Wiederaufgelebte Romantik (oder: die Wahl der Bilder)

Solidaritätsverhältnisse sind wieder gefragter. Auch aus feministischer Sicht wird Solidarität wieder mehr thematisiert und bleibt weniger ausschließlich „spezialisierten“ Gruppen vorbehalten. Nicht zuletzt haben die Frauenverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Jin/YPJ) im Kampf um den nordsyrischen, überwiegend kurdisch bewohnten Kanton Kobanê und das Frauen* ausdrücklich einbeziehende Rätesystem in der Region Rojava dabei wohl eine Rolle gespielt – diesen Schluss legte unter anderem das Programm des 37. Kongresses der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) vom 14. – 17. Mai in Münster nahe. Statt neuen Auseinandersetzungen um ein Wie? Solidarität von hier vor dem Hintergrund unterschiedlicher Situationen scheinen jedoch im Wesentlichen geläufige Bilder, d. h. besonders die Figur der bewaffneten Kämpferin*, wiederbelebt worden zu sein. Eine der bekanntesten ikonografischen Abbildungen der Revolution in Nicaragua (während des Contra-Krieges) war die „Miliciana de Waswalito“, eine Mutter mit Kind und Gewehr über der Schulter; solche Bilder fungieren als Repräsentation und Perspektive auf ein Gesamtgeschehen, sie sind wie eine Brille.

Beim BUKO-Kongress fand sich auf einem Info-Tisch eine Werbebroschüre (anders ist sie nicht zu beschreiben) für die kurdische Frauenorganisierung, allerdings nicht auf Kobanê/Rojava bezogen, sondern mit der allgemeinen Feststellung: „Tausende von Frauen – kurdische Frauen aus der Türkei, dem Iran, Irak, Syrien, Armenien, Russland und Europa aber auch Internationalistinnen aus dem Mittleren Osten und europäischen Ländern – sind als Militante in dieser Bewegung aktiv.“ Auf den Fotos sind überwiegend gut aussehende Frauen, militärgrün uniformiert, oft in der Natur/den Bergen (denen eine besondere Rolle für die konsequente Hinterfragung des kapitalistischen Systems zugeschrieben wird), teilweise bewaffnet. „Wiederaufgelebte Romantik (oder: die Wahl der Bilder)“ weiterlesen

Klage gegen KiK beim Landgericht Dortmund eingereicht

Im September 2012 starben bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises im pakistanischen Karachi 259 Menschen. Die Fabrik in Pakistan produzierte im Wesentlichen für das Unternehmen KiK, Deutschlands größte Textil-Discount-Kette mit Sitz in Bönen im Kreis Unna. Zwei Jahre lang verhandelten Angehörige der Opfer und verletzte Überlebende mit KiK über ein angemessenes Schmerzensgeld. Gestern reichten schließlich vier der Betroffenen (drei Hinterbliebene und ein gesundheitlich geschädigter ehemaliger Beschäftigter der Fabrik) über einen Anwalt beim Landgericht Dortmund Klage gegen den Textildiscounter ein.

In der Klageschrift heißt es, KiK sei für die „katastrophalen Brandschutzvorkehrungen“ in Pakistan mitverantwortlich gewesen. Unter anderem hätte Vertretern von KiK, die das Gebäude besucht hätten, auffallen müssen, dass dort Notausgänge fehlten und zahlreiche Fenster mit Eisen vergittert gewesen seien. Immer wieder sterben Arbeiter_innen der globalen Textilindustrie an den kostengünstigen, unwürdigen und häufig lebensgefährlichen Bedingungen.

KiK-Filiale
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Das Repertoire der „Retter“

Flüchtende sollen nach der Vorstellung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zukünftig „gerettet“ werden, indem sie in „Ausreise- oder Willkommenszentren“ in nordafrikanischen Transitländern überprüft werden. Die Auslagerungspläne rechtfertigte de Maizière letzten Freitag in Brüssel bei einem EU-Ministertreffen unter Rückgriff auf den Menschenhandelsdiskurs. „Der jetzige Zustand ist, dass die Starken sich durchsetzen“, sagte de Maizière. „Dass Frauen und Mädchen in Bordellen in Europa landen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und das noch mit wahnsinnigen Gewinnen von diesen Menschenhändlern.“1SZ.de/dpa/AFP/mcs/mane: EU-Flüchtlingszentren in Afrika: „Apokalyptische Vision“. Süddeutsche Zeitung, 05.12.2014, http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-fluechtlingszentren-in-afrika-apokalyptische-vision-1.2254709.

Zaun Melilla
Zäune um Europa: der Zaun um Melilla (zwischen Marokko und Spanien)
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Wohnungen statt Container!

Die Stadt Dortmund denkt über Container als Flüchtlingsunterkunft nach. Die Dortmunder Lokalpresse meint, die Stadt Dortmund erwäge damit „unkonventionelle Wege“, um Flüchtlinge unterzubringen. Dabei hätte ein Blick über die Stadtgrenzen gereicht. Proteste gegen solche Unterkünfte gibt es seit Jahren, eher schon seit Jahrzehnten, und nicht nur in Bochum können die in Containern einquartierten geflüchteten Familien ihre Situation nicht wirklich ‚Wohnen’ nennen.

Weil sich in Dortmund-Hacheney eine der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen befindet, nimmt Dortmund weniger Asylsuchende auf Dauer auf als vergleichbare Städte. Aufgrund der seit einiger Zeit steigenden Zahlen von Menschen, die sich vor Krieg, Gewalt, Verfolgung, Diskriminierung hierher zu retten versuchen, hat sich nun auch die Zahl der Geflüchteten erhöht, die nach Dortmund verteilt werden. „Und hier beginnt das Dilemma, das dafür sorgt, dass ein Bruchteil der Flüchtlingszahlen aus den 90er Jahren heute ausreicht, um wieder ähnliche Schlagzeilen wie damals zu produzieren“, schrieb die WAZ noch letzten Samstag über die Lage in der Erstaufnahme Hacheney. Und stellte fest, was eigentlich bekannt ist: Die Überbelegung der Erstaufnahme sei kein neues Phänomen, „dieser Zustand wiederholt sich jetzt im dritten Jahr in Folge“. „Wohnungen statt Container!“ weiterlesen

Care. Krisen. Migration

Für deutsche Kliniken und Medizindienstleister ist die Eurokrise ein Glücksfall. Sie bietet die Möglichkeit, ihren Fachkräftebedarf zu decken: 300.000 Pflegerinnen und Pfleger aus Süd- und Osteuropa arbeiten mittlerweile in der Bundesrepublik.

Das berichtete die Frankfurter Rundschau Anfang September.1Jörn Boewe/Johannes Schulte: Fachpersonal zum Schnäppchenpreis. Frankfurter Rundschau, 08.09.2014 (eine nachfolgende Suche hat ergeben, dass der Artikel am 16.07.14 bereits in der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, also hier auch online: http://www.berliner-zeitung.de/politik/billige-pflegekraefte-aus-suedeuropa-arbeitnehmer-zweiter-klasse,10808018,27862758,item,0.html). Personal wird ebenfalls für Seniorenheime angeworben und nicht nur in Süd- oder Osteuropa. Im Januar kamen beispielsweise die ersten Pflegerinnen aus China in die Bundesrepublik, um in einem Seniorenheim der Curanum AG – einer der größten privaten Betreiber von Senioren- und Pflegeeinrichtungen in Deutschland – in Frankfurt am Main zu arbeiten. Ausschlaggebend für die Personalchefin der Curanum AG, Elke Bachmann-Göre, seien allerdings nicht die guten beruflichen Qualifikationen der chinesischen Pflegekräfte gewesen (alle verfügen über einen Bachelor-Abschluss), sondern die „Soft Skills der Bewerberinnen“. „Damit meint sie den Respekt vor dem Alter und das offene, freundliche Zugehen auf die älteren Menschen“, informierte der Hessische Rundfunk.2Isabel Reifenrath: Chinesische Pflegerinnen in Frankfurt. Auf der Suche nach Arbeit und Traummann. Hessischer Rundfunk online, 23.01.2014; http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36082&key=standard_document_50634173.

Solche Aussagen reproduzieren die Trennung in erlernbare Kompetenzen (die hier als weniger wichtig betrachtet werden – als wäre Care-Arbeit nicht wissensbasiert) und in eine quasi natürlich anhaftende, über Geschlecht und Ethnizität zugewiesene „traditionelle“ Eignung für die Arbeit in der Pflege. Damit wird Pflegearbeit gewissermaßen zu einer Verlängerung familialer Reproduktionsarbeit als unbezahlter, naturalisierter Arbeit. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, dessen Ausrichtung auf Effizienzsteigerung etc. macht dagegen die nicht marktförmigen Kompetenzen in der Care-Arbeit unsichtbar und tatsächlich unbezahlbar (bzw. unbezahlt) – auch wenn die Interaktion zwischen Personen eine wesentliche Bedingung für die Qualität der Pflege ist. Pflegearbeit ist überwiegend weiblich: Über 80 Prozent der Pfleger_innen in Seniorenheimen und Krankenhäusern sind Frauen, bei den ambulanten Pflegediensten sind es fast 90 Prozent. „Care. Krisen. Migration“ weiterlesen