Ägypten, Bruchstücke

Der Blick auf Ägyptens politische Landschaft könne zu der Annahme verleiten, Frauen seien eine Minderheit, kommentierte ein Artikel der Zeitung Daily News Egypt1Khaled Diab: Egypt’s underground sisterhood. Daily News Egypt, 07.09.2013; http://www.dailynewsegypt.com/2013/09/07/egypts-underground-sisterhood/. die Zahl von nur fünf weiblichen Mitgliedern in dem 50-köpfigen Gremium, das den neuen ägyptischen Verfassungsentwurf diskutiert. Nach den bisherigen Planungen sollen die Ägypter_innen im November über die neue Verfassung abstimmen.

Weil sich während der Verfassungsberatungen 2012 die Delegierten nicht einigen konnten, wurde aus der Verfassung damals ein Artikel über die (Un-)Gleichstellung der Frau wieder herausgenommen. „Im neuen Entwurf ist ein entsprechender Artikel vorgesehen“, berichtet die Frankfurter Rundschau. „Er verpflichtet den Staat, der Frau bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in Familie und Gesellschaft zu helfen und garantiert ihr gleiche Rechte wie dem Mann, es sei denn, so der entscheidende Einschub: ‚Dies widerspricht den Prinzipien der Scharia’. Frauenrechtlerinnen sehen darin einen Rückschritt im Vergleich zur vorherigen Verfassung.“2Julia Gerlach: Verfassungsversammlung Ägypten. Ägypten startet Anlauf für neue Verfassung. Frankfurter Rundschau, 09.09.2013; http://www.fr-online.de/aegypten-syrien-revolution/verfassungsversammlung-aegypten-aegypten-startet-anlauf-fuer-neue-verfassung,7151782,24249014.html. Dieser neue Artikel ist offenbar der alte, der bereits damals zu Protesten führte.
Weiterhin werden die Privilegien des Militärs, die schon in der Verfassung von 2012 verankert waren, in dem Entwurf fortgeschrieben. „Ägypten, Bruchstücke“ weiterlesen

Wohin im Jemen?

Mitte März hat im Jemen der Nationale Dialog begonnen: Eine Konferenz mit 565 Delegierten und neun Ausschüssen, die sechs Monate tagen soll, um eine Grundlage für die Zukunft des Landes zu schaffen. Aber nicht alle der nominierten Delegierten, unter ihnen die 2011 mit Friedensnobelpreis ausgezeichnete Aktivistin Tawakul Karman, wollten an der Konferenz teilnehmen. Stattdessen forderte sie in einem Interview zunächst den vollständigen Rückzug des weiterhin straffrei im Land lebenden jemenitischen Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh aus der Politik.

Dies sei nicht der Dialog, zu dem sie aufgerufen hätten, erklärte sie zum Beginn der Konferenz. Die Beteiligung der Jüngeren, Frauen und zivilgesellschaftlichen Gruppen sei ungleichgewichtig im Verhältnis zu der Vertretung der alten Eliten, die das „Blut der revolutionären Jugend an den Händen haben“. Tatsächlich hat die frühere Regierungspartei General People’s Congress (GPC), deren Vorsitzender immer noch Ex-Präsident Saleh ist, mit 112 Sitzen den höchsten Delegiertenanteil erhalten. Eine Reihe anderer Parteien ist ebenso präsent wie die südjemenitische Bewegung al-Hirak, deren Forderungen sich zwischen Autonomie und Sezession des Südens bewegen. Unabhängigen Vertreter_innen der Jugend, der Frauen und der Zivilgesellschaft wurden jeweils 40 Sitze zugesprochen, bei einer Frauenquote für die Konferenz von insgesamt 30 %. „Wohin im Jemen?“ weiterlesen

In Ägypten (und überall) gegen sexualisierte Gewalt

Ägyptische Organisationen rufen für den 12. Februar zu einem globalen Aktionstag gegen sexualisierte Gewalt bei Protesten in Ägypten auf: The nearest Egyptian Embassy of our place of residency all over the world 6pm local time. Bereits am Mittwoch demonstrierten in Kairo Tausende (hauptsächlich Frauen) gegen Übergriffe während der Massenproteste. Am 25. Januar, dem zweiten Jahrestag des Aufstandsbeginns, waren mindestens 25 Frauen auf dem Tahrir-Platz und in der Nähe von gewalttätigen Massen abgedrängt, angegriffen und teilweise vergewaltigt worden.

Die Selbsthilfeorganisation Operation Anti-Sexual Harassment/Assault (OpAntiSH siehe hier oder hier, andere Organisationen gegen sexualisierte Gewalt sind die Initiative Shoft Taharosh (I saw harassment) der Fouada Watch oder Tahrir Bodyguard) erhielt an dem Tag allein 19 Berichte über sexualisierte Angriffe auf dem Tahrir-Platz und konnte bei 15 eingreifen. Häufig gelingt es den Eingreifenden allerdings nur, die Angegriffenen schließlich in Sicherheit zu bringen und medizinisch zu versorgen. Die Proteste in Ägypten sind auch jenseits dessen zurzeit (wieder) von massiver Gewalt geprägt: Nicht nur in Kairo gingen die Sicherheitskräfte seit dem Jahrestag der Revolution äußerst brutal vor, in den Städten Port Said und Suez war der Großteil der fast 60 Toten seit dem 25. Januar zu beklagen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. „In Ägypten (und überall) gegen sexualisierte Gewalt“ weiterlesen

Ägypten in schlechter Verfassung

Diesen und nächsten Samstag soll in Ägypten über den 234 Artikel langen Verfassungsentwurf abgestimmt werden. Weil sich viele der Richter weigerten, die das Referendum flächendeckend überwachen sollen, wird es in zwei Phasen abgehalten werden. Die feministische Gruppe Baheya Ya Masr ruft dazu auf, als Zeichen eines Neins zu dem Entwurf bei der Stimmabgabe Rot zu tragen. Sie erklärte, der Verfassungsentwurf enthalte „mehrere ‚Zeitbomben’ für Frauen und Kinder“, meldete die Zeitung Bikya Masr.

Zwar waren die Prinzipien der Scharia schon in der letzten Verfassung als Hauptquelle des Rechts festgeschrieben. Neu ist allerdings, dass die Gelehrten der al-Azhar-Universität – als höchste Instanz des sunnitischen Islams – bei Fragen des islamischen Rechts konsultiert werden sollen. Ein weiterer kritisierter Artikel sieht vor, dass Staat und Gesellschaft darauf hinarbeiten sollen, „die genuine Natur der ägyptischen Familie und ihre moralischen Werte zu wahren“. Manal al-Taibi, eine der wenigen Frauen*, die Mitglied der 100-köpfigen verfassungsgebenden Versammlung waren, hat (wie eine Reihe anderer Mitglieder aus verschiedenen Gründen) bereits vor einiger Zeit ihr Mandat aufgegeben. Sie sagte, die Forderung nach der Senkung des Heiratsalters auf 14 Jahre – das nun nicht mehr wie vorher in der Verfassung festgelegt ist – sei Förderung von Kinderehen und ähnle einer Vergewaltigung. „Ägypten in schlechter Verfassung“ weiterlesen

„Wenn du etwas tun willst, tu es“

Der folgende Ausschnitt ist einem Artikel über jemenitische Frauen in der Neuen Zürcher Zeitung (08. August 2012) entnommen.

Jemenitinnen haben sich aufgemacht, das Gesicht ihres Landes nachhaltig zu verändern. Sie prangern gesellschaftliche Tabus an und fordern politisches Mitspracherecht. Ob sich ihr Einsatz in politische Mitsprache ummünzen lässt, bleibt ungewiss.

Helene Aecherli, Sanaa
Die Frauen kommen zu zweit oder in kleinen Gruppen, drängen sich eilig durch das blecherne Tor, das jedes Mal krachend hinter ihnen ins Schloss fällt. Sie huschen den schmalen Gang zum Haus hoch, manche nehmen ihren Schleier vom Gesicht, als wäre er ein Visier, andere warten damit, bis sie die schützenden Mauern erreicht haben. Es ist 16 Uhr, die Zeit nach dem Abwasch und dem Nachmittagsgebet, die Zeit, zu der Männer in Sanaa beim Katkauen sind und Frauen Nachbarinnen oder weibliche Familienmitglieder besuchen. Shymaa, die Herrin des Hauses, hat heute zu Ehren ihrer Freundin aus der Schweiz zu einer Frauenrunde eingeladen. Stolz weist sie ihre Gäste in den Maglis, den Salon. Ihre beiden älteren Töchter bringen Kaffee und Kuchen, die Luft ist von Parfum und Weihrauch erfüllt.

Gesprächsstoff
Die Stimmen schwirren erst schüchtern, dann immer lauter und aufgeregter durch den Raum. Die Rede ist von einer Bekannten, die vor wenigen Tagen in einen Schusswechsel geraten ist. Sie war mit ihrem Bruder abends unterwegs gewesen, als ihn herumlungernde Soldaten zum Anhalten zwangen. Sie wollten den Wagen. Als der Bruder Gas gab, schossen sie der jungen Frau in den Kopf. Ob sie überlebt, ist ungewiss. «Wenn ich so etwas höre, würde ich am liebsten weinen vor Wut», zischt Rofeida, eine 18-jährige Schülerin, die neben mir auf dem hellen Sitzkissen kauert. «Ich glaube, solche Attacken werden absichtlich verübt, um uns Frauen in Schranken zu halten.» Trotzig presst sie ihre Lippen zusammen. Sie werde sich jedoch nicht beeindrucken lassen, sagt sie. Im Gegenteil, sie plane, eine Schule zu eröffnen, eine Art Akademie für Talente, an der Jugendliche, Mädchen wie Burschen, ihre künstlerischen Begabungen weiterentwickeln können. Damit wolle sie beweisen, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Geschlechtern nichts Schlechtes, sondern für die Gesellschaft notwendig sei, um vorwärtszukommen. Erst hatte sie Angst davor, jemandem von ihren Plänen zu erzählen. Was würde man bloss von ihr denken, fragte sie sich. Darf ein Mädchen überhaupt so etwas tun? «Aber die Revolution hat mir eines gezeigt: Alles ist möglich. Wenn du etwas tun willst, tu es.» „„Wenn du etwas tun willst, tu es““ weiterlesen