Zum ersten Mal in Sudans Geschichte wurde vor einigen Tagen mit Neemat Abdullah Khair eine Frau zur Obersten Richterin und Präsidentin des Obersten Gerichtshofs im Sudan ernannt. Mit der Mitte August nach monatelangen Protesten vom Militärrat und von den Forces of Freedom and Change (FFC) verabschiedeten Verfassungserklärung war schließlich doch ein Wechsel eingeleitet worden. Unter anderem wurden in dieser Verfassungserklärung1Eine englische Version der Verfassungserklärung findet sich hier: http://sudanreeves.org/2019/08/06/sudan-draft-constitutional-charter-for-the-2019-transitional-period/. die Rechte der Bürger*innen Sudans festgehalten: Neben einem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden dort Frauenrechte garantiert. Die Gesetze, die Frauen* in vielen Lebensbereichen diskriminieren und einschränken, sind aber noch nicht aufgehoben.
Nach dem Blutbad im Sudan Anfang Juni, bei dem über 120 Demonstrierende ermordet und mindestens 70 Personen vergewaltigt worden waren, schien die Möglichkeit einer Einigung der Opposition mit dem herrschenden Militär weit weg. Mittlerweile ist sie jedoch zustande gekommen. In der Folge wurde noch Ende August der Souveräne Rat vereidigt, der den zuvor regierenden Militärrat als höchstes Gremium abgelöst hat. Der aus Militärs und Zivilist*innen bestehende Rat, in dem zwei Mitglieder weiblich sind, soll eine ungefähr dreijährige Übergangsphase leiten. Unter den 20 Kabinettsangehörigen der nun ebenfalls bestehenden Übergangsregierung, die dann im September (bzw. die letzten beiden erst im Oktober) ihre Ämter erhielten, befinden sich vier Ministerinnen, darunter mit Asma Mohamed Abdallah die erste Außenministerin des Landes.
Die Sudanesische Frauenunion hatte zuvor dagegen protestiert, dass an der Zusammenstellung der Kandidatenlisten keine Frauenverbände beteiligt worden waren. Während der monatelangen Demonstrationen – erst gegen die Diktatur Omar al-Bashirs und dann, nachdem Mitte April Bashir gestürzt worden war und ein Militärrat die Macht übernommen hatte, für eine zivile Regierung – hatten Sudans Frauen* eine sehr wichtige Rolle gespielt. Aber bei der darauffolgenden Machtverteilung drohten sie (wie so häufig) übergangen zu werden. Nun wurde zumindest in einigen Bereichen ein Zeichen gesetzt und außerdem ist in der Verfassungserklärung eine Legislative vorgesehen, bei der 40 Prozent der Sitze für weibliche Abgeordnete bestimmt sind.
Erst am Wochenende erneuerte der Justizminister die Zusage, das „Gesetz über die öffentliche Ordnung“ (Public Order Act) abzuschaffen und die frauenfeindlichen Paragraphen des Strafgesetzbuches zu ändern, denn passiert ist hier bisher nichts. Für „unmoralisches Verhalten“ drohen daher offiziell immer noch Haftstrafen oder bis zu 40 Peitschenhiebe. Skepsis besteht auch angesichts der gebliebenen wichtigen Rolle der Militärs und insbesondere des Kommandeurs der aus den Janjaweed-Milizen hervorgegangenen Rapid Support Forces (RSF), Mohamed Hamdan Daglo („Hemiti“), die für Morde und Vergewaltigungen während der monatelangen Proteste verantwortlich gemacht werden. Obwohl eine unabhängige Kommission das als Khartoum-Massaker bezeichnete Blutbad im Juni untersuchen soll, wird Daglo, der mittlerweile einen Sitz im Souveränen Rat hat, wahrscheinlich weder dafür noch für die von den RSF in der Darfur-Region verübten Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden. Er wird als der „starke Mann“ des Sudans betrachtet und potenziell als Bedrohung für den Übergangsprozess.
Die Bevölkerung Sudans macht allerdings ihre Erwartungen immer wieder deutlich. In der Hauptstadt Khartoum hat vor Kurzem die erste Frauen*fußball-Liga in der Geschichte des Landes, für die 21 Clubs angemeldet sind, den Spielbetrieb aufgenommen. Das Eröffnungsspiel am 30. September wurde von „Zivilherrschaft, Zivilherrschaft“-Sprechchören der Zuschauer*innen begleitet.
Quellen (unter anderem):
Ilona Eveleens: Neue Regierung im Sudan: Aufbruch in eine Ära der Hoffnung, die tageszeitung, 09.09.2019, https://taz.de/Neue-Regierung-im-Sudan/!5621057/; Melanie Götz: Gespräch mit Eiman Seifeldin über die Rolle von Frauen bei den Protesten im Sudan. „Frauen stellen die Mehrheit auf der Straße“, jungle world, 19.09.2019, https://jungle.world/artikel/2019/38/frauen-stellen-die-mehrheit-auf-der-strasse?page=all; Jean-Pascal Ostermeier: Erste Frauenfußball-Liga im Sudan nimmt Spielbetrieb auf, fußballdaten, 01.10.19, https://www.fussballdaten.de/news/frauen/erste-frauenfussball-liga-im-sudan-nimmt-spielbetrieb-auf-2019-10-01/; Socrates Mbamalu: Transitional Council appoints Neemat Abdullah Khair as Sudan’s first female Chief Justice, This is Africa, 16.10.2019, https://thisisafrica.me/politics-and-society/neemat-abdullah-khair-sudan-first-female-chief-justice/; Sudanese justice minister pledges to end discrimination against women, Sudan Tribune, 19.10.2019, https://sudantribune.com/spip.php?article68337.