Hürden der Heiratsmigration

Seit Herbst 2007 setzt der Nachzug von Ehegatt_innen aus Nicht-EU-Ländern voraus, dass der/die nachziehende Ehegatt_in deutsche Sprachkenntnisse nachweisen kann – es sei denn, diese_r kommt etwa aus Japan, Kanada, Südkorea, der Schweiz oder den USA. Solche Sprachprüfungen lassen sich einer Stellungnahme der Europäischen Kommission zufolge nicht mit Europarecht vereinen.

Nach der EU-Richtlinie 2003/86/EG, die das Recht auf Familienzusammenführung behandelt, dürfe kein Mitgliedsstaat einem Familienmitglied die Einreise und den Aufenthalt verweigern, weil dieser Familienangehörige die von dem Mitgliedsstaat im Ausland vorgeschriebene Prüfung nicht bestanden habe. „Andere Faktoren sind in dieser Angelegenheit nicht relevant“, lautet der abschließende Satz der an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gerichteten Erklärung.1Zitiert nach einer nichtamtlichen Übersetzung der Stellungnahme der Kommission vom 04.05.2011, u.a. unter: http://www.emhosting.de/kunden/fluechtlingsrat-nrw.de/system/upload/download_2654.pdf; auch ANA-ZAR, Heft 3/2011, S. 19, http://auslaender-asyl.dav.de/ANA-ZAR03-11.pdf; dort wiedergegeben als: Art. 7 Abs. 2 FZF-RL erlaubt es nicht, dass dem Ehegatten eines Drittstaatsangehörigen, der rechtmäßig in einem Mitgliedstaat lebt, nur deshalb Zugang zum Staatsgebiet verweigert wird, weil er einen Integrationstest im Ausland nicht bestanden hat, der durch nationales Recht dieses Mitgliedstaates vorgeschrieben ist. Ein Gericht in den Niederlanden, wo ähnliche Zuzugsvoraussetzungen bestehen, hatte dem EuGH mehrere Fragen vorgelegt, um die Vereinbarkeit mit europäischem Recht zu klären. „Hürden der Heiratsmigration“ weiterlesen

Women of the Egyptian Revolution

Tunesien: Ich bin die Stimme derer, die nicht nachgeben

Emel Mathlouthi singt in Tunis am 14. Januar mitten in einer Demonstration vor dem Innenministerium.
Ich bin das Recht der Unterdrückten, das verkauft wird von den Hunden, die den Weizen des Hauses plündern und die Tür vor den Flammen der Gedanken schließen. … Ich bin frei; mein Wort ist frei.
Die zunächst angezeigte Version mit englischen Untertiteln ist leider nicht mehr vorhanden; hier ist eine Version des Videos ohne Untertitel.

Burkaträgerinnen und Hausarbeiterinnen

Da die Diskussionen über die oben erwähnten Bereiche (z.B. den der Verwandtschaft, der Ausbildung, Religion etc.) im Kontext einer relativen „Unterentwicklung“ der Dritten Welt geführt werden (was nicht weniger heißt, als ungerechtfertigterweise Entwicklung mit der vom Westen eingeschlagenen Entwicklungsrichtung zu verwechseln und auch die direkte Machtausübung der Ersten Welt zu ignorieren), werden Dritte-Welt-Frauen als eine Gruppe oder Kategorie automatisch und notwendigerweise definiert als: religiös (sprich: „nicht fortschrittlich“), familienorientiert (sprich: „traditionell“), rechtlich minderjährig (sprich: „sie-sind-sich-ihrer-Rechte-immer-noch-nicht-bewußt“), analphabetisch (sprich: „dumm“), häuslich (sprich: „rückständig“) und manchmal revolutionär (sprich: „ihr-Land-befindet-sich-in-einem-Kriegszustand!“
Chandra Talpade Mohanty: Under Western Eyes. Feminist Scholarship and Colonial Discourses. 19841 Zitiert nach der Übersetzung in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, Heft 23, Köln 1988, S. 159 (Chandra Talpade Mohanty: Aus westlicher Sicht: feministische Theorie und koloniale Diskurse).

Während die Geschlechterverhältnisse in den europäischen Mehrheitsgesellschaften unvermutet egalitär geworden sind, gibt die Unterdrückung der Musliminnen offenbar Anlass zu offizieller Besorgnis. Das könnte sich jedenfalls aus den wiederholten Debatten der vergangenen Jahre schließen lassen. Tatsächlich formuliert sich in den kulturalisierenden Diskursen um Geschlechterverhältnisse die (Neu-)Herausbildung einer europäischen Gemeinschaftsidentität: Kämpfe um Mobilität und Aufenthalt als Momente der Transformation europäischer Gesellschaften werden umgedeutet in „Kultur“, und die Muslima ist als „Andere“ zu einem im Inneren der Gesellschaften verorteten Außen geworden. Da als „geschlechtlich definierte Körper“ Frauen nicht nur als „biologische Produzentinnen“ sondern auch „als die kulturellen Symbole“ der herzustellenden Gemeinschaft sowie „als ‚Grenzposten’ ethnischer, nationaler und rassisch gesetzter Differenzierungen“ aufgefasst werden2Nira Yuval-Davis: Geschlecht und Nation. Emmendingen 2001, S. 48, S. 68, S. 113, S. 190., ist der Körper der Frau zum „Austragungsort“ europäischer Identitätskonstruktionen geworden.

„Dabei“, stellt in einem Interview zu der allgemein als „Burkaverbot“ bezeichneten Verbannung der Gesichtsverschleierung in Frankreich die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze fest, „verhält sich die ‚Grande Nation’ nicht viel anders als der imaginierte muslimische Patriarch: Beide machen Frauen zum Symbol ihres kulturellen Selbstverständnisses.“3Interview durch Beate Hausbichler: „Debatte hat pornografischen Aspekt“. DieStandard, 22.07.2010. Für den Berliner Ex-Finanzsenator und mittlerweile Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin ist dagegen die Gemeinschaftsreproduktion gleich die biologische – unter anderem ursächlich für „den besonderen Kinderreichtum der muslimischen Migranten“ ist auch hier die „mangelhafte Emanzipation der Frauen“; „die in der Familie oft eingesperrten Frauen haben im Grunde ja kaum etwas anderes zu tun“4Ich möchte darauf hinweisen, dass ich kein Interesse habe, Zitate aus dem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ordnungsgemäß mit Literaturangaben zu belegen; das Buch findet sich (eingescannt) an verschiedenen Stellen im Internet, falls eine_r es lesen möchte.. Das „Projekt Sarrazin“ greift auf das gesamte biologistische Arsenal und die geschlechtliche Verweisung auf den Bereich der Lebensproduktion zurück; Frauen sind darin Gebärerinnen höher- oder niederwertiger ethnifizierter Gemeinschaften. Im Allgemeinen wiederholt allerdings die öffentliche Debatte zurzeit eher die Zuweisungen eines kulturalistischen Rassismus, um ahistorisierend Individuen und Kollektive mit unverrückbaren Eigenschaften zu belegen. „Burkaträgerinnen und Hausarbeiterinnen“ weiterlesen