Gruppen in der Situation, in der die Weltwirtschaftskrise auch in Togo die Bevölkerung hart getroffen hatte, schriftlich an Commissaire de Guise und wiesen auf das drohende Elend durch eine höhere Besteuerung hin.

Doussi Ekué Attognon, Markthändlerin und Beteiligte an den späteren Protesten, erzählte 1977 (im Alter von 79 Jahren) über ihre Steuerfestsetzung: „Eines Morgens, als ich auf den Markt gehen wollte, kamen zwei Steuerbeamte zu mir. Sie zählten, wie viele Hühner, Enten, Hocker und Tische ich hatte; sie schätzten die Menge an Bonbons, Streichhölzern und importierten Seifen, die ich auf ein Tablett gelegt hatte, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Sie fragten mich, ob ich verheiratet sei. Ich bejahte … Dann wollten sie wissen, ob ich mit ihm zusammenlebe. Angesichts einer so unverschämten Frage schwieg ich. Danach berieten sie sich, kritzelten etwas auf einen Zettel und sagten zu mir: ‚Sie werden dieses Jahr 70 Franc Steuern zahlen.‘ Ich wollte wissen, ob die Marktgebühren in dieser Berechnung enthalten seien, aber sie sagten nein.

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Happy birthday, Ruby Bridges!

Ruby Neil Bridges, am 8. September 1954 in Tylertown, Mississippi, geboren, war im Alter von sechs Jahren die erste afroamerikanische Schülerin an der bis dahin weißen Kindern vorbehaltenen Grundschule William Frantz Elementary School in New Orleans.

Südstaaten wie Louisiana weigerten sich trotz US-höchstrichterlicher Entscheidung in den 50er-Jahren, die rassistische Segregation in den Schulen zu beenden. In New Orleans wurde die Aufhebung schließlich ab dem 14. November 1960 an zwei Grundschulen erzwungen.
Für den Besuch der jetzt „gemischten“ Schulen hatten afroamerikanische New Orleanser Kinder einen schwierigen Eignungstest absolvieren müssen und Ruby Bridges gehörte zu den sechs Kindern, die ihn bestanden hatten. Zwei von ihnen nahmen dennoch nicht an der Desegregation der Schulen teil, drei weitere, Leona Tate, Tessie Provost und Gail Etienne, wurden an der McDonogh 19 Elementary School eingeschult, während Ruby Bridges die einzige Schwarze Schülerin an der William Frantz Elementary School wurde, die näher an ihrer Wohnung lag (zusammen wurden die vier Schülerinnen als The New Orleans Four bekannt).
Vor dem Unterrichtsgebäude wurden Ruby Bridges und ihre Mutter von einem suprematistischen weißen Mob empfangen, der sie anschrie, rassistisch beleidigte und mit Gegenständen bewarf. Lange Zeit musste die Sechsjährige jeden Tag von mehreren US-Marshalls eskortiert werden, weil sie mit dem Tod bedroht wurde.

The Problem We All Live With (Norman Rockwell, 1963)
Das Gemälde The Problem We All Live With (Norman Rockwell, 1963) stellt Ruby Bridges auf dem Weg zur Schule dar, in Begleitung der US-Marshalls.
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deeds not words

Ungefähr 150 Suffragetten zerstörten am 1. März 1912 gegen halb sechs Uhr nachmittags mit Hämmern und Steinen die Schaufenster in mehreren Straßen des Einkaufsviertels im Londoner Westend. Die Aktion vor 110 Jahren war der Auftakt einer von der Women’s Social and Political Union (WSPU) organisierten Kampagne der zerschlagenen Fensterscheiben, um ihrer Forderung nach einem Wahlrecht für Frauen* Nachdruck zu verleihen. Sie wurde in den folgenden Tagen fortgesetzt, traf auch Regierungsgebäude und in der Folge befanden sich Ende März 1912 über 200 Frauen* im Gefängnis.
Die WSPU war 1903 in Manchester unter Federführung von Emmeline Pankhurst gegründet worden, die ebenfalls Mitglied der Independent Labour Party (ILP) war, aber das Engagement der Partei für Frauen*rechte als nicht ausreichend betrachtete. Entsprechend war die Gründung von aktiven Arbeiterinnen* und Mitgliedern der ILP, aber auch von ihren Töchtern Christabel und Sylvia unterstützt worden.

Annie Kenney und Christabel Pankhurst
Die Suffragetten Annie Kenney und Christabel Pankhurst
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Rosa L. 150 Jahre alt

Rosa Luxemburg, geboren am 5. März 1871 – zumindest ist er das wahrscheinliche Geburtsdatum – als Rozalia Luxenburg in Zamość, Kongresspolen, damals Russland (nun Polen), wäre heute 150 Jahre alt geworden, wenn eine denn so alt werden könnte. Tatsächlich wurde sie bereits mit 48 Jahren am 15. Januar 1919 in Berlin, mit Billigung der sozialdemokratischen Regierung um Gustav Noske und Friedrich Ebert, von Freikorps-Soldaten ermordet.

„Jetzt besitze ich zwölf vollbepackte Pflanzenhefte und orientiere mich sehr gut in der ‚heimischen Flora‘, z. B. im hiesigen Lazaretthof, wo ein paar Sträucher und üppiges Unkraut zur Freude der Hühner und der meinen gedeihen. So muß ich immer etwas haben, was mich mit Haut und Haar verschlingt, so wenig sich das für eine ernste Person ziemt, von der man – zu ihrem Pech – immer etwas Gescheites erwartet. Auch Du, Liebste, willst nichts von meinem ‚Glück im Winkel‘ hören und hast dafür nur Spott. Aber ich muß doch Jemanden haben, der mir glaubt, daß ich nur aus Versehen im Strudel der Weltgeschichte herumkreisle, eigentlich aber zum Gänsehüten geboren bin.“
Diese Zeilen schrieb Rosa Luxemburg am 18.09.1915 in einem Brief aus dem Gefängnis Barnimstraße an Louise („Lulu“) Kautsky.

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die halbe Wahrheit

Wenn es darum geht, wie viel für die Gleichstellung der Geschlechter in den vergangenen Jahren erreicht wurde, hört man immer wieder dasselbe Beispiel: Es sei ja noch bis 1977 der Frau verwehrt gewesen, ein Konto zu eröffnen oder zu arbeiten, wenn der Ehemann nicht sein Einverständnis gab. Das ist in Bezug auf die alte Bundesrepublik zwar richtig, für Gesamtdeutschland aber eben nur die halbe Wahrheit.1Annett Gröschner: Die systematische Diskriminierung im Osten, Zeit Online, 19.10.2015, https://www.zeit.de/kultur/2015-10/ddr-frauen-renten-altersarmut-uno-10nach8/komplettansicht.

Im vergangenen Jahr war Mauerfall-Jubiläum – die Grenzöffnung zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik liegt nun 30 Jahre zurück. Auch in diesem Jahr werden uns spätestens um den 3. Oktober zahlreiche Feierlichkeiten und Feiertagsreden erwarten (um eine „nationale Identität“skonstruktion zu verhandeln, in der als von der „Norm“alität abweichend etikettierte Menschen zurzeit verstärkt ausgeschlossen und eventuell angegriffen werden), weil dann im Jahr 1990 die DDR der BRD beitrat. Die (Mainstream-)Erinnerung als Wiedergabe dieser vergangenen Wirklichkeit ist häufig auf Proteste für Meinungsfreiheit oder für freie Wahlen, die Ausreisebewegung, z. B. über Ungarn, die Maueröffnung und die Vereinigung beschränkt; viele weitergehende Auseinandersetzungen und Forderungen, gerade der ostdeutschen Frauen*, die Umbruchshoffnungen auf einen „dritten Weg“, spielen darin kaum eine Rolle.

Tatsächlich kamen schon bald nach der Grenzöffnung, am 03. Dezember 1989, etwa 1.200 Frauen*Lesben2Der Begriff „FrauenLesben“ auf den hier zurückgegriffen ist, wurde in den 1980er-Jahren viel verwendet, um heterosexistische Diskriminierungen, die Naturalisierung von Heterosexualität und Geschlechteridentität bzw. eine erwartete Rollenkonformität zu kritisieren und Lesben die von ihnen eingeforderte Sichtbarkeit innerhalb der feministischen Bewegung zu verschaffen (heute würde eher FLINT* oder ein ähnlicher Begriff verwendet). in der Volksbühne Berlin zusammen, um dann auf diesem Treffen den Unabhängigen Frauenverband als eine politische Vereinigung zu gründen, die unter anderem am Zentralen Runden Tisch teilnehmen sollte. Die Initiatorinnen* der Versammlung befürchteten ihrem Aufruf zufolge „eine weitere Verschlechterung der sozialen Lage von Frauen“ und „die erneute Ausgrenzung von Frauen bei wichtigen politischen und ökonomischen Entscheidungen“.3Unter anderem nach: Aufruf des Initiativkomitees zur Gründung eines autonomen Frauenverbandes der DDR (26.11.1989), https://lilaoffensive.de/texte/aufruf_261189.html; Unabhängiger Frauenverband, https://www.ddr89.de/ufv/UFV.html. An der Außenfassade des Theaters hing an dem Tag ein riesiges Transparent: Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd

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