Wer das Messer in der Hand hält,

…das ist der springende Punkt: Mouhamed Lamine Dramé, ein 16-jähriger Geflüchteter aus dem Senegal, der in Dortmund in einer Jugendhilfeeinrichtung lebte, wurde bei einem furchtbaren Polizeieinsatz im August 2022 nach Tränengas- und Taser-Einsatz mit einer Machinenpistole erschossen. Der Getötete war suizidgefährdet und richtete zu dem Zeitpunkt, als die Polizei (mit zwölf Personen) in der Jugendeinrichtung eintraf, ein Küchenmesser gegen sich selbst.
Alle beteiligten Polizist*innen wurden gestern vom Landgericht Dortmund freigesprochen1Matthias Monroy: Dramé-Prozess: Tödlicher Polizeieinsatz bleibt komplett straflos, nd, 12.12.2024, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187490.mouhamed-drame-drame-prozess-toedlicher-polizeieinsatz-bleibt-komplett-straflos.html.; ein Urteilsspruch, der Polizeigewalt – bis hin zur willkürlichen Tötung – erneut konsequenzlos (zu)lässt. Denn obwohl nie eine Gefahr von Mouhamed Dramé ausging (was selbst Staatsanwaltschaft und Richter zugaben), wurde über das Messer in seiner Hand eine „irrtümliche“ Notwehrsituation konstruiert, die die polizeiliche Angriffsplanung und Erschießung rechtfertigen soll.

In einem Interview im März redete Christina Clemm, Rechtsanwältin und Buchautorin, mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über die gesellschaftliche Alltäglichkeit geschlechtsbezogener Gewalt – und in diesem Zusammenhang über einen tatsächlichen Messerangriff:
Ich hatte eben ein Verfahren, da hat ein Mann mehrfach auf seine Frau eingestochen. Wäre das auf der Strasse zwischen zwei Fremden passiert, hätte die Polizei selbstverständlich den Tatort abgesperrt, Spuren gesichert, das Messer als Tatwaffe beschlagnahmt, womöglich einen Haftbefehl beantragt. Bei meinem Fall ist nichts davon passiert, obwohl die Polizei zur Stelle war. Als ich den Polizeibeamten direkt fragte, warum diese Massnahmen nicht ergriffen worden seien, sagte er mir: «Wir haben solche Einsätze dreimal am Tag. Das war nichts Besonderes für uns2Nadine A. Brügge (Interview mit Christina Clemm: «Viele kennen die Statistik, wonach in Deutschland alle drei Tage eine Frau durch ihren Partner getötet wird. Aber es wird hingenommen», Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2024, https://www.nzz.ch/feuilleton/femizide-interview-mit-der-anwaeltin-christina-clemm-ld.1823129.
(Das Interview ist übrigens auch sonst lesenswert.)

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Rassistische Mobilisierungen

Das Interesse an Siegen, Kreisstadt in Südwestfalen, ließ vergangene Woche bald wieder nach (was Bewohner*innen wahrscheinlich eher recht ist): Letzten Freitag (30. August) stach in einem Bus auf dem Weg zum Stadtfest eine Frau mit einem Messer auf andere Fahrgäste ein; sechs Menschen wurden verletzt, drei davon lebensgefährlich. Während die Angreiferin deutsch ohne Migrationsgeschichte/postmigrantischen Hintergrund war, hatten die Frauen, die sich zu dritt auf die Täterin stürzten und sie entwaffneten, wie Siegens Bürgermeister Mues erklärte, „einen Migrationshintergrund“. Was in den Medien oft unberichtet blieb.1Siehe unter anderem: Teresa Toth/Kilian Bäuml: Messerangriff in Siegen: Frau sticht in Bus auf Fahrgäste ein – Fahrer habeheldenhaft reagiert“, Frankfurter Rundschau, 01.09.24, https://www.fr.de/panorama/siegen-messerangriff-bus-frau-sticht-auf-fahrgaeste-busfahrer-verletzte-lebensgefahr-93273232.html.
Wobei die Zuschreibung Migrationshintergrund problematisch sein kann: Sie reduziert komplexe Identitäten in der Gesellschaft auf ein Kriterium: Jeder Person, die in diesem Land als ‚nicht-weiß‘ gelesen werde, hafte dieses Wort an, führte Azadê Peşmen auf Deutschlandfunk Kultur2Azadê Peşmen: Fünf Gründe gegen das Wort Migrationshintergrund“, Deutschlandfunk Kultur, 23.01.2021, https://www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-ueber-begriff-fuenf-gruende-gegen-das-wort-100.html. 2021 aus, ohne dass sie eine Chance auf Entlassung haben. „Auch nicht in fünfter Generation.“ Meist ausgrenzend verwendet, dient der Begriff zur Unterstellung einer vererbten „Nichtzugehörigkeit“.
Hier weist er jedoch gerade auf rassistische Realitäten hin. „Ohne auch nur den Hauch einer Chance, Details über die Tatverdächtige wissen zu können, sprang die Maschinerie der rechten Hetze im Netz kurz nach der Messer-Attacke in Siegen an“, berichtete das Portal DerWesten.3Alexander Keßel: Siegen (NRW): Unsägliche Reaktionen nach Messer-Attacke in Bus – Polizei schreitet sofort ein, DerWesten (WAZ-Gruppe), 31.08.24, https://www.derwesten.de/region/siegen-nrw-messer-hetze-id301118720.html. Die Polizei sah sich gezwungen ausdrücklich mitzuteilen:

Wir möchten an dieser Stelle ganz deutlich klarstellen: Bei der 32-jährigen Tatverdächtigen handelt es sich um eine Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit und ohne Migrationshintergrund. Bitte unterlassen Sie die Spekulationen und Anfeindungen in jegliche Richtung!

Sogar danach musste noch erklärt werden, dass die Täterin – die psychische Probleme haben soll, aber immerhin mit verbotenem Einhandmesser, Schraubenzieher und weiteren Messern ausgerüstet gewesen ist4Michael Koch: Messerattacke im Bus: Tatverdächtige aus dem Kreis Olpe, Westfalenpost, 01.09.24, https://www.wp.de/lokales/kreis-olpe/article407150815/messerattacke-im-bus-tatverdaechtige-aus-dem-kreis-olpe.html. – keine „deutsche muslimische Frau“ ist.

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Friedens- und Kriegszustände

„Es war ein Akt der feministischen Solidarität“, beschrieb eine der Initiatorinnen* von Palestinians and Jews for Peace in Köln bei einer Mahnwache am 17. März das Zusammenkommen nach dem mörderischen Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Die Kölner jüdisch-palästinensische Gruppe habe sich dann aus „dem Bedürfnis nach mehr feministischer Solidarität“ entwickelt, erklärte sie in ihrer Rede, in der es insbesondere um sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe in diesen Zusammenhängen ging. Bereits in ihrem ersten Statement und Aufruf für eine Demonstration Ende Oktober 2023 forderte Palestinians and Jews for Peace dazu auf, „nach ausgewogeneren und differenzierteren Perspektiven“ zu suchen (was immer noch selten passiert). Kein gutes Haar ließen sie darin aber (selbstverständlich) an Hamas, die „eine faschistische, antisemitische, fundamentalistische und frauenfeindliche Organisation“ sei, womit sie die teilweise behauptete „Dekolonialisierung“ oder „Befreiung“ – umso mehr angesichts der Unterdrückung der Menschen im Gaza-Streifen durch Hamas – deutlich als Mythos entlarvten. Gleichzeitig schrieben sie, „das Ausmaß der Gewalt“ durch die israelische Regierung, die gegen Zivilist*innen im Gaza-Streifen verübt werde, „nicht in Frage zu stellen, ist eine Verletzung der Menschenrechte“.1Siehe auch: Sebastian Weiermann: Demo in Köln: 500 für Frieden im Nahost-Konflikt, nd, 23.10.2023, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177224.nahostkonflikt-demo-in-koeln-fuer-frieden-im-nahost-konflikt.html. Die Lage in Gaza ist seitdem bloß katastrophaler geworden, bis zur auferlegten Hungersnot und brutalen Bombardierung in Rafah.

Feministische Debatten drehten sich in der Vergangenheit oft um einen „Zusammenhang zwischen feministischem Aktivismus und Friedensaktivismus“2Nira Yuval-Davis: Geschlecht und Nation, Emmendingen 2001, S. 156. – nicht weil weiblich gelesene Personen von feministischer Seite aus als „von Natur aus“ friedfertiger betrachtet wurden (was patriarchale Weiblichkeitskonstruktionen dagegen implizieren können), sondern weil Militarismus/Militär/Krieg als mit patriarchalen Strukturen bzw. einer militarisierten Männlichkeit gekoppelt galten. Solche Diskussionen haben abgenommen, wohl unter anderem deshalb, weil viele Staaten einen weiblichen Militärdienst ermöglicht haben, obwohl die Rollen im Militär in ihrer Vergeschlechtlichung verharren.3Selbst für die israelischen Streitkräfte werden noch deutliche Geschlechterrollen konstatiert, obwohl Israel als einer der wenigen Staaten weltweit eine Wehrpflicht für Frauen* hat. Siehe unter anderem: Uta Klein: Militär und Männlichkeit in Israel, Frankfurt am Main 2001; Emma Montron: What is the reality for the integration of women in the Israeli army?, Gender in Geopolitics Institute, 11.12.2020, https://igg-geo.org/?p=3124&lang=en; Amos Harel: Analysis | The Israeli Army Promised Female Soldiers a Revolution but Left Them With Nothing but Crumbs, Haaretz, 08.06.2022, https://www.haaretz.com/israel-news/2022-06-08/ty-article/idf-promised-female-soldiers-a-revolution-but-left-them-with-nothing-but-crumbs/00000181-3f9c-d62a-a99b-ffdfdebb0000. Sofern die Teilhabe an einem männlich konnotierten Handeln also Strukturen und Logik dieser Institution nicht verändert hat und auch nicht umgekehrt die Übernahme weiblich konnotierter Aufgaben Männern* abverlangt, bleibt die Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt dieser Teilhabe (erneute Beschränkungen wären trotzdem ein verkehrter Weg).

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Starke Vorabenddemonstration zum 8. März

Mehrere hundert Personen demonstrierten Donnerstag in Dortmund zum Vorabend des des feministischen Kampftags, also am 7. März, von der Katharinentreppe gegenüber dem Hauptbahnhof zum Dietrich-Keuning-Haus in der Nordstadt. Es war ein powervoller, lautstarker feministischer Protest mit abendlich-spektakulären Bildern.

Vorabenddemonstration zum feministischen Kampftag1
die Spitze der Demonstration auf dem Weg in die Dortmunder Nordstadt

Ein wenig getrübt wurde die Demonstration nur dadurch, dass die Polizei, die bereits nach dem ersten Pyro meinte, die Helme aufsetzen zu müssen – wenn unsereine* angesichts der herrschenden patriarchalen Verhältnisse so ängstlich wäre wie die, käme sie* nirgends hin –, eine Person aus der Demonstration für eine Weile in der berüchtigten Nordwache festhielt.

Hier folgen nun erst einmal einige Fotos:

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Seltene Vögel (oder so)

Hier ist zuletzt wenig passiert, sorry, möglicherweise missmutige Leser*in, wodurch die Blogbeiträge eher seltene Vögel geworden sind, was auch an den allgemeinen (Welt-)Verhältnissen liegt; vielleicht (hoffentlich) wird im nächsten Jahr alles besser!

Also trotz allem:
a happy queerrr-feminist new yearrr!