Heute haben mit den ersten 202 geflüchteten Menschen die Rückschiebungen von den griechischen Inseln in die Türkei begonnen, die zwischen der Europäischen Union und der Türkei vereinbart worden sind (zunächst einmal drei und letztlich bis zu sechs Milliarden Euro hat die EU der Türkei dafür zugesagt). Dass die Türkei wiederum aus Syrien Geflüchtete massenhaft dorthin zurücktransportiert, hatte erst vor einigen Tagen Amnesty International festgestellt (unter den seit Januar willkürlich aufgegriffenen und nach Syrien abgeschobenen Menschen befand sich unter anderem eine im achten Monat Schwangere). Schon davor war berichtet worden, dass afghanische Asylsuchende aus der Türkei ohne jede Prüfung der Fluchtgründe zurückgeschoben worden waren.
Der italienische Philosoph Giorgio Agamben schrieb über Hannah Arendts Betrachtungen zu Flüchtlingen als ‚Krise’ (allerdings als ‚radikale Krise der Menschenrechte’): „Das Paradox, von dem sie [Hannah Arendt] hier ausgeht, besteht darin, daß die Figur – der Flüchtling –, die den Menschen der Menschenrechte schlechthin hätte verkörpern sollen, stattdessen die radikale Krise dieser Konzeption bezeichnet. ‚Der Begriff der Menschenrechte, der auf einer angenommenen Existenz des Menschen als solchem basiert, brach in dem Augenblick zusammen, als diejenigen, die sich zum Glauben daran bekannten, zum ersten Mal mit Leuten konfrontiert waren, die wirklich alle ihre anderen Eigenschaften und spezifischen Beziehungen verloren hatten – außer daß sie immer noch Menschen waren.‘ Im System des Nationalstaates erweisen sich die sogenannten heiligen und unveräußerlichen Menschenrechte, sobald sie nicht als Rechte eines Staatsbürgers zu handhaben sind, als bar allen Schutzes und aller Realität.“
Wie in der Auseinandersetzung um die sexualisierte Gewalt in der Silvesternacht in Köln erkennbar war, lässt sich über die Identifikation von Staats- bzw. EU-Grenzen mit den Grenzen des weiblichen (abstammungsinländischen) Körpers – in Verbindung mit den geschlechtlich zugewiesenen Rollen von „Beschützten“ (Frauen*) und „Beschützern“ – eine aggressive Stimmung erzeugen (unsere Werte!), die die Emotionen der Staatsangehörigen / Mehrheitsbevölkerung ansprechen soll (der fremde Vergewaltiger! – es ist dafür egal, dass Gewalt gegen Frauen* meistens durch ihr Umfeld verübt wird). Unter anderem hiermit lässt sich dann das Konstrukt von noch mehr Staaten als „sicheren Herkunftsstaaten“ (vermeintlich) rechtfertigen. Weil Politiker_innen aus etablierten Parteien solche Instrumentalisierungen nicht nur nach- sondern auch vormachen, ist ihr „Entsetzen“ über AfD-Wahlergebnisse schlicht und einfach unglaubwürdig.
Pro Asyl schreibt über den Türkei-EU-Deal, in dessen Rahmen die Europäische Union für jede_n zurückgeschobene_n syrische_n Geflüchtete_n eine andere syrische Person aufnehmen soll: „Um den bizarren Plan zu verdeutlichen: Nur wenn ein syrischer Schutzsuchender sein Leben bei der Überfahrt über die Ägäis riskiert und dann per Schnellverfahren zurückverfrachtet wird, entsteht ein Platz für einen anderen Schutzsuchenden aus Syrien, der dann legal und gefahrenfrei in die Europäische Union kommen darf. … Nicht nur, dass der Deal syrische Schutzsuchende gegen Menschen aus anderen Ländern ausspielt und Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten wie dem Irak, Afghanistan oder Eritrea Schutz in der Europäischen Union generell verwehrt bleibt, er lässt auch völlig außer Acht, dass die Türkei kein „sicherer Drittstaat“ für Flüchtlinge sein kann.“
Und was passiert nun mit den (in vielen Ländern) aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen Verfolgten und Flüchtenden und der Anerkennung ihrer Verfolgung (oder der Kriegssituation oder … oder …) als Fluchtgrund? Ach, das ist doch uninteressant (unsere angeblichen Werte!).
Schluss! Grenzen auf!