Strich / Code / Move: kreative Entstigmatisierung

Die Kunstaktion Strich / Code / Move, ein Projekt der Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!, startet am 22. Juli in Berlin mit fünf Lovemobilen auf dem Washingtonplatz (hinter dem Hauptbahnhof) und bleibt dort bis zum folgenden Samstag. Im September ist sie dann in Hannover. Künstler*innen, Sexarbeiter*innen und andere Akteur*innen der Kampagne laden ein zum Event: Drinnen und draußen soll über Werte, Intimität und Sexualität und natürlich über Sexarbeit informiert und diskutiert werden.

Die künstlerische Wagenburg der Lovemobile – umgestaltete Wohnwagen – soll unter anderem ein Museum zur Geschichte der Sexarbeit in Deutschland beherbergen oder eine interaktive Ausstellung mit Sextoys, die bei Berührung Fragmente von Interviews mit Sexarbeiter*innen wiedergeben. Die Aktion will einen Kontrapunkt zur bleiernen Schwere der moralisierenden und paternalistischen Diskurse um Sexarbeit setzen. Vorrangiges Ziel ist es, durch eine kreative Plattform einen Raum zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema und mit dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) zu schaffen. Die Wagen werden daher unter der Leitung durch die Schwarmkünstlerin Kerstin Schulz und ihr Team vom atelier-dreieck in Gehrden bei Hannover aufgestellt. „Strich / Code / Move: kreative Entstigmatisierung“ weiterlesen

Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!

Morgen wird das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen – das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) – in Kraft treten. Dieser Name des Gesetzes ist eine orwellsche Irreführung (weil dem „Neusprech“ in Orwells Roman 1984 ähnlich): Zukünftig sind Sexarbeiter*innen gezwungen, ihre Tätigkeit bei mehreren Behörden anzumelden. Bei ihrer Arbeit müssen sie dann einen Ausweis mit Foto bei sich führen, auf dem vermerkt ist, dass sie „Prostituierte“ sind. Sexarbeiter*innen fühlen sich dadurch nicht geschützt, sondern vielmehr stigmatisiert, kontrolliert und möglicherweise in Gefahr gebracht.

Straßensexarbeit: Dortmunds Berufsverbotsbezirk

Der Straßenstrich in Dortmund wurde im Mai 2011 geschlossen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk für die Straßenprostitution erklärt. Im März 2013 gab das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einer Sexarbeiterin, die gegen den Verlust ihrer Existenzgrundlage geklagt hatte, Recht und entschied, Straßenprostitution müsse in Dortmund möglich bleiben. Statt sich danach mit Beteiligten und Interessenverbänden zusammenzusetzen und einen neuen Strichstandort einzurichten, ging die Stadt Dortmund in Berufung. Das Oberverwaltungsgericht Münster als nächste Instanz hat gestern die Klage der Sexarbeiterin abgewiesen und das Verbot durch die Stadt bestätigt.

Sexarbeiter_innen-Demonstration gegen die Straßenstrich-Schließung
Sexarbeiter_innen-Demonstration für den Straßenstrich-Erhalt in Dortmund im März 2011

Richterlich begründet wurde die Entscheidung nun mit den Lebensverhältnissen anderswo in Europa und der (eventuell weiterhin drohenden) weiblichen Migration. „Die Lebensumstände in der bulgarischen Stadt Plovdiv haben sich nicht geändert“, erklärte Richterin Ricarda Brandts den Ruhr-Nachrichten zufolge.1Jörn Hartwich: Straßenstrich bleibt verboten. Gericht weist Klage gegen Stadt Dortmund ab / Ministerium kritisiert Sperrbezirk. Ruhr Nachrichten, 12.08.2015. Trotz der europäischen Freizügigkeit wird in dieser Logik die Überschreitung der Staatsgrenze zur (zumindest) unerwünschten Tat. Die Begründung sei „höchst bemerkenswert“, meint der lawblog. Demnach stehe in ganz (!) Dortmund laut Stadtverwaltung und Bezirksregierung Arnsberg kein einziges Gebiet zur Verfügung, das einen Straßenstrich „verkraften“ könne. Und weil die Zahl der Sexarbeiterinnen in dem Marktsegment stark zugenommen habe, hielte das Gericht „die Annahme für gerechtfertigt, ein solcher Straßenstrich werde egal an welcher Stelle immer auch schutzbedürftige Gebiete räumlich betreffen“2Lawblog: Dortmund bleibt „sauber“. 11.08.2015, https://www.lawblog.de/index.php/archives/2015/08/11/dortmund-bleibt-sauber/. – in der siebtgrößten Stadt der BRD. Der Rechtsanwalt der gegen das Verbot klagenden Sexarbeiterin wies darauf hin, dass das Interesse der Frauen* in den Erwägungen der Behörden keine Rolle spiele. Gegenüber Spiegel Online kündigte er an, in die nächste Instanz und damit vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen zu wollen.3Spiegel online: Verbot von Straßenprostitution in Dortmund: Gegen den Strich. 11.08.2015; http://www.spiegel.de/panorama/justiz/dortmund-gericht-bestaetigt-verbot-des-strassenstrichs-a-1047630.html. „Straßensexarbeit: Dortmunds Berufsverbotsbezirk“ weiterlesen

„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution

Am 17. Dezember, also in zwei Tagen, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen, an dem an vielen Orten weltweit wieder Veranstaltungen und Aktionen stattfinden werden (zu finden unter anderem hier oder hier), die die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen thematisieren. Hier folgt nun ein Kommentar zu dem „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer – das Thema ist und bleibt aktuell, auch angesichts der Gesetzesvorhaben der Koalition von CDU/CSU und SPD, die absehbar in eine restriktivere Richtung gehen.

Almost as soon as women began to migrate in great numbers …,
stories of ‚white slavery‘ began to circulate.1Jo Doezema: Loose Women or Lost Women? The re-emergence of the myth of ‚white slavery‘ in contemporary discourses of ‚trafficking in women‘. International Studies Convention Washington, DC, February 16 – 20, 1999, http://www.walnet.org/csis/papers/doezema-loose.html.

Bereits vor Erscheinen ihres Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ im November richtete Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen Appell gegen Prostitution An die Bundeskanzlerin und den Bundestag. Sexarbeiter_innen des neu gegründeten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen reagierten mit einem (Gegen-)Appell FÜR Prostitution. Während dort betont wird: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden“, fallen im Emma-Appell Prostitution, Frauenhandel, Sklaverei („white slavery“) zusammen; Prostitution soll „abgeschafft“ werden.2Die Appelle: http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923; http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85 „Weiße Sklaverei“ ist auch der Titel eines Auszugs aus dem Buch von Alice Schwarzer, der Anfang November in der Wochenzeitung der Freitag erschien.3Weiße Sklaverei, der Freitag, 06.11.2013, http://www.freitag.de/buch-der-woche/prostitution-ein-deutscher-skandal/prostitution_leseprobe.

White Slavery
Die Erzählung von der „weißen Sklaverei“ breitete sich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Historiker_innen messen ihr angesichts weniger tatsächlicher Belege einen mythischen (gesellschaftserklärenden und -strukturierenden) Charakter bei und betrachten sie als „moralische Panik“ einer sich vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Urbanisierung und zunehmender (weiblicher) Migration in die Städte und in andere Kontinente ändernden Gesellschaft. Die Erzählung handelte von Moral und auf das Sozial- und Sexualverhalten alleinstehender arbeitender (proletarischer) und migrierender Frauen gerichteten Befürchtungen; sie mündete in die Dichotomie des weißen Opfers, jung, naiv, unschuldig, dessen Gegenseite ein als Anderer konstruierter Täter (nicht-weiß, immigriert, …) wurde. Sie hob auf die besondere Verletzlichkeit weißer Frauen ab und beinhaltete, dass ihre Versklavung als anders und schwerwiegender anzusehen wäre als „schwarze Sklaverei“. Als Ressource für Reglementierungen entlang von gender, race und class führte sie zu internationalen Abkommen und Initiativen in europäischen und amerikanischen Staaten.4Siehe u.a. Jo Doezema, a.a.O. Die Frankfurter Rundschau berichtet über die Entstehung eines Berichts des Völkerbunds über „Zwangsprostitution“ 1927: Für die Details interessierten sich damals nur wenige. Eine junge Doktorandin hatte bei Feldstudien in Marseille und Athen, zwei Hotspots der Szene, keinen einzigen Fall von Menschenhandel nachweisen können. Der bekannte Journalist Albert Londres recherchierte in Rio und Buenos Aires nach, …: „Die Zuhälter dort“, so sein Ergebnis, „müssen die Frauen gar nicht kaufen“, schrieb Londres. „Im Gegenteil: Sie kriegen sogar Geschenke, wenn sie ihnen gute Standplätze verschaffen.“ Achtzig Jahre später zeichnete der belgische Philosoph und Soziologe Jean-Michel Chaumont die Geschichte des Skandalberichts minutiös nach …. Das „Expertenkomitee“ des Völkerbunds hatte vorwiegend aus idealistisch gesinnten Kämpferinnen und Kämpfern gegen die Prostitution an sich bestanden. Der Auftrag des Völkerbunds und der Bericht von 1927 waren ihr großer Coup. Norbert Mappes Niedeck: Menschenhandel: Die Armuts-Falle. Frankfurter Rundschau, 16.10.2013; http://www.fr-online.de/politik/menschenhandel—die-armuts-falle,1472596,24650152.html. „„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution“ weiterlesen

Stigma tötet

Nach den Morden an zwei Sexarbeiter_innen, Dora Özer in der Türkei und Petite Jasmine in Schweden, sind letzten Freitag mit Aktionen in über 30 Städten weltweit viele dem Aufruf des ICRSE (Internationales Komitee für die Rechte von Sexarbeiter_innen in Europa) gefolgt, ein Ende von Stigmatisierung, Kriminalisierung und Gewalt zu fordern.

Die Pressemitteilung des ICRSE zu den Morden und den Protesten befindet sich hier  

Zwei Interviews zu den Morden gibt es auf Tits and Sass: The Bloody State Gave Him The Power: A Swedish Sex Worker’s Murder zu Petite Jasmine in Schweden hier   und Both Transphobic and Whorephobic: The Murder of Dora Oezer zu Dora Özer in der Türkei hier  

Eine Zusammenfassung der Proteste auf freitag.de ist hier   „Stigma tötet“ weiterlesen

Gratulation !

Dortmund muss neuen Straßenstrich einrichten

Gratulation … nicht zu einem Jahrestag oder ähnlichen Anlass, auch wenn es zeitlich nicht weit davon entfernt ist:

Ende März 2011 fasste der Rat der Stadt Dortmund den Beschluss, den Straßenstrich zu schließen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk zu erklären. Fast zwei Jahre danach hat nun am Donnerstag das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, es sei „nicht vertretbar, dass Straßenprostitution in keinem Bereich möglich ist“. Die Klägerin, die vor der Strichschließung in Dortmund arbeitete, sah durch die Entscheidung der Stadt Dortmund ihre Existenz bedroht und hatte Erfolg. „Wir haben gewonnen“, rief eine der Frauen quer durch den Gerichtssaal – nur die Vertreter von Stadt und Bezirksregierung blieben ernst. Sie hatten alles versucht und extra noch den Leiter des Kriminalkommissariats 22 mitgebracht, der für Kontrollen im Rotlichtbereich verantwortlich ist.1Peter Bandermann, Jörn Hartwich: „Wir haben gewonnen“. Prostituierte erkämpft vor Gericht Wiedereinführung des Straßenstrichs. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Dortmund, 22.03.2013.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat keine Berufung zugelassen. Leider wird die Gerichtsentscheidung wohl dennoch nicht schnell umgesetzt werden: Die Stadt Dortmund will nicht, wie verlangt, nach einem neuen Standort für die Sexarbeit auf der Straße suchen, sondern prüfen, ob sie juristisch gegen das Urteil vorgehen kann. Der damaligen Schließung des Straßenstrichs war eine monatelange Kampagne gegen Zuwanderer_innen aus Bulgarien und Rumänien vorangegangen und auch gestern warnte in der Lokalpresse unverzüglich ein Polizeisprecher, die Straßenprostitution ziehe auch Kriminelle an. Zurzeit arbeiten die vom Strich Vertriebenen teilweise illegalisiert in der Dortmunder Nordstadt weiter; der Grund für die Aufrechterhaltung prohibitiver Maßnahmen kann daher nicht der „Jugendschutz“ in Wohngebieten sein, auch wenn es die Stadt Dortmund gern behauptet. Vielmehr scheint das von Stigmatisierung und Repression geprägte Vertreibungskonzept gescheitert. „Wo bleibt das Menschenrecht, wo die Würde der Frauen?“, fragte eine Kollegin am Rande des Prozesses. Man habe auf der Straße zuletzt „Katz und Maus mit der Polizei“ gespielt.2Annika Fischer: Dortmunder Prostituierte Dany K. hat ein Recht auf den Straßenstrich. WAZ, 22.03.2013, http://www.derwesten.de/region/rhein_ruhr/dortmunder-prostituierte-dany-k-hat-ein-recht-auf-den-strassenstrich-id7753006.html. „Gratulation !“ weiterlesen