Projekt: Vertreibung

Ersatzwohnraum oder einen Notfallplan für die geräumten Bewohner_innen wird es in Duisburg nicht geben. „Wir gehen davon aus, dass die Bewohner auf Grund ihrer hohen Mobilität weiterziehen und die Stadt verlassen“, erklärte Reinhold Spaniel, Sozialdezernent der Stadt Duisburg. Vorausgegangen war die Räumung eines von Zugewanderten bewohnten Hauses in Duisburg-Bergheim – die Räumung eines Nachbargebäudes und des Hochhauses In den Peschen, für das die Mietverträge der Bewohner_innen Ende dieses Monats auslaufen, sollen im Februar 2014 folgen. Durch die (zugeschriebene) Zugehörigkeit der geräumten Personen zu der Gruppe der Rom_nja gelingt die diskriminierende Ethnisierung des Sozialen hier problemlos.

Infolge von Migrationsbewegungen werden antiromaistische Vorstellungen seit einiger Zeit stark (re-)aktiviert und die Armutsverhältnisse den Betroffenen quasi als „Eigenart“ angelastet. Im August zitierte die tageszeitung Duisburgs Polizeisprecher: „Selbst sozial Engagierte sagen doch, dass nur wenige Roma integrationswillig sind. Die anderen kommen mit unserer Gesellschaft nicht klar. Die müssen weg.“ Die Vorurteilsstruktur, die das „Wissen“ der Mehrheitsgesellschaft über die als Rom_nja identifizierten Zuwander_innen dominiert, schafft sich nun endgültig ihre Realität: Die „Mobilität“ wird erzwungen mit der Behauptung, „Mobilität“ gehöre zum „Charakter“ der zugewanderten Bewohner_innen. Als stereotype Zuschreibung (der Nichtsesshaftigkeit) gehört sie allerdings zu einem seit Jahrhunderten tradierten Repertoire des Antiromaismus, der mehrheitsgesellschaftliche Ablehnung, Diffamierungen und Gewalttaten gegenüber Rom_nja begünstigt und begründet.

In Rumänien – viele sind von dort gekommen – wurden in den letzten Jahren wiederholt Stadtviertel oder Siedlungen rechtswidrig zwangsgeräumt. Im Januar berichtete die tageszeitung, dass „Autonome Nationalisten“ in Rumänien Romnja aufforderten, sich gegen Geld sterilisieren zu lassen. „Die Sterilisation von Frauen, die einer ethnischen Gruppe angehören … stellt sowohl eine ernste Bedrohung der Mitglieder dieser Gruppe als auch der gesamten Gesellschaft dar“, hieß es in einer Erklärung, die diese Aufforderung verurteilte – die rumänische Presse ignorierte diese Erklärung weitgehend.

Bereits in einem vorausgegangenen Artikel über die stattgefundene Räumung und die weiteren drohenden Räumungen in Duisburg schrieb die WAZ: „Anschließend soll Schluss sein mit bundesweiten Negativschlagzeilen und rechtspopulistischen Demonstrationen, in Bergheim soll wieder Ruhe einkehren.“ Die Räumung der Bewohner_innen wird damit zudem zur „Lösung“ für das Problem rassistischer Hetze durch die rechtspopulistische Partei „Pro NRW“ in den vergangenen Monaten. Von der Europäischen Union für Integration zur Verfügung gestelltes Geld wurde dagegen von der Stadt Duisburg nicht in Anspruch genommen. „Speziell für Soziale Integration stünden mehr als zweieinhalb Milliarden Euro für Deutschland zur Verfügung“, berichtete der WDR Ende November. „Nur: Duisburg müsste sich mit konkreten Projekten in Berlin oder Düsseldorf darum bewerben.“ In Duisburg – und nicht nur dort – heißt das Projekt aber: Vertreibung (und nicht Integration).

„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution

Am 17. Dezember, also in zwei Tagen, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen, an dem an vielen Orten weltweit wieder Veranstaltungen und Aktionen stattfinden werden (zu finden unter anderem hier oder hier), die die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen thematisieren. Hier folgt nun ein Kommentar zu dem „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer – das Thema ist und bleibt aktuell, auch angesichts der Gesetzesvorhaben der Koalition von CDU/CSU und SPD, die absehbar in eine restriktivere Richtung gehen.

Almost as soon as women began to migrate in great numbers …,
stories of ‚white slavery‘ began to circulate.1Jo Doezema: Loose Women or Lost Women? The re-emergence of the myth of ‚white slavery‘ in contemporary discourses of ‚trafficking in women‘. International Studies Convention Washington, DC, February 16 – 20, 1999, http://www.walnet.org/csis/papers/doezema-loose.html.

Bereits vor Erscheinen ihres Buchs „Prostitution – ein deutscher Skandal“ im November richtete Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen Appell gegen Prostitution An die Bundeskanzlerin und den Bundestag. Sexarbeiter_innen des neu gegründeten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen reagierten mit einem (Gegen-)Appell FÜR Prostitution. Während dort betont wird: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden“, fallen im Emma-Appell Prostitution, Frauenhandel, Sklaverei („white slavery“) zusammen; Prostitution soll „abgeschafft“ werden.2Die Appelle: http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923; http://sexwork-deutschland.de/?page_id=85 „Weiße Sklaverei“ ist auch der Titel eines Auszugs aus dem Buch von Alice Schwarzer, der Anfang November in der Wochenzeitung der Freitag erschien.3Weiße Sklaverei, der Freitag, 06.11.2013, http://www.freitag.de/buch-der-woche/prostitution-ein-deutscher-skandal/prostitution_leseprobe.

White Slavery
Die Erzählung von der „weißen Sklaverei“ breitete sich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts aus. Historiker_innen messen ihr angesichts weniger tatsächlicher Belege einen mythischen (gesellschaftserklärenden und -strukturierenden) Charakter bei und betrachten sie als „moralische Panik“ einer sich vor dem Hintergrund von Industrialisierung, Urbanisierung und zunehmender (weiblicher) Migration in die Städte und in andere Kontinente ändernden Gesellschaft. Die Erzählung handelte von Moral und auf das Sozial- und Sexualverhalten alleinstehender arbeitender (proletarischer) und migrierender Frauen gerichteten Befürchtungen; sie mündete in die Dichotomie des weißen Opfers, jung, naiv, unschuldig, dessen Gegenseite ein als Anderer konstruierter Täter (nicht-weiß, immigriert, …) wurde. Sie hob auf die besondere Verletzlichkeit weißer Frauen ab und beinhaltete, dass ihre Versklavung als anders und schwerwiegender anzusehen wäre als „schwarze Sklaverei“. Als Ressource für Reglementierungen entlang von gender, race und class führte sie zu internationalen Abkommen und Initiativen in europäischen und amerikanischen Staaten.4Siehe u.a. Jo Doezema, a.a.O. Die Frankfurter Rundschau berichtet über die Entstehung eines Berichts des Völkerbunds über „Zwangsprostitution“ 1927: Für die Details interessierten sich damals nur wenige. Eine junge Doktorandin hatte bei Feldstudien in Marseille und Athen, zwei Hotspots der Szene, keinen einzigen Fall von Menschenhandel nachweisen können. Der bekannte Journalist Albert Londres recherchierte in Rio und Buenos Aires nach, …: „Die Zuhälter dort“, so sein Ergebnis, „müssen die Frauen gar nicht kaufen“, schrieb Londres. „Im Gegenteil: Sie kriegen sogar Geschenke, wenn sie ihnen gute Standplätze verschaffen.“ Achtzig Jahre später zeichnete der belgische Philosoph und Soziologe Jean-Michel Chaumont die Geschichte des Skandalberichts minutiös nach …. Das „Expertenkomitee“ des Völkerbunds hatte vorwiegend aus idealistisch gesinnten Kämpferinnen und Kämpfern gegen die Prostitution an sich bestanden. Der Auftrag des Völkerbunds und der Bericht von 1927 waren ihr großer Coup. Norbert Mappes Niedeck: Menschenhandel: Die Armuts-Falle. Frankfurter Rundschau, 16.10.2013; http://www.fr-online.de/politik/menschenhandel—die-armuts-falle,1472596,24650152.html. „„Ein deutscher Skandal“ – der Appell gegen Prostitution“ weiterlesen

Online-Petition: keine Lager für Frauen!

Die Selbstorganisation geflüchteter Frauen Women in Exile hat eine Online-Petition initiiert:

Women in Exile & Friends

In den letzten Monaten haben wir viel Aggression und manchmal sogar Gewalt von Rechtsradikalen gegen Unterkünfte für Flüchtlinge gesehen und wir haben auch gesehen, dass viele Linke und MenschenrechtsaktivistInnen und viele andere Teile der Zivilgesellschaft aktiv waren, um Unterkünfte für Flüchtlinge zu verteidigen und ihre Solidarität mit Flüchtlingen auszudrücken.
Wenn Flüchtlinge in Sammelunterkünften leben müssen, sind sie immer Gewalt ausgesetzt. Denn das bedeutet eine Trennung von anderen Teilen der Gesellschaft und macht Flüchtlinge verwundbar.
Dies ist einer der Gründe, warum wir und viele andere FlüchtlingsaktivistInnen seit vielen Jahren sagen: Kein Lager ! Wir wollen wie alle anderen in Wohnungen leben!
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Asylrest

20 Jahre De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Der Missbrauchsvorwurf, der zunehmend öffentlicher diskutiert wurde, diente seit dem Ende der Anwerbemigration der Verschlechterung der Bedingungen des Asylverfahrens. Er rechtfertigte im Rahmen von Verfahrens-Novellierungen zahlreiche Restriktionen gegenüber FlüchtlingsmigrantInnen, die entweder in einer Beschleunigung des Verfahrens, der Verkürzung und Reduzierung der Rechtswege und/oder einer Verschlechterung der sozialen Leistungen für Flüchtlinge bestanden. So wurde ab Mitte der 1970er Jahre in Baden-Württemberg der „Tatbestand“ des „offensichtlich in rechtsmissbräuchlicher Absicht“ gestellten Antrags auf ganze Gruppen angewendet. … Ebenso wurde die so genannte Residenzpflicht eingeführt, die die Bewegungsfreiheit von AsylmigrantInnen auf den Landkreis beschränkte. … Der Landkreiseverband Bayern erklärte 1978, dass eine Integration von AsylbewerberInnen durch „bewußt karge lagermäßige Unterbringung zu verhindern [ist]. Sie muß als psychologische Schranke gegen den Zustrom Asylwilliger aufgebaut werden“.1Serhat Karakayali: Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in Deutschland. Bielefeld 2008, S. 172.

Am 26. Mai 1993 wurde die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes im Bundestag beschlossen. Die Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ in Absatz 2, die unter dem Eindruck der Verfolgung im Nationalsozialismus aufgenommen worden war, wurde gestrichen bzw. in einen neuen Artikel 16a verlagert. Dieser Artikel legt seitdem fest, dass Deutschland von „sicheren Drittländern“ umgeben ist und Asylantragsteller_innen, die über solche sicheren Drittländer einreisen oder aus einem als sicher geltenden Herkunftsland kommen, kein Asyl erhalten. Das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch abgeschafft.

Quellen: die tageszeitung, Westfälische Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 1993
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Gratulation !

Dortmund muss neuen Straßenstrich einrichten

Gratulation … nicht zu einem Jahrestag oder ähnlichen Anlass, auch wenn es zeitlich nicht weit davon entfernt ist:

Ende März 2011 fasste der Rat der Stadt Dortmund den Beschluss, den Straßenstrich zu schließen und das gesamte Stadtgebiet zum Sperrbezirk zu erklären. Fast zwei Jahre danach hat nun am Donnerstag das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, es sei „nicht vertretbar, dass Straßenprostitution in keinem Bereich möglich ist“. Die Klägerin, die vor der Strichschließung in Dortmund arbeitete, sah durch die Entscheidung der Stadt Dortmund ihre Existenz bedroht und hatte Erfolg. „Wir haben gewonnen“, rief eine der Frauen quer durch den Gerichtssaal – nur die Vertreter von Stadt und Bezirksregierung blieben ernst. Sie hatten alles versucht und extra noch den Leiter des Kriminalkommissariats 22 mitgebracht, der für Kontrollen im Rotlichtbereich verantwortlich ist.1Peter Bandermann, Jörn Hartwich: „Wir haben gewonnen“. Prostituierte erkämpft vor Gericht Wiedereinführung des Straßenstrichs. Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) Dortmund, 22.03.2013.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat keine Berufung zugelassen. Leider wird die Gerichtsentscheidung wohl dennoch nicht schnell umgesetzt werden: Die Stadt Dortmund will nicht, wie verlangt, nach einem neuen Standort für die Sexarbeit auf der Straße suchen, sondern prüfen, ob sie juristisch gegen das Urteil vorgehen kann. Der damaligen Schließung des Straßenstrichs war eine monatelange Kampagne gegen Zuwanderer_innen aus Bulgarien und Rumänien vorangegangen und auch gestern warnte in der Lokalpresse unverzüglich ein Polizeisprecher, die Straßenprostitution ziehe auch Kriminelle an. Zurzeit arbeiten die vom Strich Vertriebenen teilweise illegalisiert in der Dortmunder Nordstadt weiter; der Grund für die Aufrechterhaltung prohibitiver Maßnahmen kann daher nicht der „Jugendschutz“ in Wohngebieten sein, auch wenn es die Stadt Dortmund gern behauptet. Vielmehr scheint das von Stigmatisierung und Repression geprägte Vertreibungskonzept gescheitert. „Wo bleibt das Menschenrecht, wo die Würde der Frauen?“, fragte eine Kollegin am Rande des Prozesses. Man habe auf der Straße zuletzt „Katz und Maus mit der Polizei“ gespielt.2Annika Fischer: Dortmunder Prostituierte Dany K. hat ein Recht auf den Straßenstrich. WAZ, 22.03.2013, http://www.derwesten.de/region/rhein_ruhr/dortmunder-prostituierte-dany-k-hat-ein-recht-auf-den-strassenstrich-id7753006.html. „Gratulation !“ weiterlesen